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General Idea

General Idea, eine kanadische Künstlergruppe, die sich Ende der sechziger Jahre formierte, ist in der Zwischenzeit legendär. War Kanada bis dahin in der zeitgenössischen Kunstszene eher so etwas wie ein weißer Fleck auf der Landkarte, wandelte sich das mit General Idea. Fast dreißig Jahre, bis 1995, schreiben sie auf diese Weise ihre eigene Kunstgeschichte.

Von Carsten Probst |
    Etwas unscheinbar an einer Seitenwand hängt eine Weltkarte, auf der der obere Teil Nordamerikas fehlt. Dort, wo man Kanada zu sehen gewohnt ist, gibt es keine Städte, keine Straßen und sonstigen Verbindungen. Die Längen- und Breitengrade durchziehen leere Felder, die sozusagen frei bleiben für Ideen. Hier lässt sich noch etwas zaubern. Vielleicht die schönste Illustration des Künstlergruppennamens "General Idea", was man pointiert mit "Grundidee" übersetzen könnte. Natürlich ist alles etwas ironisch gemeint, aber zugleich steckt auch ein realer Befund dahinter: Im Bereich der zeitgenössischen Kunstszenen ist Kanada ein weißer Fleck, oder war es zumindest, bis "General Idea" kam.

    General Idea gehören drei Künstler an: Felix Partz, Jorge Zontal und AA Bronson, die sich Ende der sechziger Jahre zu einer Gruppe zusammenschlossen und auch eine Wohngemeinschaft gründen. Es war die Zeit der alternativen Lebensformen, der Studentenproteste und subversiven Aufbruchsbewegungen. Was fehlte, war eine Kunstszene, die in den großen Städten Kanadas wie Montreal oder Vancouver diese Impulse aufnahm und in Bilder umsetzte. Partz, Zontal und Bronson waren nun wiederum nicht Hippies genug, um sich völlig naiv in die zahllosen alternativen "Künstlerkollektive" einzureihen, die Selbsterfahrung und Farmerromantik verbanden.

    General Idea distanzierte sich von vornherein vom schwärmerischen Idealbild der Kunst selbst. Ihre Vorbilder sahen sie in den europäischen Antikunstbewegungen seit Duchamp und Dada, sie rezipierten die Flux-Art-Bewegung und vor allem die amerikanische Pop Art und arbeiteten von Beginn am Entwurf ihres eigenen Künstlermythos. Nach dem Motto: Wo keine Kunstszene ist, erfinde dir eine beginnen sie eine Kunst, die eigentlich Öffentlichkeitsarbeit ist. Sie erfinden Logos, Plakate, Periodika, öffentliche Events, ja sogar imaginäre Rankinglisten für Künstler und Bürgerinitiativen, die mit der Zeit suggerieren, es gäbe in Kanada eine höchst vielfältige, lebendige, Schlagzeilen produzierende, neue Kunstbewegung. Fast dreißig Jahre, bis 1995, schreiben General Idea auf diese Weise ihre eigene Kunstgeschichte – und das überaus erfolgreich, denn tatsächlich entstanden in der Folge zahlreiche Künstlergruppen in Kanada. 1994 aber starben mit Felix Partz und Jorge Zontal zwei der Gruppenmitglieder unabhängig voneinander an AIDS. AA Bronson verwaltet das künstlerische Erbe seither, produziert selbst aber kaum noch neue Kunstinitiativen.

    Manche vergleichen General Idea mit dem Londoner Künstlerduo Gilbert & George oder mit dem imaginären Museum des Belgiers Marcel Broodthears. Doch General Ideas Tätigkeiten waren bedeutend vielfältiger. Als eine Art Emblem für die Gruppe wählten sie den Pudel, in den siebziger Jahren auch in Kanada ein absoluter Modehund, der Designhund schlechthin, der in Anspielung auf ein Van Gogh-Zitat vom Künstler als "zottigen Hund" nun zur Künstlermetapher des 20. Jahrhunderts erhoben wurde. In den achtziger Jahren ließen sich Partz, Zontal und Bronson als eine Art Lausbubengruppe gemeinsam miteinander im Bett abbilden, ein erster Versuch, im erzkonservativen Kanada Homosexualität öffentlich zu machen.

    Immer wieder versuchten sie, ihre eigenen Aktionen in den Medien-Mainstream zu implantieren. So veranstalteten sie 1971 einen Schönheitswettbewerbe, bei dem sie die Beteiligten in gefundenen Kleidern ablichten ließen und ihre geschlechtliche Identität dabei unkenntlich machten – wogegen prompt die kanadischen Feministinnen Sturm liefen, die sich ein solches Modespektakel in der alternativen Szene verbaten. Die nachhaltigste Wirkung erzielten sie aber zweifellos mit der Herausgabe ihres "File"-Magazins. File, zu deutsch "Akte" oder "Datei", ist zugleich ein Palindrom zu "Life", und der Schriftzug des Magazin-Titels kopiert denjenigen des ungleich berühmteren amerikanischen Lifestyle-Blattes "Life"- Magazin, das daraufhin auch prompt eine einstweilige Verfügung gegen die Verwendung des Titels erwirkte. Dennoch sind die 29 Ausgabe des File-Magazins, die zwischen 1972 und 1989 entstanden, das Herzstück von General Idea, sozusagen die fortgeschriebene Initialzündung für die Konstruktion einer neuen Kunst. Hier spiegelte sich eine imaginäre Kunstszene, die es lange Zeit so gar nicht gab, bis sie dann schließlich doch entstand. Es ist das Vermächtnis von General Idea, dem die Gegenwartskunst in Kanada vieles verdankt, wenn nicht sogar ihre Existenz.