Dienstag, 30. April 2024

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General sieht Fortschritte bei Stabilisierung Afghanistans

Am Sonntag sollen die nach Afghanistan verlegten Bundeswehrtornados am Hindukusch zu den ersten Aufklärungsflügen aufsteigen. Generalmajor Bruno Kasdorf, Stabschef der internationalen Schutztruppe ISAF in Kabul, erhofft sich von den Flügen Erkenntnisse, die über die Erkundung von Taliban-Stellungen weit hinausgehen.

Moderation: Doris Simon | 12.04.2007
    Doris Simon: Das politische und parlamentarische Vorspiel war ausführlich, aber an diesem Sonntag nun werden die sechs Aufklärungstornados der Bundeswehr ihre ersten Einsätze unter NATO-Kommando in Afghanistan absolvieren für die internationale Schutztruppe, die ISAF.

    Ich bin jetzt verbunden mit Generalmajor Bruno Kasdorf. Er ist Stabschef der ISAF in Kabul. Guten Tag!

    Bruno Kasdorf: Guten Tag, Frau Simon!

    Simon: Herr Kasdorf, die Aufklärungstornados jetzt bald im Einsatz. Was bedeutet das ganz praktisch für die internationale Schutztruppe für Afghanistan?

    Kasdorf: Ich muss da ein bisschen ausholen. Zunächst erstmal muss man wissen, wir sind ja hier, um die afghanische Regierung zu unterstützen, in einem Gebiet, das ist doppelt so groß wie Deutschland. Und wir sind auch natürlich hier, um unsere eigenen Interessen wahrzunehmen. Wenn man auf Afghanistan guckt, dann geht es ja einmal darum, dass wir auf Dauer verhindern, dass das hier ein Rückzugsgebiet für Terroristen wieder wird. Und wir wollen auch verhindern, dass es auf Dauer ein Rauschgiftland wird, und das ist eine große Herausforderung für die NATO. Und da ist natürlich jedes Land auch gefragt, so gut wie möglich beizutragen, damit der Auftrag erfolgreich wahrgenommen wird. Und da spielen die Tornados schon eine große Rolle. Wir haben, wenn es um die Anzahl unserer Bodentruppen geht, deutlich weniger als sie beispielsweise in anderen Einsatzgebieten eingesetzt werden. Und wir müssen natürlich irgendwie sicherstellen, dass wir auch zuverlässig mitbekommen, was in Afghanistan geschieht. Und wenn Sie eine Vorstellung haben von der Infrastruktur hier, wo es Tage dauert, um nur einige wenige hundert Kilometer auf dem Land zurückzulegen, dann können Sie sich vorstellen, wie wichtig die Aufklärungstornados sind, um ein genaues Bild von der Lage im gesamten Land zu erhalten.

    Simon: Wenn ich Sie richtig verstehe, werden die Tornados also nicht nur im Kampf gegen die Taliban eingesetzt, sondern auch eben, um zu sehen, wo Drogenanbau geschieht?

    Kasdorf: Wir setzen sie im gesamten Land ein, und ich hoffe und erhoffe mir, dass wir Aufklärungsergebnisse in vielfältigen Bereichen erhalten, nicht nur dort, wo wir es mit Extremisten zu tun haben, sondern auch. und das ist zurzeit die Lage, beispielsweise über Überflutungen, Abgänge von Lawinen oder beispielsweise auch Straßenabrisse, wie jetzt plötzlich hier geschehen in der Nähe von Kabul am Salangpass.

    Simon: Werden Sie denn im Zweifel, die Kämpfe gegen die Taliban nehmen ja sehr viel Kräfte in Anspruch, überhaupt die Aufklärungsflugzeuge haben, um noch diese zivilen Dinge erledigen zu können?

    Kasdorf: Das können wir mit Sicherheit. Also da sehe ich eigentlich kein Problem. Es wird ja nicht so sein, dass die Flugzeuge nur eingesetzt werden im Süden Afghanistans, sondern zunächst einmal haben wir vor allen Dingen vorgesehen, sie im Norden einzusetzen und direkt dem deutschen Kontingent dann zur Hand zu gehen.

    Simon: Würden mehr Aufklärungstornados der ISAF mehr helfen?

    Kasdorf: Das mit Sicherheit. Je mehr wir haben, desto besser ist natürlich dann unser Bild von der Lage, und umso präziser und genauer können wir unsere Truppen dann zum Einsatz bringen.

    Simon: Haben Sie Hoffnung, dass Sie noch mehr bekommen?

    Kasdorf: Bisher denke ich nicht, dass wir zusätzliche Tornados aus Deutschland erhalten werden, nach dem, was ich so an unserer politischen Diskussion verfolgt habe.

    Simon: Was könnte die Schutztruppe insgesamt besser tun, wenn die Mitgliedsländer mehr Soldaten schickten?

    Kasdorf: Wir wären natürlich wesentlich besser in der Lage, überall dort auch tätig zu werden, wo bisher die Regierung Afghanistans noch nicht tätig hat werden können auf Grund der Sicherheitslage und auf Grund der tatsächlich zu geringen Anzahl von NATO- wie auch von afghanischen Truppen.

    Simon: Wenn Sie sagen, tätig werden, was meinen Sie damit dann?

    Kasdorf: Ich habe eingangs ja gesagt, wir sprechen über die Unterstützung der afghanischen Regierung, und worum geht es hier vor allen Dingen? Es geht darum, die Hoheitsgewalt der afghanischen Regierung durchzusetzen in Gesamtafghanistan und die Voraussetzung zu schaffen, dass Wiederaufbau und Entwicklung stattfinden kann. Und nur über diesen Weg werden wir letztendlich auch in Afghanistan erfolgreich sein können.

