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Gekommen und geblieben

Zwischen 1955 und 1973 kamen 9,5 Millionen Gastarbeiter und deren Familienangehörige nach Deutschland. Viele der angeworbenen Arbeitskräfte blieben dauerhaft und erreichen jetzt das Rentenalter. Ihr Armutsrisiko ist hoch, denn das deutsche Sozialsystem ist schlecht auf sie vorbereitet.

Von Ulrike Köppchen | 06.02.2013
    Lied: ""Das Knie, die Hand und auch die Hüfte, alles geht kaputt …""

    "Tja, was macht man für ein Musical mit älteren Darstellern? Die Hand, das Knie, überall zwickt es schon mal, das hat jeder, und das kennt jeder."

    Deutschlands ältestes Seniorentheater bei der Probe. Etwa 30 ältere Menschen in bunten Kostümen stehen im Halbkreis auf der Bühne, singen und stellen Gebrechen des Alters pantomimisch dar: die steifen Gelenke, der krumme Rücken, steife Hüften.

    Seit mehr als 30 Jahren thematisieren die Laienschauspielerinnen und -schauspieler des "Theaters der Erfahrungen" in Berlin-Schöneberg das Leben im Alter. In ihrem wohl bekanntesten Stück, dem Musical "Altes Eisen" geht es außerdem sehr interkulturell zu:

    "Dieses Stück, die alte Eisen, ich bin der Bäcker, Opa Hikmet, kommt von Kasantep, bester Bäcker, aber leider ich nicht mehr krankenversichert, ich mach Unfall, aber liebe Nachbarn alle für mich, Geld sammeln, Banküberfall usw. und alles Mögliche."

    Ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, und im wirklichen Leben ist Hauptdarsteller Durmus Cakmak auch kein Bäcker, sondern Schlosser. 1970 kam er als "Gastarbeiter" der ersten Generation nach Berlin:

    "Ich bin 1970 Berlin gekommen. Ich hab meine Pläne, nur zwei Jahre Arbeit, zwei Jahre später dann gehen Militärübungen machen in Türkei, und dann bleib ich Türkei. Aber jetzt 42 Jahre deutsch."

    Durmus Cakmak ist einer von 9,5 Millionen "Gastarbeitern" beziehungsweise deren Familienangehörigen, die zwischen 1955 und 1973 nach Deutschland kamen. Ursprünglich erhielten sie nur Arbeitsverträge für ein oder zwei Jahre und sollten dann durch neue Gastarbeiter ersetzt werden. Aber es war weder im Sinne der deutschen Industrie, ständig neue Arbeitskräfte anzulernen, noch wollten die Zuwanderer so schnell wieder zurück. Insofern gab man das Rotationsprinzip bald wieder auf.

    Ein großer Teil der angeworbenen Arbeitskräfte blieb dauerhaft in Deutschland und erreicht jetzt allmählich das Rentenalter oder hat es bereits erreicht. Bereits heute leben knapp 1,5 Millionen über-65-Jährige mit Migrationshintergrund in Deutschland. Und ihre Zahl soll sich in den nächsten 20 Jahren mehr als verdoppeln. Die mit weitem Abstand größte Gruppe sind Türkeistämmige, die fast ein Drittel der älteren Zuwanderer ausmachen. Atiye Altüll, festes Mitglied der Gruppe:

    "Geh doch dahin, wo du hergekommen bist. - Wo soll ich hin? Nach Neukölln?"

    "Ich bin hergekommen auch 1970, ich war 23 Jahre alt. Und jetzt 2013 ich bin 66 Jahre alt. Ich war in der Türkei 23 Jahre lang, und ich bin in Deutschland 43 Jahre, fast so doppelt. Wie kann sein fremd? Das gehöre ich hier einfach."

    Vielen älteren Migranten ist über die Zeit in Deutschland die alte Heimat fremd geworden. So geht es auch Durmus Cakmak, dem Bäckermeister Hikmet aus dem Musical "Altes Eisen" - im Theaterstück wie im wirklichen Leben:

    "In Türkei soll ich gehen? Türkei fremdes Land."

    "Wir sind über 40 Jahre hier, dann viele nur Verwandte ist bisschen übrig geblieben, Freundschaft natürlich alles hier. Und dann natürlich Türkei ehrlich fremde Land. Teilweise. Wir gehen wie Touristen."

