Donnerstag, 18. April 2024

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Genmanipulierte Babys
Stammzellenforscher: Quantensprung in der ethischen Diskussion

Der Stammzellenforscher Hans R. Schöler hält es für möglich, dass das Erbgut der Zwillinge mithilfe der Genschere verändert worden ist. Das sei allerdings zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich, sagte Schöler im Dlf. Die Folgen seien unklar und die gesellschaftliche Diskussion nicht geführt.

Hans R. Schöler im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.11.2018
    In China sollen im November weltweit erstmals genveränderte Babys, Zwillinge, auf die Welt gebracht worden sein: Videoaufnahme des Forschers Forscher He Jiankui
    Genmanipulierte Babys: "Es wird immer Leute geben, die versuchen, als erste in den Büchern zu stehen, etwas zu erreichen, was vorher noch keiner erreicht hat", sagte der Molekularbiologe Hans R. Schöler im Dlf. (AP / Mark Schiefelbein)
    Jörg Münchenberg: Schock, Empörung, Wut – die weltweite Reaktion auf das angeblich erfolgreiche Genexperiment an den chinesischen Zwillingen ist ziemlich einhellig. Selbst in China stößt die Meldung auf Kritik. Der Wissenschaftler habe für diese Versuche keine Genehmigung bei den Behörden eingeholt. Das umstrittene Projekt hätte vorher zudem ohnehin ethisch bewertet werden müssen, heißt es. Selbst die eigene Universität soll von der Arbeit nichts gewusst haben.
    Am Telefon ist jetzt der Stammzellenforscher Hans Schöler. Er ist geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster. Herr Schöler, einen schönen guten Morgen.
    Hans R. Schöler: Den wünsche ich Ihnen auch. Einen schönen guten Morgen.
    Münchenberg: Zunächst einmal: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das stimmt, was He Jiankui behauptet, dass erstmals jetzt gentechnisch veränderte Babys geboren worden sind?
    Schöler: Grundsätzlich kann es stimmen, auch wenn ich verwundert bin, dass ein Labor, das sich normalerweise durch Sequenzierung von Erbsubstanz hervorgetan hat und dieses publiziert hat, dieses Verfahren an menschlichen Embryonen angewandt hat. Aber grundsätzlich ist es möglich.
    Münchenberg: Wenn das zutrifft, was behauptet wird, rein aus der wissenschaftlichen Perspektive würden Sie sagen, das ist ein Quantensprung, eine neue Dimension, oder letztlich wenig überraschend?
    Schöler: Das Verfahren ist so einfach, dass es vom Technischen her kein Quantensprung ist. Es ist ein Quantensprung, was die Diskussion angehen wird, die ethischen Belange angeht. Das ist etwas, was er hätte nicht tun dürfen, was die wissenschaftliche Welt verurteilt, auch seine Kollegen in China, und ich bin froh, dass viele chinesische Kollegen einen Brief verfasst haben, ein Statement verfasst haben, in dem sie das verurteilen - in dem einen waren es 122 Wissenschaftler aus China, die es verurteilt haben -, weil es jetzt wahrscheinlich wieder heißt, ja die Chinesen. Und ich hoffe, dass die Behörden in China dem nachgehen werden und die Konsequenzen daraus ziehen werden. Es ist ganz schlimm, wenn das tatsächlich so durchgeführt worden ist.
    "Dieser Wissenschaftler ist in diesem Bereich nicht bekannt"
    Münchenberg: Sie sagen, jetzt könnte es wieder heißen, ausgerechnet die Chinesen. Heißt das, gerade in China geht man eher lax um mit solchen Versuchen?
    Schöler: Eigentlich ist die Diskussion mit den Kollegen, die ich in China habe, gut. Die sind sorgfältig. Aber diesen Wissenschaftler kenne ich gar nicht. Der ist in dem Bereich gar nicht bekannt. Ich habe ja gesagt, er sequenziert in erster Linie Genome. Und dass der das jetzt gemacht hat, war auch sehr überraschend. Es wird immer Leute geben, die versuchen, als erste in den Büchern zu stehen, etwas zu erreichen, was vorher noch keiner erreicht hat.
