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Gendiagnostik in Deutschland

Medizin. - Craig Venter - der Star unter den Genetikern - hat jetzt wirklich alle Hüllen fallen lassen, denn er veröffentlichte im Internet ist seine gesamte DNA-Sequenz. Doch nicht jeder dürfte diesem Beispiel folgen wollen, könnten sich doch darin auch Schwächen offenbaren. Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche über Venters Initiative.

    Monika Seynsche: In Deutschland dürften die meisten Menschen zu einem solchen Erbgut-Striptease wohl nicht bereit sein. Beim Thema Gentest denken die meisten an Missbrauchsmöglichkeiten, an Arbeitgeber und Versicherungen, die sich durch einen Blick in die genetischen Karten den perfekten Arbeiter oder Kunden aussuchen möchten. Solche Befürchtungen greift auch der Bundestag auf, derzeit wird über ein Gentestgesetz beraten – wieder einmal. Die Berlin Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat sich vorgenommen, Euphorie und Befürchtungen erst einmal beiseite zu lassen, und nach den Fakten rund um die "Gendiagnostik in Deutschland" zu suchen. Unter diesem Titel stellte sie heute eine Aktualisierung ihres Gentechnikberichtes vor. Volkart Wildermuth hat den schmalen Band schon einmal durchgesehen, wie haben sich die Gentests denn entwickelt?

    Volkart Wildermuth: Vor allem sind es immer mehr geworden. Inzwischen sind die genetischen Hintergründe von 3500 Erbkrankheiten bekannt, zum Teil gibt es mehrere Hundert Mutationen, die zu ihrem Ausbruch führen können. In den letzten Jahren wurde jeden Tag eine neue genetische Besonderheit entdeckt. Nebenbei, Deutsche Forscher sind für etwa neun Prozent dieser Genfunde verantwortlich, Tendenz steigend. Für diese Befunde interessieren sich nicht nur die Wissenschaftler selbst, auch in der ärztlichen Praxis spielen die Gentests eine immer größere Rolle. Alle fünf Jahre verdoppelt sich die Zahl der genetischen Untersuchungen, das zeigen die Statistiken der Krankenkassen – Gentests sind also ein Wachstumsindustrie.

    Seynsche: Nun gelten Gentests ja als eine ganz besondere medizinische Untersuchung. Eigentlich soll der Patient vor dem Test aufgeklärt und hinterher beraten werden. Schließlich kann das Ergebnis ja seine Lebensperspektiven verändern und sogar für seine Verwandten Bedeutung haben. Ist diese umfassende Betreuung denn gewährleistet?

    Wildermuth: Ja und nein. Die Berlin Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat herausgefunden, dass die Zahl der genetischen Beratungen längst nicht in dem gleichen Maße ansteigt. Früher wurden die meisten Gentests im Rahmen der Familienplanung vorgenommen, oft bei Paaren, die schon ein erkranktes Kind bekommen hatten. Dabei geht es tatsächlich um künftige Krankheitsrisiken. Inzwischen setzen Ärzte Gentests aber auch ein, um schon ausgebrochene Leiden genauer diagnostizieren und dann besser behandeln zu können. In diesem Fall gibt es einen konkreten Nutzen für den Patienten, die Kosten-Nutzenabwägung eines Gentests sieht also viel besser aus. Die Beratung wird deshalb meist vom behandelnden Arzt und nicht von einem Humangenetiker vorgenommen. Probleme sieht der Gentechnologiebericht auf einem anderen Feld: derzeit werden alle Gentests von den Kassen übernommen. Wenn es über immer mehr Möglichkeiten gibt, wird man fragen müssen, wann so ein Test Sinn macht und die Kosten deshalb übernommen werden sollten. Die Tendenz geht dahin, zu sagen, dass Gentests nur bei einem konkreten Verdacht auf das Vorliegen einer Erbkrankheit eingesetzt werden sollten.

    Seynsche: Es gibt ja immer die Sorge, dass Versicherungen und Arbeitgeber das Ergebnis von Gentests erfahren wollen, gibt es dafür schon konkrete Anlässe in Deutschland?

    Wildermuth: Ja, aber nur wenige. Die Versicherungen haben sich in einem Moratorium verpflichtet, bis 2011 auf Gentests zu verzichten. Es gab dieses Jahr einen Fall, wo einem Mann mit einer erblichen Blutkrankheit eine Zusatzversicherung verweigert wurde. Der Gendefekt wurde dabei durch eine Blutuntersuchung aufgedeckt. Ein Gericht hat aber mit Verweis auf das Moratorium entschieden, dass der Mann versichert werden muss. Bei den Arbeitgebern gibt es weltweit bislang kein großes Interesse an Gentests - die einzige Ausnahme sind ausgerechnet die Deutschen, die bei der Verbeamtung umfassende medizinische Informationen anfordern und da hat es auch schon Fälle gegeben, bei denen Leute, in deren Familie eine schwere Erbkrankheit vorliegt, erst eingestellt werden sollten, wenn sie mit einem Gentest nachweisen können, nicht selbst betroffen zu sein. Vor Gericht hatten diese Fälle aber keinen Bestand. Das Problem ist bislang noch klein, es wird aber in Zukunft im Gentestgesetz geregelt werden.

    Seynsche: Craig Venter will in fünf bis zehn Jahren den Menschen die Sequenzierung ihres Erbgutes für nur 1000 Dollar anbieten. Dann würde man ja auf einen Schlag alles erfahren.

    Wildermuth: Das hört sich in der Theorie gut an, praktisch ist es aber so, dass jeder von uns eine Vielzahl von genetischen Webfehlern hat, die das Krankheitsrisiko hier erhöhen, dort erniedrigen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden die Ärzte sich das Gesamtbild betrachten und dann sagen: ernähren Sie sich gesund und machen Sie viel Sport, das ist heute der wichtigste Gesundheitstipp und das wird so bleiben. Konkrete Risiken wird man noch auf lange Sicht viel schneller bei einem Blick in die Familiengeschichte oder mit einem Bluttest erkennen. Craig Venter hat ja gesagt, nach einem Blick in sein Erbgut nimmt er jetzt vorsorglich Cholesterinsenker. Nun gut, ich nehmen an, dass hat ihm sein Arzt schon länger geraten, einfach aufgrund seiner Blutwerte.