    Atiye Altül hat sich ihrem alten Leben inzwischen sogar so weit entfremdet, dass sie sich mit ihren Verwandten nicht mehr gut versteht:

    "Wenn ich Sommer da bin, ich habe auch immer Meinungsverschiedenheiten mit den Verwandten sogar. Dass fühle ich dort auch fremd, das ist noch bitterer, als hier fremd zu fühlen. Ich denke, wenn wir nach Türkei zurückgehen, muss man irgendwie einen Platz finden. Die zurückkehrenden Deutschländer sollten dort ein Dorf bauen, vielleicht verstehen uns besser."

    Deutschländer, "Almanci", nennt man Menschen wie Atiye Altül in der Türkei - eine Wortschöpfung aus "alman": deutsch und "yabanci": Ausländer, und die Bezeichnung ist keineswegs freundlich gemeint: Viel zu verdeutscht kommen vielen Türken ihre ausgewanderten Landsleute vor. Doch auch hier fühlen sich viele, gerade ältere "Almanci", nicht richtig zu Hause.

    "Wegen Sprachkenntnisse. Ich fühle mich hier immer halbes Mensch. Weil ich verstehe nicht 100 Prozent. Das bedeutet für mich ein halber Mensch. Ich sag auch immer: Wenn jemand einmal Migranten worden, die werden, wenn wir Wohnung wie ein Land denken: Ich lebe weder Schlafzimmer oder Wohnzimmer, ich lebe im Korridor."

    Viele Angehörige der ersten Zuwanderergeneration sprechen bis heute nur schlecht Deutsch und haben kaum Kontakt zur deutschen Gesellschaft. Als sie nach Deutschland kamen, gab es keine Sprachkurse, auch sonst hat man von deutscher Seite so gut wie nichts für ihre Integration getan.

    Viele Zuwanderer bemühten sich ihrerseits ebenfalls nicht sonderlich um Eingliederung in die deutsche Gesellschaft - wozu auch? Schließlich pflegten beide Seiten die Illusion, der Aufenthalt der Gastarbeiter in Deutschland sei ohnehin nur von kurzer Dauer. Und selbst als diese dann immer länger blieben, hielten beide Seiten an der sogenannten "Rückkehrillusion" fest, spätestens mit der Verrentung würden sie dann doch wieder in ihre Heimatländer ziehen.

    "Vor zehn Jahren vielleicht, ich hab gedacht: nach Türkei zurück. Aber jetzt glaube ich, hier bleibe ich."

    Dem Dilemma "Gehen oder Bleiben?" begegnen viele ältere Migranten dadurch, dass sie einen Teil des Jahres in Deutschland verbringen und einen Teil im Herkunftsland.

    "Ich hab mein Dorf, hab ich auch jedes Jahr gehen und hab meine Dorfleute auch, schöne Zeit gehabt. Aber 14 Tage, drei Wochen höchstens. Drei Kinder leben hier, und meine vier Enkel, natürlich ich Sehnsucht: ach, wo ist mein Familie? Familie lebt hier. Dann ich gehört auch dazu hierhin. Gerne hier leben."

    Auf einen Lebensabend in Deutschland vorbereitet haben sich allerdings die Wenigsten. Helen Baykara-Krumme von der TU Chemnitz:

    "Sicherlich spielt in der ersten Generation eine ganz zentrale Rolle, dass diese Rückkehrabsicht immer vorhanden war und dass vor allen Dingen auch im Herkunftsland investiert wurde. Wir sehen das heute auch noch daran, dass Wohneigentum seltener ist in der ersten Generation zum Beispiel."

    In ein Altersheim wollen sie jedenfalls nicht - für viele ältere Migranten geradezu eine Horrorvorstellung. Die Sozialwissenschaftlerin Meltem Baskaya vom Kompetenzzentrum interkulturelle Öffnung der Altenhilfe, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind:

    "Mittlerweile setzen sie sich anders mit der Thematik auseinander, weil sie sehen, sie haben drei Kinder, alle sind berufstätig und dass keines der Kinder natürlich jetzt im Falle einer Pflege jetzt komplett den Beruf aufgeben wird, und so sind wir immer ständig im Aushandeln, was wäre die Möglichkeit, wenn es ist, wie versorgen wir die Eltern? Holen wir uns die Hilfe von außen? Langsam, langsam tasten wir uns an das Thema heran."