    Simon: Wenn Sie die Situation in Afghanistan betrachten, das Bild wird ja sehr unterschiedlich sein im Norden und Süden, wie zeigt sie sich Ihnen?

    Kasdorf: Ja, also ich beurteile es so, dass drei Fünftel des Landes relativ stabil und ruhig sind. Wenn wir im Norden und Westen Vorfälle haben, sind das normalerweise Kriminalitätsdelikte. Im Süden und in einem bestimmten Grade im Osten ist die Lage nicht so ruhig. Aber ich zögere auch, von einem Kriegszustand zu sprechen. Bilder, wie sie bei uns im Fernsehen zu sehen sind, über Luftangriffe, Artillerieeinsätze und stürmende Infanterie, sind die absolute Ausnahme. Häufiger gibt es Scharmützel, bei denen unsere Soldaten aber in der Regel keinen Schaden nehmen. In den letzten Monaten, muss ich dazu sagen, haben wir auch im Süden deutliche Fortschritte machen können, und die Hoheit der legitim gewählten Regierung hat sich dort auch ausdehnen können, und zwar in den Gebieten vor allem, in denen zuvor die Taliban eine gewisse Bewegungsfreiheit hatten.

    Simon: Wie passt das denn zusammen mit dem Eindruck, den der UNO-Sondergesandte Tom Koenigs gestern auch vor dem Auswärtigen Ausschuss des Brüsseler Parlaments noch einmal geschildert hat, dass nämlich die Sicherheitslage eher schwieriger geworden sei und die Zahl der Anschläge deutlich zugenommen habe?

    Kasdorf: Na ja, wir sprechen, glaube ich, über unterschiedliche Dinge. Wir sprechen auf der einen Seite über die Operation und die Lage im Allgemeinen in Afghanistan, und dann gibt es eine Besonderheit, das sind diese improvisierten Sprengkörper und auch Minen, die sich hier im Land noch häufig befinden und die uns tatsächlich auch Probleme bereiten. Allerdings sind wir auch dort im letzten Jahr recht erfolgreich gewesen, indem wir 65 Prozent aller Sprengkörper finden, bevor sie detonieren. Aber sie stellen für unsere Soldaten und für die Bevölkerung in Afghanistan tatsächlich die größte Bedrohung dar, und nach einer Umfrage, um das einfach mal zu ergänzen, sind 93 Prozent der Afghanen bereit, aktiv an der Bekämpfung gerade dieser Bedrohung mitzuwirken.

    Simon: Gerade angesichts dieser Zahl, die Sie nennen, Generalmajor Kastorf, ist es für die ISAF ja sehr problematisch, dass gerade im Süden bei Angriffen der ISAF oder wo man eben Taliban sucht, versucht, sie zu finden, immer wieder auch Zivilisten ums Leben kommen. Das schadet Ihnen ja in der Bevölkerung. Gibt es da inzwischen neue, schärfere Anweisungen für die ISAF-Soldaten?

    Kasdorf: Also Sie können eigentlich nicht von schärferen Anweisungen sprechen. Wir sind besorgt um jedes Menschenleben, und wir tun alles, was wir können, um afghanisches Leben auch zu schonen. Wir sehen hier einen anderen Trend, und deshalb, sage ich mal, zweifle ich, wenn ich das die letzten Monate verfolge, ob das wirklich so ist, dass es uns schadet, weil diejenigen, die Böses wollen, eigentlich keine Rücksicht mehr auf die Bevölkerung nehmen, und diese IED-Anschläge, also die improvisierten Sprengkörper, richten auch in der afghanischen Bevölkerung riesengroßen Schaden an, mehr als sie bei uns anrichten.

    Simon: Sie sagten vorhin, die Art der Berichterstattung über die Kämpfe im Süden sei aus Ihrer Sicht übertrieben. Aber man kann ja nicht leugnen, dass die Soldaten im Süden doch sehr viel härterer Belastung ausgesetzt sind als im Norden und Westen. Wie offen wird das innerhalb der ISAF-Soldaten diskutiert, diese ungleiche Aufgabenverteilung, die einen widmen sich dem zivilen Aufbau, die anderen müssen sich täglich mit den Taliban auseinandersetzen?

    Kasdorf: Nun, zunächst erstmal haben wir alle einen Auftrag, das ist eine Aufgabe: Wenn wir im Süden nicht erfolgreich sind, werden auch im Norden oder Westen nicht erfolgreich sein können. Die Soldaten im Norden und im Westen versehen ihre Aufgabe hervorragend, und das wird auch allgemein anerkannt. Und in dem Moment, wo sie in eine Situation gerieten, die ähnlich wäre wie im Süden, würden sie sich auch entsprechend verhalten. Da gibt es überhaupt gar keinen Zweifel. Und von daher gibt es eigentlich auch keine Animositäten. Ich habe als deutscher General in diesem Hauptquartier bisher nichts davon erfahren.

    Simon: Im Irak sind zwei Deutsche seit Anfang Februar verschleppt worden, die Kidnapper fordern den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Heute läuft das Ultimatum ab. Ist diese Forderung jemals mit Ihnen, mit der ISAF diskutiert worden?

    Kasdorf: Ich habe davon bisher aus offiziellen deutschen Kanälen nichts gehört. Und ich denke, dass unsere Regierung da ja eine ziemlich eindeutige Politik verfolgt.