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Geisterschiffe auf Rennkurs

Technik. – Schrittchen für Schrittchen tastet sich die moderne Wissenschaft an die Geisterschiffe heran, die schon Hauff’s Märchen bevölkerten. Auf dem Neusiedler See im österreichischen Burgenland lieferten sich unbemannte Boote jetzt eine Regatta, gesteuert von Computern.

Von Thomas Wagner | 22.05.2008
    Es regnet in Strömen. Zudem ist es für die Jahreszeit viel zu kühl - kein optimales Wetter für einen Segeltörn. Zwei Männer im Ölzeug machen dennoch eine kleine Jolle klar. Das Besondere daran ist....

    "dass auf dem Boot keine Crew ist und das Boot von ganz alleine fährt und wir an Land sitzen und zuschauen. Also wir sitzen im Trockenen. Wie geht das? Am Bord sind mehrere Mikrocontroller, ein Computer und zahlreiche Sensoren. Und das Schiff misst den Wind, seine Position seine Richtung, weiß einen Zielpunkt, zu dem es hin soll, eine Richtung und berechnet sich von alleine den passenden Kurs, um zu diesem Punkt zu kommen."

    Erklärt Raphael Charwot von der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaft, kurz "Innoc". Ort der Szene: Der Yachtclub Breitenbuch am Neusiedler See im Osten Österreichs. "AVS Robot" - so lautet die Aufschrift auf der kleinen Jolle. Der Schriftzug deutet an, um was es geht: Eine Woche lang treffen sich hier vier Teams im Rahmen der ersten Weltmeisterschaften im Roboter-Segeln. Und das ist eine knifflige technische Herausforderung: Während beispielsweise automatische Steuerungssysteme für Motorboote mit einem Rechner, einem GPS-Empfänger und einem Kompass relativ einfach zu bewerkstelligen sind, wird es bei Segelbooten wesentlich schwieriger. Die bewegen sich ausschließlich mit der Kraft des Windes fort - und dies manchmal sogar in die Richtung, aus der der Wind bläst. Innoc-Präsident Roland Stelzer:

    "Das heißt: Wenn das Ziel gegen den Wind ist, dann muss ich einfach im Zick-Zack-Kurs aufkreuzen. Und da berechnet unser System anhand der Daten, die wir vorher eingeben, auf welchem Kurs zum Wind es wie schnell fahren kann. Da berechnet es die optimale Route, die Punkte, wo es wenden muss auf diesem Zickzackkurs."

    Das "Herz" des Schiffes ist somit ein Linux-Rechner, der mit einer Fülle von Sensoren und elektrischen Servomotoren verbunden ist. Die Sensoren ermitteln Windgeschwindigkeit, aber auch die Schräglage des Schiffes und die strömungsbedingte Abdrift. Über einen Kompass und einen GPS-Empfänger kennt der Computer die aktuelle Position. Dennoch ist guter Rat teuer: Wie sieht bei einer gegebenen Windrichtung und einem vorgegebenen Kurs die optimale Segelstellung aus? Darüber streiten sich selbst erfahrene Regatta-Segler. Roland Stelzer:

    "Die Hauptmethode, die wir da verwenden ist 'fuzzy logic.' Und 'fuzzy logic' ist eine Möglichkeit, wie man Expertenwissen in ein Computerprogramm verpacken kann. Also vereinfacht gesagt: So 'wenn-dann'-Regeln kann man in eine Art Programmiersprache übersetzen, und der Computer wird mit diesen Informationen gefüttert. Also wenn der Segler sagt: Wenn der Wind von hier kommt und die Segel so sind, dann muss ich das Segel ein bisschen dichter nehmen und das Ruder ein wenig nach links einschlagen. Und dieses Wissen haben wir mittels 'fuzzy logic' in den Computer verpackt, in ein Programm verpackt, und diesem Computer dieses Expertenwissen weitergegeben."

    Damit wäre so ein segelnder Roboter auf dem Neusiedler See theoretisch immerhin so gut wie der erfahrene Segler, dessen Expertise in das Programm eingeflossen ist. Zukünftig soll der Roboter aber sogar noch besser segeln können, indem er dazu lernt:

    "Es gibt da Algorithmen mit diesem Expertenwissen. Das ist einmal eine gute Basis. Und dann mit anderen Algorithmen oder neuronalen Netzwerken, das sind dann lernfähige Systeme, die sich selbst optimieren. Das heißt: Man bekommt da mal einen bestimmten Grundstock über dieses ‚Fuzzy Logic’-System mit. Und dann macht das Boot seine eigenen Erfahrungen. Und wenn da mal eine Wende nicht so gut geklappt hat, versucht es das ein bisschen zu verändern und optimiert dann selbst noch weiter."

    Eine letzte Funktionskontrolle vor dem Auslaufen der "AVS Robot": Kleine Elektromotoren bewegen Pinne und Schoten. Auf dem Deck befindet sich ein großes Solarpanel, dass die Systeme mit Energie versorgt. Ein kurzer Schubs - und die kleine Jolle segelt scheinbar von Geisterhand bewegt selbständig aus dem Hafen. Roland Stelzer:

    "Aus dem Hafen raus fährt das Boot jetzt selbst. Wir ziehen quasi einen Wegpunkt vor dem Boot her, so wie die Karotte vor dem Esel. Und das Boot versucht immer, diesen Wegpunkt zu erreichen. Wir haben eine Luftaufnahme vom Hafen und können am Computer immer den Wegepunkt vor dem Boot platzieren, es damit aus der Hafenausfahrt rausziehen. Und das Boot folgt dann immer dem Wegepunkt - und dann sind wir draußen."

    In diesem Fall bleibt die kleine Jolle 24 Stunden auf dem Wasser. Alle teilnehmenden Schiffe müssen sich im Dauertest bewähren, beispielsweise stundenlang in engem Radius um eine Boje herumsegeln. In einem weiteren Wettbewerb zählt die Geschwindigkeit. Dabei geht es nicht nur um die Freude an der Technik und am Segeln an sich. José Carlos Alwes vom Team der portugiesischen Universität Porto:

    "Ich denke, wir können unsere Erfahrungen hier auch dazu nutzen, automatische Schiffe zu bauen, die auf lange Distanzen verkehren, beispielsweise über den Atlantik, und das völlig unbemannt. Denkbar wären auch unbemannte Forschungsschiffe, die für lange Zeit unterwegs sind, um in den entlegensten Winkeln Daten zu sammeln. Wir haben genügend Platz in diesen Schiffen, um Messsonden für die unterschiedlichsten Missionen einzubauen."

    Roland Stelzer von der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften glaubt darüber hinaus, dass die Erfahrungen aus dem Wettbewerb langfristig zu mehr Sicherheit auf dem Wasser führen:

    "Das heißt: Der Segler segelt selbst. Wenn er aber aus irgendeinem Grund das Boot nicht mehr unter Kontrolle hat, dann merkt der Computer an Bord dies und unterstützt ihn und hilft dem Segler, das Boot wieder unter Kontrolle zu bekommen."

    Bis dahin ist es derzeit aber noch ein weiter weg: Mal fällt der elektronische Kompass aus, mal spielen die Windsensoren verrückt, mal tauchen mitten auf dem Neusiedler See gravierende Software-Probleme auf. An den Schiffen gibt es noch einiges zu verbessern. Dennoch sind die Teilnehmer zuversichtlich, dass sie im Herbst ein neues Abenteuer angehen können: Die erste Atlantik-Regatta mit unbemannten Roboter-Segelbooten.