    Viele Migranten sind im Alter auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Häufig kamen sie als ungelernte Arbeiter nach Deutschland und hatten entsprechend schlecht bezahlte, körperlich anstrengende Jobs. Und wenn Personal abgebaut wurde, waren sie oft die Ersten, die gehen mussten.

    "Diese sogenannten prekären Erwerbsverläufe und die brüchigen Rentenbiografien auch, die schlagen sich natürlich dann im Alterseinkommen nieder, und man kann sagen, es ist ein wesentlich höherer Anteil von älteren Migranten arm, wird als arm bezeichnet oder ist von Armut bedroht als bei den gleichaltrigen deutschstämmigen Menschen."

    Peter Zeman vom Deutschen Zentrum für Altersfragen. So liegt beispielsweise das Armutsrisiko älterer ehemaliger Gastarbeiter aus der Türkei und aus Jugoslawien bei 60 Prozent. Doch da man nicht erwartet und auch nicht gewollt hatte, dass sie hier wirklich ihr Alter verbringen, war das Sozialsystem schlecht auf diese spezielle Klientel vorbereitet.

    "Sie haben natürlich das volle Zugangsrecht zu sämtlichen Errungenschaften des deutschen Wohlfahrtsstaates. Sie sind anspruchsberechtigt in jeder Hinsicht, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man das dann auch nutzt und dass man dann auch wirklich mit offenen Armen aufgenommen wird, und Menschen, die sich ohnehin häufig diskriminiert fühlten, gerade auch durch Behörden und Institutionen, hatten da sicher auch gewisse Ressentiments."

    Nachdem ältere Migranten lange Zeit weder in Politik noch Sozialarbeit ein Thema waren, stellten verschiedene Akteure der Wohlfahrtsverbände im Jahr 2002 ein Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe vor. Dessen Ziel es war, Zugangsbarrieren zu überwinden und den Zuwanderern die Nutzung der Institutionen der Altenhilfe zu erleichtern.

    Ausgangspunkt für diesen Versuch einer interkulturellen Öffnung war, dass den Migrationssozialarbeitern in den Wohlfahrtsverbänden auffiel, dass ihre Klientel plötzlich mit neuen Anliegen auftauchte. Zum Beispiel Derya Dietrich-Wrobel vom Sozialverband VdK:

    "Ich hab die älteren Migranten beraten, damals geht es um die allgemeine Beratung. In der Zeit ich hab gemerkt, ich hatte ganz viele sogenannte junge alten Migranten um die 50, 60 Jahre alt sind, und die hatten sehr gravierende demenzielle Merkmale, ohne Demenzdiagnose, ohne Pflegestufe, ohne das zu wissen oder merken, aber ich hab das viel mitgekriegt und ich dachte, in diesem Gebiet sollte man was machen."

    Derya Dietrich-Wrobel, die selbst als Schauspielstudentin aus der Türkei nach Deutschland kam und hier blieb, richtete beim VdK ein Informationszentrum für an Demenz erkrankte Migranten ein. Dass Zuwanderer der ersten Generation häufig vorzeitig an Demenz erkranken, liegt daran, dass die körperlichen und seelischen Belastungen durch die Migration sie schneller haben altern lassen, sagt Derya Dietrich-Wrobel. Wahrhaben wollten das viele Betroffene und ihre Angehörige jedoch nicht, denn Demenz ist bei vielen Migranten nach wie vor ein Tabu:

    "Demenz wird ja auch übersetzt türkischen Sprache: bunak. In Arabisch hab ich mir sagen lassen, ist genauso ein Wort, das bezeichnet wird als Demenz im Volksmund, und das ist eine sehr, sehr erniedrigende Wort, das kann man vergleichen wie - Entschuldigung - Vollidiot, wie bekloppt."

    Treten Demenzsymptome auf, versuchen Betroffene und Angehörige, das Problem so lange zu ignorieren, wie es geht, und gegenüber dem Umfeld zu verbergen.

    "Dann isolieren sich ganze Familien. Dann wird dann weniger Besuch empfangen, nach außen wird das richtig verleugnet und auch nicht gezeigt. Aber natürlich man kann diese Erkrankung nicht lange verstecken."

