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Gelungenes turbulentes Scharmützel

Die Oper "Attila" von Giuseppe Verdi kann nur wenige Bühnen erobern. Peter Konwitschny inszeniert die Geschichte über das turbulente Scharmützel zwischen dem Hunnenkönig und seinen römischen Kontrahenten am Theater an der Wien.

Von Jörn Florian Fuchs | 10.07.2013
    Bis zum fünften Bild bleibt es erstaunlich ruhig im Zuschauerraum, doch dann bricht plötzlich ein Sturm der Entrüstung los. Einigen Premierenbesuchern wird Peter Konwitschnys Verdi-Party jetzt wohl doch zu viel. Minutenlang liefern sich zwei unversöhnliche Lager eine verbale Schlacht, während Dirigent Riccardo Frizza immer wieder versucht, mit dem Taktstock für Ordnung zu sorgen – vergeblich. Mehrfach faltet er die Hände wie zum Gebet.

    Frizzas Mienenspiel bei diesem Tumult war ein Höhepunkt dieser auch sonst in jeder Hinsicht fulminanten Aufführung. Wie Frizza und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien Verdis neunte Oper musikalisch in Szene setzen (bestens unterstützt vom Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner und dem Kinderchor Gumpoldskirchner Spatzen unter Elisabeth Ziegler), ist schlicht phänomenal.

    Breite Farben und zügige Tempi sorgen für einen nervenaufreibenden Opernreißer. "Attila" wurde 1846 uraufgeführt, also nach dem Welthit "Nabucco". Das Libretto stammt von Temistocle Solera (es wurde vollendet von Francesco Maria Piave) und führt mitten hinein in turbulente Scharmützel zwischen dem Hunnenkönig und seinen römischen Kontrahenten. Attila sieht sich mit gleich drei Gegnern konfrontiert, da ist Ezio, der zwar eigentlich Rom dient, aber auch ganz eigene Machtinteressen verfolgt – er will mit dem Hunnen paktieren. Durch einen Zufall gerät die Tochter eines von Attila ermordeten Herrschers in seine Fänge, der Wunsch nach Rache ist ihr einziges Ziel, während Attila sich in sie verliebt. Schließlich taucht noch Odabellas Verlobter Foresto auf, der sehr eifersüchtig und sehr zornig ist.

    Verdi komponierte für diese mit einigen logischen Unschärfen versehene Geschichte zwar tolle Theatermusik, doch fehlen wirkliche Ohrwürmer. Vieles wird auf rumpelnde Oberfläche gebürstet, selbst die vokalen Soli haben oft etwas Derbes. Eine Inszenierung von "Attila" sucht man auf den Spielplänen der meisten Opernhäuser vergeblich. Das Theater an der Wien wagt es und beauftragt damit just jenen Peter Konwitschny, dem in letzter Zeit kaum mehr etwas gelang, der ausgebrannt wirkte und sich vor allem selbst zitierte.

    Konwitschny lässt das Stück zunächst in einem zerschossenen Bühnenrund spielen, mit kahlen Baumattrappen und Attilas Mannen als herumtollenden Kindern. Man fährt Roller, hantiert mit Spielzeugwaffen, Odabella (prägnant: Lucrecia Garcia) rauscht samt Amazonenschwestern herbei und schon ergeben sich ganz wunderbare Szenen. Attila fährt auf einem Leiterwagen, gekämpft wird mit Waffen aus Küchengeschirr. Wenig später erscheint Ezio, geschmückt mit einem gammligen Schal in den italienischen Landesfarben.

    Während Liebes- und Sehnsuchtsszenen ziehen Spielzeugvögel über den Protagonisten ihre Kreise, doch dann zieht Konwitschny andere Seiten auf. Aus der infantilen Feier wird blutiger Ernst, hübsche Chordamen hauchen beim Russisch Roulette ihr Leben aus (singen aber weiter!), bis sich zum blutig-ironischen Finale alle in Rollstühlen oder hinter Rollatoren wieder finden.

    Sie sind zu kindlichen Greisen mutiert, Odabella meuchelt fleißig mit einem Plastikmesser, wobei die bloße Andeutung schon ausreicht, um Attila, Ezio und sogar Foresto an Herzschwäche sterben zu lassen. Sie selbst siecht nach getaner Arbeit auch bald dahin. Trotz oder gerade wegen der vielen Albereien gehen die wenigen ernsten Momente umso mehr unter die Haut. Am Ende überwogen deutlich die Bravos für die Regie.

    Auch sängerisch hatte der Abend kaum Luft nach oben, Nikolai Schukoff sang den Foresto zwar etwas verhalten, dafür punkteten George Petean als Ezio und Dmitry Belosselsky in der Titelpartie.