Iwanow träumt. Er sitzt im Dunkel vor einer modernen breiten Glaswand, die ihm der Bühnenbildner Stéphane Laimé als Raumteiler hingebaut hat und die gleichzeitig als Projektionsschirm dient. Dort läuft Iwanows Kopfkino, sowjetische Stummfilme von Aleksandr Dowshenko und Sergej Eisenstein über die Kollektivierung der Landwirtschaft; es geht um neue Produktionsmethoden, um Aufbruch, Vertrauen in den Fortschritt und in die Natur.
Merkwürdig naiv und militärisch wirkt das heute trotz Eisensteins Montagetechnik, es sind Nachrichten aus einer anderen Zeit, und auch Iwanow hat sich längst verabschiedet von der Vision einer besseren Welt. Er sitzt fest in Ehe-Unglück und Lebensekel, ein gescheiterter Intellektueller - wie so manche von uns und vor uns. Die Entscheidung des Regisseurs Thomas Dannemann, die Figur von einer politischen Desillusionierung her zu lesen und so näher an uns heranzurücken, hat allerdings kaum Konsequenzen für die Inszenierung. Denn Iwanows Verstörung geht viel tiefer, egal, ob man ihn in der russischen Dekadenz der 1880iger Jahre, in der Sowjetunion oder heute ansiedelt. Es ist ein persönliches Versagen, eine Unfähigkeit zur Aktion, ein Lebensekel und Überdruss, der einen angesichts einer nicht veränderbaren Welt packt und der sich in Zynismus und Melancholie austobt.
Dannemann hat sich im Laufe der Arbeit sehr bald für diese dunkle, psychologische Seite des Stücks entschieden; er lässt den Musiker Philipp Haagen ausgiebig in den Klaviersaiten wühlen und klirrende Geräusche erzeugen - und er hat in Jens Winterstein einen Iwanow, der ganz ruhig, stoisch, von innen heraus die Schattenwelt des überflüssigen, sich überflüssig fühlenden Menschen entwickelt.
Allerdings hat der Regisseur nicht den Mut, sich lange in dieser Zone absoluter Traurigkeit aufzuhalten. Schon Iwanows Ehegeschichte ist unnötig schematisiert. Seine ungeliebte, schwindsüchtige, zum Sterben verurteilte Frau, eine Jüdin, die Iwanow einst gegen alle (antisemitischen) Konventionen und unter Verzicht auf die Mitgift geheiratet hat, wird von Anja Brünlinghaus als moribunder Hausdrache vorgeführt, als hätte die Todkranke, vom Leben Enttäuschte noch jede Menge aggressiver Energie im Akku. Hier wird also nicht gezeigt, wie die Liebe vergeht, dass sie - leider - schon vergangen ist; das würde Iwanow in die Klemme bringen. So aber, wie Brünlinghaus das spielt, als bleiche böse Puppe, möchte man die Figur am liebsten gleich in die Ecke stellen oder baldiges Ableben wünschen. Die ambivalente Beziehung des Paars wird so unnötig versimpelt; da hilft auch ein moralistischer Seelendoktor nichts, der Iwanow auf die Pelle rückt.
Zum anderen hat der Regisseur der Versuchung nicht widerstanden, das Salon-Personal der Grafen, Gutsverwalter und reichen Nachbarn in die Karikatur zu ziehen. Freilich ist das auch dem überschaubaren Bau des Stücks geschuldet (es ist Tschechows erstes Drama). Aber: was tragikomisch gemeint ist, wird bei Dannemann gleich zu angestrengter Clownerie und Pantomime. Eine Witwe mit Sprachfehler, ein transvestitisch begabter Verwalter, eine dicke Matrone, ein vom Stuhl fallender Dauerwitzbold - so stellt man sich in Stuttgart die sozialkritische Komödie vor: als Ansammlung von Alkoholikern und Schwachköpfen.
Iwanows Lebensekel ist vor diesem Hintergrund nicht schwer zu begreifen - zumal auch seine Geliebte Sascha nur ein frisches Mädchen ist und sonst nichts. Mit ihr neu anfangen, sich lächerlich machen als Mitt- oder Endvierziger? Das ist keine Alternative. Iwanows Selbstdiagnose, er sei eine Art überalterter Hamlet, passt allerdings wunderbar zum Spielzeit-Motto des Stuttgarter Staatstheaters: in allen möglichen Varianten will man sich mit dem Hamlet-Motiv befassen - und vor allem die dort verorteten Generationenkämpfe bearbeiten.
Wer will, kann diese Problematik auch in Dea Lohers "Fremdes Haus" ausmachen: ein mazedonischer Jugendlicher kommt während der Balkankriege der 1990iger Jahre nach Deutschland und enttarnt die Lebenslügen anderer, ehemals kommunistischer Flüchtlinge. Annette Pullen hat das handwerklich sauber und nachdenklich inszeniert, ohne Kringel und Umwege. Der eigentliche Knaller aber sollte die auf den Familienkonflikt reduzierte Hamlet-Variante werden, eine andere Hamletmaschine, die der 1989 gestorbene (und damals sehr in Mode befindliche) Bernard-Marie Koltès geschrieben hat.
