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Generation X

Ein Sachbuch sollte er schreiben. Über Twentysomethings, die Generation der heute 20- bis 30jährigen in Amerika. Nicht über 250 Seiten, mit vielen Beispielen aus dem wirklichen Leben, und bitte schön recht flott und anschaulich geschrieben, so stand es im Vertrag. Doch irgendwann verlor der Kanadier Douglas Coupland die Lust an diesem Projekt. Statt dessen wandte er sich der Prosa zu und begann zu erzählen. So entstand der Episodenroman >>Generation X<<. Die Reste des Lifestyle-Guides finden sich nun als ironische Kommentierung der Romanhandlung in einer separaten Kolumne am Rand der Buchseiten, wo der ehemalige Kunststudent Coupland die Hauptmerkmale seiner Generation mit Slogans, Comicbildern in Pop-Art-Manier und Definitionen im Lexikonstil auf den Punkt bringt. Manche seiner Wortneuschöpfungen sind so griffig, daß sie bereits in die amerikanische Umgangssprache übernommen wurden, etwa "McJob" - laut Coupland "ein niedrig dotierter Job im Dienstleistungsbereich mit wenig Prestige, wenig Würde, wenig Nutzen und ohne Zukunft. Oftmals als befriedigende Karriere bezeichnet von Leuten, die niemals eine gemacht haben."

Denis Scheck |
    In seinem Debüt gelingt Coupland das Kunststück, soziologisch präzise Beobachtungen in überzeugende Geschichten zu verpacken, Geschichten von der Katerstimmung im Amerika nach der auf Pump veranstalteten letzten großen Sause unter Reagan und Bush. Wenn es in der amerikanischen Literatur der letzten Jahre überhaupt ein Buch gegeben hat, das den Nerv einer Generation getroffen hat, dann Couplands >>Generation X <<. Seit der Erstveröffentlichung 1991 erlebte es über zehn Auflagen, wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt und löste in der amerikanischen Presse unzählige Artikel über das Phänomen der Post-Babyboomer aus.

    Darin liegt eine gewisse Ironie, denn Coupland wollte mit der Bezeichnung Generation X ausdrücken, daß diese Jugend weitgehend immun gegenüber den Nachstellungsversuchen der Werbestrategen ist und sich allen griffigen journalistischen Formeln hartnäckig entzieht. So hat es Coupland denn gründlich satt, sich immer wieder als Sprecher dieser Generation zitiert zu sehen: "Inzwischen könnte ich morgen etwas über dampfgetriebene Staubsauger schreiben, und in der Zeitung stünde dann zu lesen: Eine Generation betrachtet dampfgetriebene Staubsauger. Man darf so etwas einfach nicht ernst nehmen. Wenn man den guten Kritiken glaubt, muß man auch den schlechten glauben, und dann glaubt man bald alles, was in der Zeitung steht. Eine texanische Zeitung hat mich gefragt, wie meine Eltern auf meinen Erfolg als Schriftsteller reagieren. Die Wirklichkeit sieht so aus, daß meine Mutter dazu sagt: Wie schön, ach übrigens, kommst du heute abend zum Essen, wir feiern die Beförderung deines Bruders zum Leiter der Farbkopierabteilung in der Firma. Man darf sich von so etwas nicht verändern lassen. Ich habe wohl schon immer in soziologischen Kategorien gedacht, es macht mir einfach Spaß, Trends aufzuspüren. Unterschwellig nehmen wohl alle Menschen solche Trends wahr, aber mir springen sie offenbar stärker ins Auge als anderen. In der Astronomie gibt es dafür den schönen Begriff Syzygie, damit bezeichnet man eine Konstellation von drei beliebigen Objekten, die in einer Reihe stehen. Das läßt sich auch auf unser Leben übertragen, man sieht drei Dinge, und plötzlich bilden die im Kopf eine Reihe, einen Trend, der in irgendeine Richtung weist."

    Die Generation X ist nach Couplands Analyse die erste, die weniger materiellen Wohlstand haben wird als ihre Altvorderen, dafür aber für deren ökologische und ökonomische Sünden haften muß. Dem schäbigen Rest des amerikanischen Traums nachzujagen, mit 30 zu sterben, um mit 70 begraben zu werden, ist für Dag, Andy und Claire, die Helden von Couplands erstem Roman, keine Alternative mehr. Sie klinken sich aus, statt einer Karriere hinterherzuhetzen, die doch nur im Burnout-Syndrom enden kann, ziehen sie sich zurück ins Rentneridyll des kalifornischen Palm Springs. Dort halten sie sich mit McJobs als Barkeeper oder Verkäuferin über Wasser und erzählen sich Geschichten, Endzeit-Stories vor allem, wie die von dem fetten Mann in der Schlange an der Supermarktkasse, der seine Einkäufe auch dann noch bezahlen will, als die Atomraketen schon im Anflug sind. Sekunden vor dem nuklearen Inferno möchte er "etwas Würde bewahren". Einmal im Leben ...