    In Derya Dietrich-Wrobels Büro liegen Faltblätter auf Polnisch, Arabisch oder Türkisch, die über Hilfsangebote und Behandlungsmöglichkeiten informieren. Doch einfach nur in der Beratungsstelle sitzen und auf Klienten warten, bringt nichts, hat sie schnell festgestellt. Sondern man muss dahin gehen, wo die Menschen sind:

    "Ich habe am Anfang vor den Supermarkt Flyer verteilt muttersprachlich. Ganz einfache Texte: Kostenlos. Beratung. Helfen. Ganz einfache Wörter. Und immer wieder gesagt, uns gibt es. Wenn Sie Probleme haben, kommen Sie zu uns, wir gucken. Wenn das dann klar wird in den Köpfen, kommen die Leute auch gerne."

    Als der Bäcker Hikmet aus dem Musical "Altes Eisen" voller Stolz auf seine gelungenen Mozartkugeln, Baklava und Erdbeertorten in einen spontanen Tanz ausbricht und dabei prompt stürzt, hat er ein Problem: Die Hüfte ist kaputt, und er hat keine Krankenversicherung. Doch die guten Nachbarinnen sammeln für ihn Geld, planen sogar einen Banküberfall. Im wirklichen Leben müsste man wohl kaum zu solch drastischen Maßnahmen greifen.

    Gerade in Gebieten mit hohem Migrantenanteil hat sich inzwischen ein beachtliches Spektrum an kulturspezifischen Beratungs- und Informationsangeboten entwickelt: Private arabische und türkische Pflegedienste, die ihre Klienten in deren Muttersprache und gemäß deren kulturellen und religiösen Gewohnheiten betreuen.

    Multikulturelle Seniorenheime, Gärten der Kulturen, Nachbarschaftsprojekte und vieles mehr. Also alles auf dem richtigen Weg? Die Soziologin Helen Baykara-Krumme sieht die Entwicklung nicht nur positiv:

    "Das Problem ist weiterhin, dass Aktivitäten vor allen Dingen in Modellprojekten stattfinden, und das ist ganz wichtig um auszuprobieren, wie man am besten mit dieser neuen Vielfalt im Alter umgeht und wie man den Bedürfnissen der Menschen am besten gerecht wird.

    Aber eigentlich müssten wir inzwischen an dem Punkt angelangt sein, wo wir aus all diesen Modellprojekten der vergangenen Jahrzehnte unsere Lehren ziehen und diese Erfahrungen dann in die Regelangebote, in die Regelinstitutionen übernehmen. Und daran hapert es nach wie vor."

    Es fehle an der politischen Wahrnehmung des Problems, sagt Helen Baykara-Krumme. Die Sozialarbeiterin Derya Dietrich-Wrobel vom VdK sieht sogar eine Verschlechterung der Situation: Mit der Einführung der Pflegestützpunkte 2008 als örtliche Anlauf-, Beratungs- und Koordinierungsstellen sei das Ziel einer interkulturellen Öffnung der Altenhilfe wieder in den Hintergrund getreten.

    "Wir haben mehr als 30 Pflegestützpunkte. Gucken Sie doch mal, wie viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund arbeiten da? Sie finden kaum einen. Ich wünsche mir persönlich, dass sich diese sogenannten Pflegestützpunkte noch mehr mit dem Thema interkulturelle Öffnung beschäftigen. Also, Migranten sollten nicht Migranten beraten und Deutsche die Deutschen, wir haben das schon diskutiert, und das liegt schon mehr als zehn Jahre zurück, und warum sollen wir jetzt wieder von vorne anfangen?"

    Wenn die Regel-Institutionen der Altenhilfe sich nicht um die Belange der Migranten kümmern, droht der Aufbau von Parallelstrukturen, warnt Derya Dietrich-Wrobel. Und wenn soziale Fragen, zum Beispiel wie man den Menschen den Zugang zu den Hilfesystemen erleichtert, ethnisch getrennt bearbeitet werden, ist das der Integration älterer Migranten unter Umständen wenig förderlich. So sollte "kultursensible" Altenhilfe jedenfalls nicht verstanden werden, betont Meltem Baskaya vom Kompetenzzentrum interkulturelle Öffnung der Altenhilfe:

    "Kultursensibel heißt ja nicht Ethnisierung, sondern genau das, was wir in der Altenhilfe immer postulieren: Biografie-orientiert. Wir müssen einfach sagen, dass Regeleinrichtungen bei der Gruppe nicht Biografie-orientiert arbeiten wollten, konnten, durften, je nachdem, und dass dementsprechend sich andere Angebote draus herauskristallisiert haben.

