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Gemischte Gefühle

Ein Jahr nach dem Beitritt zur EU ist Polen in Europa angekommen. Das meint nicht nur die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Das meinen auch die Jugendlichen aus Deutschland, die in Polen ihr soziales Jahr absolvieren und mit persönlichem Einsatz versuchen, dem Nachbarn im Osten näher zu kommen. Victoria Eglau hat nach ihren Erfahrungen gefragt.

26.07.2005
    Eine Kneipe in Lublin, zwei Zugstunden von Warschau entfernt. Yvonne Joachim, Studentin aus Magdeburg, beugt sich über den Tresen und bestellt Getränke – auf Polnisch. Die Barfrau hört freundlich zu, gießt Saft und Limonade ein.

    "Ich glaube, es gibt viele Polen, die sich wirklich auch freuen. Also, auch wenn sie merken, dass man wirklich schlecht spricht, die sich Mühe geben, die auch versuchen, einen zu verstehen, auch wenn es manchmal nicht einfach ist."

    Yvonne nimmt die Gläser, trägt sie an den Tisch, wo ihre deutschen Freunde Maike und Jannek warten. Beide sind Freiwillige der Aktion Sühnezeichen und für ein Jahr in Polen. Yvonne macht ein Praktikum in der nahe gelegenen KZ-Gedenkstätte Majdanek. Alle drei haben während ihres Aufenthaltes angefangen, Polnisch zu lernen.

    "Man spricht was, und gerade wenn das ältere Leute sind, die sagen dann sofort 'Bardze dobrze … po polsku', also, du sprichst wunderbar Polnisch, weiter, weiter. Und man weiß ganz genau, es war nicht gut, aber na ja."

    Schade, dass die mühsam erworbenen Sprachkenntnisse oft nur für Smalltalk reichen, sagt Maike, Abiturientin aus Baden-Württemberg. In Lublin arbeitet sie in einem Theater und Kulturzentrum, das sich mit der jüdischen Geschichte der Stadt beschäftigt. Und sie hilft in einer Behinderteneinrichtung. Jannek kommt aus Berlin und arbeitet in Warschau, im Jüdischen Historischen Institut. Aus gesundheitlichen Gründen muss er weder Wehr- noch Zivildienst leisten, trotzdem entschied er sich für ein freiwilliges Jahr in Polen.

    "Ich find’s halt schade, dass Osteuropa so 'n bisschen vergessen wird. Außerdem kommt noch hinzu, dass mein Opa in Oberschlesien geboren ist, und ich sozusagen noch ne familiäre Verbindung dazu habe (…) Dazu kam halt noch, dass ich halt dachte, okay, das ist ein Land, das mit am meisten unter dem Nationalsozialismus gelitten hat. (…) Einfach so aus dem Bedürfnis, Polen was Besseres zu bringen als die Generation meiner Großeltern."

    Maike macht einen Anruf von ihrem Handy, erzählt dann von dem Erstaunen, mit dem manche Polen auf die Freiwilligen aus Deutschland reagieren.

    "Der allgemeine Trend ist, warum Deutsche in Polen? Warum, warum nur? Warum kommt Ihr von Eurem Paradies hierher? Ich würde sagen, das ist fast das Häufigste, was einem passiert. Die meisten können es einfach nicht verstehen. Und wenn man dann noch sagt, dass es einem gut gefällt, und man sich wohl fühlt, dann ist es ganz am Ende."

    Maike und Jannek bekommen als Freiwillige der Aktion Sühnezeichen 180 Euro im Monat, plus Miete. Dass er damit mehr verdient als einige seiner ausgebildeten polnischen Kollegen, war für Jannek eine überraschende Entdeckung.

    "Ich hab’s zufällig mal mitgekriegt. (…) Und das hat mich erschreckt. Und ich würde das denen auch nie sagen."

    Maike passierte es mehrmals, dass sie nach dem Einkommen ihrer Eltern gefragt wurde, oder danach, was in Deutschland ein Brot kostet. Sie und die anderen jungen Deutschen mussten sich erst daran gewöhnen, dass sie in Polen als Vertreter eines reichen Landes wahrgenommen werden. Neu war auch die Erfahrung, für deutsche Politik verantwortlich gemacht zu werden. Maike erzählt von einem Erlebnis bei einem Konzert – letztes Jahr, auf dem Höhepunkt des Streits über ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin.

    "Ein Musiker hat nur gehört, wie wir Deutsch geredet haben, und hat sich dann umgedreht und meinte so, auf Deutsch: Grüßt Erika Steinbach von mir. Und hat sich umgedreht und ist gegangen. Wir standen alle da wie vor den Kopf geschlagen, grad in Polen angekommen, und vor allem, er hat sich dem nicht gestellt."

    Bei dem Gedanken daran, wie sie auf die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen angesprochen wurde, wirkt Maike noch immer konsterniert. Doch sie und die anderen betonen: Solche Erlebnisse sind die Ausnahme. Erstaunt sind sie über das Interesse, das ihnen in Polen entgegen gebracht wird:

    "Uns sind schon die verrücktesten Sachen passiert, dass unsere Telefonnummern an irgendwelche Zeitungen und Radiosender weitergegeben wurden, weil da sind doch die paar Deutschen, die könnte man doch zu dem Thema auch mal interviewen. (…) Also das ist krass, was da für ein Interesse da ist: Wie denkt ihr darüber? (…) Du als Deutsche, sag doch mal!"