    Verführerisch sind diese Geschichten von Couplands Scheherazaden, und nicht minder lebensrettend als die der ursprünglichen Erzählerin aus >>Tausendundeiner Nacht <<, denn auch Couplands Helden erzählen ums nackte Dasein. Ohne ihre Geschichten gingen sie an der Erkenntnis zugrunde, daß "die Welt so groß geworden ist, daß wir nicht in der Lage sind, Geschichten über sie zu erzählen, und daß alles, was uns noch übrigbleibt, Blinkzeichen, Protzkisten und Aufklebeschnipsel auf Stoßstangen sind."

    Hin und wieder rasten sie deshalb auch aus, dann zerkratzt Dag, der sich als eine im Körper eines Mannes gefangene Lesbierin sieht, schon mal das Auto eines gierigen Greises, weil ihn ein Aufkleber reizt, auf dem steht: "WIR VERPRASSEN DIE ERBSCHAFT UNSERER KINDER".

    Im Untertitel bezeichnet Coupland seinen Roman als "Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur". Ich frage Coupland, welche Konsequenzen er aus dieser unterstellten Beschleunigung unserer Kultur für seinen Stil gezogen hat:

    "Ich bin in dieser Kultur aufgewachsen, deshalb ist das für mich ganz selbstverständlich. Wir leben in einer extrem vernetzten Informations- und Konsumkultur, die zudem durch und durch verweltlicht ist, so daß sie keine echten Alternativen zuläßt. Die Frage, ob wir das für gut oder schlecht halten, ist müßig, denn die Wirklichkeit ist nun mal so. Wenn man in dieser Kultur aufwächst, neigt man dazu, sich über Gameshows, Zeichentrickfilme, nationale Tragödien und Konsum zu definieren. Neulich ging ich mit meinem Bruder in Vancouver am Meer spazieren, und er sagte: 'It's an oceany fresh day.' Wir alle benutzen in der Alltagssprache die Methoden der Werbung, auch dann, wenn wir es nicht ironisch meinen. Man redet schon ganz unwillkürlich in dieser Werbesprache, und wenn man halbwegs bei Verstand ist, dann versucht man auch auf einer kritischen Ebene zu verstehen, was da eigentlich abläuft. Die Sprache des Kommerzes ist auch die Sprache der Verdichtung, denn je länger der Werbetext ist, um so mehr Geld kostet es, ihn zu senden oder zu drucken, außerdem will man ja nicht die Aufmerksamkeit der Leute verlieren. Also muß man Formulierungen erfinden, um bestimmte Dinge auf weniger Raum unterzubringen. Less talk, more rock heißt die Devise. Hinzu kommt noch, daß die Menge der Informationen in unserer Kultur heute einfach viel größer ist als früher. Wir verdoppeln diese Informationsmenge alle drei bis fünf Jahre. Und dabei handelt es sich keineswegs nur um Datenschrott, sondern um echte Informationen. Folglich erleben wir heute das Phänomen, daß wir alle, ob bewußt oder unbewußt, eine Art intellektuelle Triage durchführen. Es ist einfach keine Zeit, alles zu lernen, also fragt man sich, was man wirklich braucht, um den nächsten Tag zu überstehen. Ich fürchte nur, daß bei diesem Auswahlprozeß nicht nur Obskures unter den Tisch fällt, sondern auch die Sachen, die ich für wichtig und wertvoll halte."

    Was nach Coupland in unserer von Reizüberflutung und materiellem Überfluß bestimmter Zeit nicht verlorengehen darf, läuft auf Erich Fromms Unterscheidung zwischen Haben oder Sein hinaus. In >>Generation X << illustriert Coupland dies mit einer Comicfigur, die beim Lesen der Immobilienanzeigen in der Zeitung sagt: "He, Papa, man muß sich entscheiden, ob man ein Haus will oder ein Leben ..." Zentraler Gedanke seines Romans ist denn auch eine Art neue Bescheidenheit, die Coupland "Lessness" nennt und als "Philosophie" definiert, in der man durch das Herunterschrauben seiner materiellen Erwartungen wieder mit sich in Einklang gerät. Diese Losung des Weniger-ist-mehr stößt im von einer Dauerrezession geplagten Amerika auf offene Ohren und hat Coupland in den USA den Ruf eines zivilsationskritischen Gurus eingetragen. Europäischen Lesern mag diese "Lessness" -Philosophie etwas platt erscheinen, doch Generation X als philosophisches Traktat oder Thesenroman zu verstehen, wäre ohnehin ein Irrtum. Coupland ist ein lustvoller Visionär des Apokalyptischen und beschreibt mit scharfem Blick ein Lebensgefühl, das auf den Kalten Krieg zurückgeht und bis heute nachwirkt. In seinen Erzählungen geht es um erste Besuche in McDonalds-Restaurants, Atombombenversuche, die Kuba-Krise, das Aufwachsen in einer Zeit, in der man bei jedem Sirenentest auf den großen Blitz wartete und stets damit rechnete, daß im nächsten Moment der Boden aufbricht und rotglühende Lava hervorquillt. Diese Zeit liegt gerade lange genug zurück, um im Leser milde Nostalgie hervorzurufen, und vielleicht auch ein leichtes Gruseln, denn Couplands Rückblick in die jüngste Vergangenheit mag sich als Vorausschau auf die unmittelbare Zukunft erweisen.

    O-Ton Douglas Coupland

    coupland.ram

    Link: Kritik: Douglas Coupland Microsklaven