    Münchenberg: Aber, Herr Schöler, genau das sagt ja He Jiankui. Er meint nämlich: Wenn er es nicht gemacht hätte, dann hätten das andere gemacht. Ist das nicht trotzdem auch eine weitverbreitete Haltung bei manchen Wissenschaftlern?
    Schöler: Bei manchen Wissenschaftlern auf jeden Fall. Ich bin auch sicher: Wenn er das nicht gemacht hätte, dann hätte es jemand anderes gemacht. Ich denke, dass die Behörden in China da etwas mehr durchgreifen müssen. Erst einmal gibt es ja gar nicht die Regularien in China, damit man solche Versuche nicht durchführen kann. Wir haben als Internationale Stammzellgesellschaft – ich bin im Board of Directors der ICCR, was die Vereinigung der Stammzellforscher international vertritt – diese Sachen verdammt. Wir haben in einem Statement vor zwei Jahren diese Sachen ganz klar verdammt. Ich bin als Mitglied des Deutschen Stammzellnetzwerkes auch mit einem Statement in die Öffentlichkeit gegangen, dass man solche Sachen nicht durchführen kann, weil man einfach die Nebenwirkungen noch nicht erforscht hat und die gesellschaftliche Diskussion nicht durchgeführt hat.
    Durchführung zum jetzigen Zeitpunkt "unverantwortlich"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Schöler, heißt es ja, dass eine solche Technik durchaus auch Menschen helfen kann. Würden Sie so weit gehen zu sagen, Sie lehnen gentechnisch veränderte Menschen grundsätzlich ab?
    Schöler: Nein, ich lehne es nicht grundsätzlich ab. Ich lehne es ab, ohne eine vorherige gesellschaftliche Diskussion gehabt zu haben, ohne die wissenschaftlichen Grundlagen dafür untersucht zu haben, und einfach die Dinge anzuwenden, ohne zu wissen, dass vielleicht diese Kinder jetzt ein erhöhtes Krebsrisiko haben, ohne dass es klar ist, dass diese Nebenwirkungen nicht eingegrenzt worden sind, ohne zu wissen, dass es vielleicht Mosaikwesen sind, sodass verschiedene Zellen diese Veränderungen erfahren haben, andere dann wieder nicht. Das ist noch so unausgegoren. Das zum jetzigen Zeitpunkt durchzuführen, ist äußerst unverantwortlich.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite: Wenn man weiter in die Zukunft schaut, würden Sie schon sagen, der Einsatz von Gentechnik beim Menschen, zum Beispiel zur Verhinderung oder Bekämpfung schwerer Erkrankungen, das ist letztlich etwas, was kommen wird?
    Schöler: Ich vermute, dass es kommen wird, wenn tatsächlich die Nebenwirkungen ganz ausgeschlossen worden sind. Dann wird es von den Eltern so viel Druck geben, dass ihr Kind gesund sein kann, dass es in manchen Ländern so möglich sein wird. Ich bezweifele, dass es in Deutschland möglich sein wird. Die Diskussion wird vielleicht auch dahin gehen, dass man sagt, durch PID kann man ja feststellen, ob ein Kind eine bestimmte Erbveränderung …
    Münchenberg: PID heißt was?
    Schöler: Präimplantationsdiagnostik, mit der man ja feststellen kann, ob beispielsweise ein bestimmtes Gen verändert worden ist, das mit großer Wahrscheinlichkeit dann zu einer Erkrankung führt. Dann würde man sagen, dann nimmt man den Embryo, der diese Veränderung nicht hat. So werden vielleicht manche Länder dann vorgehen. Sollte man aber jetzt wie in dem Fall versuchen, HIV zu bekämpfen auf diese Art und Weise, indem man bestimmte Rezeptoren verändert, solche Moleküle zu verändern, sodass der Virus sich nicht vermehren kann, dann ist das natürlich eine ganz andere Diskussion. Die hat dann nicht damit zu tun, dass man Krankheiten heilen will.