    Es ist nicht unser Ziel, dass wir sagen, wir bauen jetzt eine Einrichtung nur für Türken, wir haben ja schon an einem Beispiel gesehen, dass das nicht funktioniert, vielmehr geht es darum, dass die Menschen, die in ihrem Einzugsgebiet bleiben wollen und die Einrichtungen im Sinne ihres Auftrags der Daseinsfürsorge da auch drauf reagieren müssen."

    Entsprechend bemüht sich das Kompetenzzentrum Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe zum einen um eine Sensibilisierung der Mitarbeiter in den Kommunen und zum anderen darum, gemeinsame Angebote für Migranten und Einheimische zu schaffen:

    "Unsere Aufgabe ist es, Projekte oder Initiativen anzustoßen und zum Beispiel: Wie können wir ältere Zuwanderer mit älteren Einheimischen in einer Seniorenfreizeitstätte als ein neues Projekt initiieren?"

    Das gestaltet sich aber oft schwierig, weil es auf beiden Seiten Vorurteile und Berührungsängste gibt und angesichts klammer öffentlicher Kassen auch Verteilungskonflikte drohen, meint Peter Zeman vom Deutschen Zentrum für Altersfragen. Insofern sei es sozialpolitisch unklug, die Gruppen der Einheimischen und der Senioren mit Migrationshintergrund scharf gegeneinander abzugrenzen.

    "Es sind ja häufig auch nicht ethnische Probleme, sondern es sind soziale Probleme, um die es geht. Aber sicher gibt es auch viele Sprachbarrieren, die müssen auch überwunden werden. Also man darf bei solchen Versuchen, Gemeinsamkeit herzustellen, nicht zu sehr auf die Sprache setzen. Man muss auf andere Sachen setzen, was weiß ich, Musik, Tanzen, Kochen, einen Garten anlegen, einen Ausflug zusammen machen, aber nicht so sehr kognitiv-sprachlich."

    Vielfalt zulassen und tolerieren - ja, meint der Altersforscher, aber gleichzeitig kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Zugewanderten nicht über die Maßen betonen. Denn im Grunde ähnelten sich beide Gruppen im Alter doch sehr:

    "Also wenn ich mir Untersuchungen anschaue über ältere Migranten, dann frage ich mich manchmal: Wo ist denn eigentlich das Besondere? Da gibt es Variationen, da gibt es graduelle Unterschiede, aber viele Bedürfnisse sind vom Grund her wesentlich gemeinsam, und das ist einfach der Wunsch nach einer gewissen materiellen Sicherheit, der Wunsch nach zufrieden stellenden sozialen Kontakten, nach Gesundheit."

    Und manches, was in der öffentlichen Wahrnehmung als kulturell unterschiedlich erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Mythos. Zum Beispiel die Vorstellung von der harmonischen Gastarbeiter-Großfamilie, die jeden kranken Angehörigen zu Hause betreut. Aber auch das Bild vom einsamen deutschen Rentner, der in einem Pflegeheim vor sich hin vegetiert. Helen Baykara-Krumme:

    "Was wir aber feststellen gerade in Bezug auf die Familie ist, dass in vielen Migrantengruppen - und jetzt kann ich wieder am besten über die Türkeistämmigen sprechen – die Familienorientierung sehr stark ist, also die Erwartungen an Familienmitglieder, dann im Alter auch die Pflege zu übernehmen, dass das sehr viel stärker ausgeprägt ist als in der einheimischen Bevölkerung.

    Aber ansonsten in dem faktischen Unterstützungsverhalten die Unterschiede dann doch gar nicht so groß sind in den Generationenbeziehungen. Wir wissen, auch in einheimischen deutschen Familien findet Pflege überwiegend im Familienkontext statt, und dies ist eben auch in Migrantenfamilien so."