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Gelungene Screwball-Komödie

Bradley Cooper als bipolar Gestörter und Jennifer Lawrence als traumatisierte Witwe stehen im Mittelpunkt von "Silver Linings". In seiner Tragikomödie, die von grandios getimten, witzigen Dialogen lebt, zeichnet David O. Russell ein präzises Porträt der US-Mittelschicht und ihrer Rituale.

Von Hartwig Tegeler | 02.01.2013
    Nun, gut, dass Pat seine Emotionen nicht so ganz im Griff hat, dass kann man angesichts einer des Nachts zu Ende kommenden Hemmingway-Lektüre konstatieren. "In einem anderen Land/A Farewell to Arms" fliegt durchs Fenster. Und die Eltern, bei denen der erwachsene Sohn untergekommen ist, sind nun wach:

    Pat: "Von Anfang an hofft man, dass dieser Hemmingway-Fuzzi den Krieg überlebt und die Frau seiner Träume abkriegt."
    Mutter: "Es ist vier Uhr in der Früh, Pat."

    Recht hat die Mutter, die wie Pats Vater den Mund nicht mehr zu bekommt.

    Pat: "Sie stirbt, Papa. Ich meine, die Welt ist schon schwer genug. Kann er nicht sagen, hey, lasst die Geschichte doch gut ausgehen."
    Mutter: ""Pat, du schuldest uns eine Entschuldigung."
    Pat: "Mama, ich kann mich nicht entschuldigen, dafür entschuldige ich mich nicht. Aber wisst ihr, was ich tue, ich entschuldige mich im Namen von Ernest Hemmingway. Denn der ist der Schuldige hier."
    Vater: "Ja, sag Hemmingway, er soll selbst anrufen und sich auch bei uns entschuldigen."

    Das mit der sogenannten "Normalität", das hält sich bei Pat, Hauptfigur in David O. Russells Film "Silver Linings" in Grenzen, allerdings auch schon, bevor der Lehrer seine Gattin samt Liebhaber in flagranti erwischte, letzteren verprügelte, und nun zurück ist im Alltag, nach acht Monaten Psychiatrie, ausgestattet mit der Diagnose "bipolare Störung". Im Handgepäck außerdem die Philosophie, dass man immer einen Hoffnungsschimmer, einen "Silberstreif", am Horizont erkennen kann. "Silver Linings" eben. Pats neues Leben ist allerdings umstellt mit Typen, denen man Normalität ebenfalls nur mit sehr gutem Willen unterstellen mag. Beispiel: Pats Vater.

    "Ich weiß nicht, was das soll. Dosierst du deine Medikamente auch richtig?"

    Pat sen., Liebhaber exzessiver Football-Wetten…

    "Und du nimmst auch nicht ein paar zuviel?"

    … hat Stadionverbot, so wie Pat jun. verboten ist, sich seiner Ex zu nähern. Familiengemeinsamkeiten. Und zu all dem tritt noch hinzu Tiffany. Tiffany hat ihren Mann verloren und ist wie Pat Spezialist in Sachen Psychopharmaka. Erwähne das alles nicht, bittet der beste Freund Pat vor der ersten Begegnung mit ihr.

    "Hey, Tiffany, das ist Pat.
    Du siehst nett aus.
    Danke.
    Wie ist Tommy gestorben?"

    Soweit zu Pats neu gewonnener Selbstbeherrschung. Oder zu seiner Sensibilität, wenn es um Tiffanys Traumabewältigung geht, bei der sie mit all ihren Arbeitskollegen schlief. Der Job war dann weg.

    "Wirklich mit allen?
    Ich war sehr depressiv, als Tommy gestorben ist.
    Wir müssen nicht darüber reden.
    Danke.
    Wie viele waren es?"
    Hier, beim Treffen, macht der Ton die Musik, besser der Rhythmus. Es sind grandios getimte, witzige und treffsichere Dialoge, die sich Bradley Cooper und Jennifer Lawrence in David O. Russells Tragikomödie liefern. Und man kann bei "Silver Linings" den Eindruck bekommen, dass die beiden Widergänger der alten Screwball-Comedy-Helden Katharine Hepburn und Cary Grant oder Claudette Colbert und Gary Cooper sind.

    "Ich will, dass wir Freunde sind. Hast du das gehört? Warum machst du es mir eigentlich so schwer?
    Willst du in dem Laden da mit mir essen?
    Hol mich zum 7:30 Uhr ab."

    Dass Tiffany Pat Hilfe anbietet, seine Ex wieder zu erobern - Bedingung: Teilnahme an einem Tanzwettbewerb -, dass sie sich dabei irgendwie ineinander vergucken, das alles ist das Gebinde der Geschichte von "Silver Linings", so, wie es sich eben auch für eine zeitgenössische Screwball-Comedy gehört. Das alles wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn es "Silver Linings"-Regisseur David O. Russell nicht gelingen würde, unter diesen Genreelementen ein präzises, detailreiches Porträt der US-Mittelschicht und ihres Ausfransens an den Rändern zu zeichnen. Und dabei ein satirisches Feuerwerk zu zünden. Die Rituale der Familien- und Nachbarschaftsbeziehungen, das Essen, die Einrichtung der Häuser, die Besessenheit für den Football, sie verbinden sich in "Silver Linings" zu einem Mikrokosmos voller schräger und skurriler Typen, die ja schon Russels frühere Filmen "I love Huckabees" oder "Three Kings" bevölkerten. Bradley Cooper und die für ihre Rolle in "Winter's Bone" für einen Oscar nominierte Jennifer Lawrence spielen dabei den bipolar Gestörten und die traumatisierte Witwe mit einer großartigen Intensität. Durchgeknallt.
    "Ich habe Müsli bestellt, dass man dies auf keinen Fall für ein Date halten kann.
    Es kann aber auch ein Date sein, wenn man Müsli bestellt.
    Es ist kein Date!"

    Durchgeknallt, wie gesagt, aber tief berührend und überzeugend in ihrem verzweifelten, aber immer auch widersprüchlichem Versuch, in das sogenannte normale Leben zurück zu kehren. Wobei die romantische Liebe das Mittel der Wahl wäre. Wäre! Zumindest - sagt David O. Russell - für einen Moment. Denn am Ende gibt es zwar immer irgendwo einen "Silberstreif am Horizont" - "silver linings" -, aber die Lust, anders zu sein in dieser an sich sowieso sehr absonderlichen David-O.-Russel-Welt, die ist Pat und Tiffany übers Ende hinaus zum Glück nicht auszutreiben.