    Münchenberg: Aber, Herr Schöler, lässt sich da in Zukunft überhaupt so eine klare Grenze ziehen? Sie sagten ja selber, der Druck von den Eltern wird eher steigen. Ist der Übergang zwischen, ich sage mal, einem Designer-Baby, was sich Eltern wünschen, und auf der anderen Seite sinnvoller Forschung zur Bekämpfung von Krankheiten, ist der nicht sehr fließend?
    Schöler: Der Druck wird größer werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir so schnell wie möglich eine gesellschaftliche Diskussion haben, die ja zum Teil auch schon begonnen hat. Ich habe ja gesagt: Es gibt von den verschiedenen Gesellschaften dazu schon statements. Man muss spätestens jetzt alle gesellschaftlichen Gruppen an einen Tisch führen, um diese Dinge so zu diskutieren, ob man das langfristig gestattet, oder sagt, vor allen Dingen an der Keimbahn sollte man nicht manipulieren.
    Münchenberg: Sie sagen selber, es wird darüber diskutiert. Auf der anderen Seite gibt es ja in vielen Ländern überhaupt keine gesetzlichen Vorgaben, zum Beispiel in Russland, in Singapur. In anderen Ländern, China, Frankreich, selbst Portugal, da werden Verletzungen der Gesetze nicht einmal bestraft. Das klingt eher, als wenn sich da noch im Augenblick sehr wenig tut.
    Schöler: Deshalb ist es wichtig, dass die Diskussion bei uns geführt wird und in Europa geführt wird. Aber selbst in Europa gibt es da durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen, wie beispielsweise in England, wo ja mit Embryonen schon Crispr-Versuche durchgeführt worden sind oder genehmigt worden sind und durchgeführt werden, wo man Embryonen, die nach den Aussagen keine Möglichkeit haben, sich zu einem Fötus zu entwickeln, dazu verwendet, um diese Technik auszuprobieren. Da ist eine einheitliche Diskussion selbst in Europa äußerst schwierig, von Ländern wie China ganz zu schweigen.
    Gesellschaftliche Diskussion ist notwendig
    Münchenberg: Aber was ist denn am Ende realistisch? Manche Beobachter und auch Politiker sagen, sinnvoll sei letztlich eine weltweit gültige Regelung, wenn es um Keimbahn-Eingriffe bei Menschen geht. Ist das tatsächlich realistisch, auch angesichts der Tatsache, dass manche Forscher sagen, ich mache das, was letztlich wissenschaftlich und technisch möglich ist?
    Schöler: Ich denke, dass es genauso wenig wie bei den embryonalen Stammzellen möglich ist, weltweit eine Regelung zu haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir in den Gesellschaften eine ernsthafte Diskussion führen, dass wir in den Fachgesellschaften, aber auch in den jeweiligen Ländern, die sich um eine vernünftige Regelung bemühen, solche Diskussionen führen, dass sie beispielhaft sind. Das ist die einzige Vorgehensweise, die ich sehen kann. Die Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und Gefahren ist eine Möglichkeit, um die Aktivitäten, die auf diesem Gebiet geschehen, zu bremsen, denn wir wissen nicht, was mit diesen beiden Mädchen, wenn das tatsächlich so erfolgt ist, in fünf, zehn oder 20 Jahren erfolgt. Dass die jetzt gesund geboren sind oder zumindest so aussehen, als wären sie gesund geboren, heißt nicht, dass die Nebenwirkungen nicht erst in fünf oder zehn Jahren greifen und sie dann Krebs bekommen.
    Münchenberg: … sagt Hans Schöler. Er ist Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster. Herr Schöler, vielen Dank für das Interview heute Morgen.
    Schöler: Danke! Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.