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Gemeinsame Orte der Erinnerung

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs traf sie der Zorn der polnischen Bevölkerung besonders hart: die ethnische Minderheit der in Polen lebenden Deutschen. Heute scheinen die Wunden allmählich verheilt. Wie zum Beispiel in Olsztyn, dem früheren Allenstein, wo es sogar einen gemeinsamen Friedhof für Masuren und Polen gibt.

Von Sabine Adler |
    Christian Ryczynski aus dem sächsischen Crimmitschau ist auf Spurensuche. Auf dem evangelischen Friedhof an der Allee der Polnischen Streitkräfte inspiziert er jeden Grabstein. Seitdem er Rentner ist, kommt er öfter nach Allenstein beziehungsweise Olsztyn, wie der Ort auf Polnisch heißt.

    "Ich suche meine Verwandten, die ich nie kennengelernt habe, und die hier 1945 oder früher gestorben sind. Die sind zerrissen worden. Sie könnten hier irgendwo sein.

    Ich hatte gedacht, es geht schlechter, dass man als Deutscher hier schlechter aufgenommen werden würde, aber da kann ich mit keiner Silbe sagen. Man wird nicht mit offenen Armen, aber man wird als Nachbar aufgenommen."

    Heute leben Polen in dem Haus seiner Familie, er hat akzeptiert, dass sie ihn nicht hereinbaten, als er vor ihrer Tür stand.

    Nur wenige Meter weiter, ebenfalls an der Allee, die früher Königsstraße bzw. Adolf-Hitler-Allee genannt wurde, liegt der Ehrenfriedhof, zum Gedenken an die Gefallenen während der beiden Weltkriege. Um keinerlei falscher Heldenverehrung Raum zu bieten, stehen auf den 68 Holzkreuzen nur Namen, keine Dienstgrade. Die Anlage wird von der Deutschen Minderheit gepflegt. Marek Golosek erneuert gerade alle Kreuze.

    "Das Holz bekommen wir von einem Tischler zu einem guten Preis. Er gibt uns hochwertiges Holz, Eiche. Eine andere Firma beschriftet sie mit den Namen."

    Otto Tuschinski, der mit 80 Jahren zu den wenigen gehört, deren Eltern Deutsche waren, erinnert sich auf dem Friedhof an weitaus schwierigere Zeiten. Ermländer und Masuren, wie sie sich heute nennen, um den Begriff Ostpreußen zu vermeiden, wurden nach dem Krieg zwangspolonisiert. Alle bekamen polnische Vor- und Nachnamen. Auch bei dem damals elfjährigen Otto Tuschinski wollte die polnischen Behörden so verfahren.

    "Die Mutter sagte, nein, die Vornamen bleiben, wie sie sind. Und dann hatte ich in der Polenzeit viele Pluspunkte wegen des Nachnamens Tuschinski, aber Hunderte Minuspunkte wegen meines Vornamens Otto."

    Der größte Teil der deutschstämmigen Masuren hatten sich während des Dritten Reiches als sogenannten Volksdeutsche registrieren lassen, die Männer wurden eingezogen, an die Front geschickt. Die Polen mussten Zwangsarbeit auf deutschen Höfen verrichten, wurden unterdrückt, im bis dahin mehrsprachigen Masuren durfte kein Polnisch mehr gesprochen werden. Nach dem Krieg wurden die Deutschen zur Verantwortung gezogen, die noch da waren: Ermländer und Masuren. Sie gehörten nicht zu den vertriebenen Deutschen, sondern wurden von der polnischen Regierung zu Autochtonen erklärt, zu Polen gehörig. Sie durften nicht ausreisen, denn die Region war wegen Krieg, Flucht und Vertreibung fast entvölkert. Man musste lernen, wieder miteinander auszukommen.
    "Nach zwei Jahren, 1947, da bekamen wir eine Anerkennung, da wurden wir Hiesige genannt, Ermländer, Masuren, nicht diese Schimpfwörter: Deutscher, Germanez, Hitlerowez."

    Es brauchte Zeit, bis nach den deutschen Verbrechen eine Versöhnung und Annäherung wieder möglich war, wenngleich die ältere Generation Mühe hatte: Die einen, die Schuld zu bekennen, die anderen mit der Vergebung. Und doch ist es gelungen.

    "Wir wurden dann ganz stark anerkannt, aber man wusste immer, dass man die zweite Kategorie ist. Denn die älteren Polen sind ja deutschhassig. Die hassen die Deutschen. Die haben alle gelitten, die haben was durchgemacht, das kann man dann ja auch verstehen.. Jetzt weiß ich nicht, wie die Jugend dazu steht. Die sind ja mit England und Amerika verbunden. Ja so bin ich alt geworden und hier geblieben."

    Dass Otto Tuschinksi noch einmal erlebt, an einer Bundestagswahl teilnehmen zu können und dass daran in Olsztyn noch nicht einmal jemand Anstoß nimmt, hätte er sich nicht träumen lassen.

    Mehr zum Thema am 21. September in:
    Gesichter Europas: Suleyken war nicht zärtlich
    Die wechselvolle Geschichte der Masuren-Deutschen (DLF)