Merkwürdig naiv und militärisch wirkt das heute trotz Eisensteins Montagetechnik, es sind Nachrichten aus einer anderen Zeit, und auch Iwanow hat sich längst verabschiedet von der Vision einer besseren Welt. Er sitzt fest in Ehe-Unglück und Lebensekel, ein gescheiterter Intellektueller - wie so manche von uns und vor uns. Die Entscheidung des Regisseurs Thomas Dannemann, die Figur von einer politischen Desillusionierung her zu lesen und so näher an uns heranzurücken, hat allerdings kaum Konsequenzen für die Inszenierung. Denn Iwanows Verstörung geht viel tiefer, egal, ob man ihn in der russischen Dekadenz der 1880iger Jahre, in der Sowjetunion oder heute ansiedelt. Es ist ein persönliches Versagen, eine Unfähigkeit zur Aktion, ein Lebensekel und Überdruss, der einen angesichts einer nicht veränderbaren Welt packt und der sich in Zynismus und Melancholie austobt.
Dannemann hat sich im Laufe der Arbeit sehr bald für diese dunkle, psychologische Seite des Stücks entschieden; er lässt den Musiker Philipp Haagen ausgiebig in den Klaviersaiten wühlen und klirrende Geräusche erzeugen - und er hat in Jens Winterstein einen Iwanow, der ganz ruhig, stoisch, von innen heraus die Schattenwelt des überflüssigen, sich überflüssig fühlenden Menschen entwickelt.
Allerdings hat der Regisseur nicht den Mut, sich lange in dieser Zone absoluter Traurigkeit aufzuhalten. Schon Iwanows Ehegeschichte ist unnötig schematisiert. Seine ungeliebte, schwindsüchtige, zum Sterben verurteilte Frau, eine Jüdin, die Iwanow einst gegen alle (antisemitischen) Konventionen und unter Verzicht auf die Mitgift geheiratet hat, wird von Anja Brünlinghaus als moribunder Hausdrache vorgeführt, als hätte die Todkranke, vom Leben Enttäuschte noch jede Menge aggressiver Energie im Akku. Hier wird also nicht gezeigt, wie die Liebe vergeht, dass sie - leider - schon vergangen ist; das würde Iwanow in die Klemme bringen. So aber, wie Brünlinghaus das spielt, als bleiche böse Puppe, möchte man die Figur am liebsten gleich in die Ecke stellen oder baldiges Ableben wünschen. Die ambivalente Beziehung des Paars wird so unnötig versimpelt; da hilft auch ein moralistischer Seelendoktor nichts, der Iwanow auf die Pelle rückt.
Zum anderen hat der Regisseur der Versuchung nicht widerstanden, das Salon-Personal der Grafen, Gutsverwalter und reichen Nachbarn in die Karikatur zu ziehen. Freilich ist das auch dem überschaubaren Bau des Stücks geschuldet (es ist Tschechows erstes Drama). Aber: was tragikomisch gemeint ist, wird bei Dannemann gleich zu angestrengter Clownerie und Pantomime. Eine Witwe mit Sprachfehler, ein transvestitisch begabter Verwalter, eine dicke Matrone, ein vom Stuhl fallender Dauerwitzbold - so stellt man sich in Stuttgart die sozialkritische Komödie vor: als Ansammlung von Alkoholikern und Schwachköpfen.
Iwanows Lebensekel ist vor diesem Hintergrund nicht schwer zu begreifen - zumal auch seine Geliebte Sascha nur ein frisches Mädchen ist und sonst nichts. Mit ihr neu anfangen, sich lächerlich machen als Mitt- oder Endvierziger? Das ist keine Alternative. Iwanows Selbstdiagnose, er sei eine Art überalterter Hamlet, passt allerdings wunderbar zum Spielzeit-Motto des Stuttgarter Staatstheaters: in allen möglichen Varianten will man sich mit dem Hamlet-Motiv befassen - und vor allem die dort verorteten Generationenkämpfe bearbeiten.
Wer will, kann diese Problematik auch in Dea Lohers "Fremdes Haus" ausmachen: ein mazedonischer Jugendlicher kommt während der Balkankriege der 1990iger Jahre nach Deutschland und enttarnt die Lebenslügen anderer, ehemals kommunistischer Flüchtlinge. Annette Pullen hat das handwerklich sauber und nachdenklich inszeniert, ohne Kringel und Umwege. Der eigentliche Knaller aber sollte die auf den Familienkonflikt reduzierte Hamlet-Variante werden, eine andere Hamletmaschine, die der 1989 gestorbene (und damals sehr in Mode befindliche) Bernard-Marie Koltès geschrieben hat.