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Genetische Detektivarbeit

Medizin.- Die Mukoviszidose ist eine Erbkrankheit, die die Lunge schädigt. Die Bakterien bleiben oft über lange Zeit im Körper und verändern sich im Lauf der Jahre: sie evolvieren, passen sich an das Leben in der Lunge an. Das zeigt nun eine Arbeit in der aktuellen Ausgabe von "Nature Genetics".

Von Volkart Wildermuth | 14.11.2011
    In den 1990ern kam es unter den Mukoviszidose-Patienten in einem Bostoner Hospital zu einer kleinen Epidemie. Das Bakterium Burkholderia dolosa lebt normalerweise in der Erde, hatte aber irgendwie einen Weg in die Lungen der kranken Kinder gefunden. Mit dramatischen Konsequenzen, wie sich Prof. Gregory Pirebe von der Kinderklink Boston erinnert.

    "Mukoviszidose-Patietnen, die sich mit diesem Bakterium infizierten, hatten eine schlechtere Lungenfunktion und eine höhere Sterblichkeit. Dieser Erreger machte sie schnell noch kränker."

    39 Kinder infizierten sich mit Burkholderia dolosa, acht starben, fünf benötigten eine Lungentransplantation, bevor der Ausbruch durch extrem strickte Hygieneregeln beendet werden konnte. Im Verlauf von 16 Jahren froren die Ärzte immer wieder Bakterienproben dieser Patienten ein. Die Proben wurden an der Abteilung für Systembiologie der Harvard Medical School ausgewertet. Insgesamt konnten die Forscher aus 112 Einzelproben Bakterien isolieren und deren komplettes Erbgut entschlüsseln. Der Vergleich der Sequenzen ermöglicht einen bislang einmaligen Einblick in die Evolution eines Krankheitserregers, meint Jean Baptiste Michel.

    "Entscheidend ist: wir können das Bakterium fragen, welche Regionen deines Erbguts sind wichtig für die Infektion? Früher musste man wissen, wonach man schaut. Solche Vorabhypothesen sind bei der Genomentschlüsselung nicht wichtig. Wir fragen ganz allgemein: wo liegt der stärkste Selektionsdruck?"

    Und im Umkehrschluss: Wo ist das Bakterium am verwundbarsten? Der Stammbaum der Bakterien in diesem Ausbruch zeigte: Die Patienten haben sich nicht an einer Quelle, etwa an einem verschmutzen medizinischen Gerät angesteckt. Vielmehr haben sie die Infektion von Mensch zu Mensch weitergereicht. Auf diesem Weg hat sich Burkholderia dolosa weiterentwickelt. Und das keineswegs zufällig, wie die Systembiologin Tami Libermann betont.

    "Der Großteil der Mutationen findet sich in nur 17 Genen. Dort verändern sie die Produktion der Eiweiße und beeinflussen wahrscheinlich deren Funktion."

    Dass der Evolutionsdruck Gene für Antibiotikaresistenzen betrifft, ist nicht überraschend. Unerwartet waren dagegen Mutationen in Genen, die mit der Reaktion auf Sauerstoff zu tun haben. Offenbar muss sich Burkholderia dolosa an den niedrigen Sauerstoffgehalt im zähen Schleim in der Lunge von Mukoviszidose-Patienten anpassen. Hier wollen jetzt Forscher ansetzen und neue Medikamente entwickeln. Ein weiteres Gen war jeweils während der Anfangsphase der Infektion defekt und wurde erst in der Lunge nach einiger Zeit durch Mutationen aktiviert. Die verschiedenen Lebensphasen stellen unterschiedliche Anforderungen an das Bakterium. Statt dafür eine komplexe Regulationsmaschinerie zu entwickeln, vertraut es einfach auf das zufällige Auftreten der passenden Mutation. Die Bakterienevolution ist offenbar schnell genug für diese Strategie. Aus Sicht des Arztes Gregory Priebe ist aber eine weitere Erkenntnis der Genomforscher entscheidend. Dabei geht es um die Fälle, in denen Burkholderia doloa nicht nur die Lunge, sondern später auch die Blutbahn der Patienten infizierte. Für die Ärzte ist es wichtig zu wissen, ob die Bakterien nur einmal oder aber immer wieder ins Blut gelangen.

    "Stellen sie sich vor, das wäre jeweils nur einmal passiert und das Bakterium hätte sich dauerhaft im Blut festgesetzt. Dann hätte eine Lungentransplantation keinen Sinn gemacht."

    Die aktuelle Studie zeigt aber, dass die Bakterien bei den Patienten mehrfach den Weg ins Blut gefunden haben, sich dort aber nicht halten konnten. Eine Transplantation stabilisierte deshalb nicht nur ihre Lungenfunktion, sondern beseitigte auch gleich die Quelle der Blutinfektionen. Eine so aufwendige Analyse der Evolution eines Erregers während einer Epidemie ist nur selten möglich. Die Forscher aus Boston sind sich aber sicher, dass sich ihre Einsichten auch auf andere, häufigere Bakterien übertragen lassen.