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Geologie
Neuseelands Berge wachsen in Rekordgeschwindigkeit

Geologische Prozesse gelten als unendlich langsam. Doch in den Neuseeländischen Alpen entsteht in Rekordgeschwindigkeit neuer Boden. Bis zu 2,5 Millimeter im Jahr werden dort gebildet. So berichtet es das renommierte Fachmagazin "Science". Dennoch halten einige den Wert für unmöglich.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Geländearbeiten waren mühsam: Ein Helikopter setzte Isaac Larsen und André Eger von der University of Washington in den Neuseeländischen Alpen oberhalb der Baumgrenze ab. Und von da aus rutschten sie steile Hänge hinunter. Fanden sie eine geeignete Stelle, nahmen sie ihre Bodenproben und stiegen dann - jeder mit rund 15 Kilogramm im Rucksack beladen - zum Basiscamp herunter. So ging es Tag für Tag, bei Regen und Sonnenschein und Temperaturen von knapp über null Grad. Und warum?
    "Wir wollten die Bodenbildung und die Verwitterungsraten in den Neuseeländischen Alpen als dem tektonisch aktivsten Gebirge der Erde messen",
    erzählt Isaac Larsen, der heute am Caltech Institute im kalifornischen Pasadena arbeitet. Das Gebirge entsteht in einer Zone, in der zwei Erdkrustenplatten miteinander kollidieren
    "Die neuseeländischen Alpen sind tektonisch extrem aktiv. Sie heben sich mit einer Rate von einem Zentimeter pro Jahr. Dadurch wird das Gestein tektonisch stark beansprucht. Die Erosion kann leicht angreifen und trägt deshalb das Gebirge auch ungefähr mit einem Zentimeter pro Jahr ab. Die Landschaft ist sehr steil, der Regenfall mit mehr als zehn Litern pro Jahr sehr hoch und die Pflanzendecke äußerst dicht."
    Ideale Voraussetzungen für Verwitterung und Erosion
    Ideale Voraussetzungen also für Verwitterung und Erosion. Weil jedoch auch die steilsten Hänge bewachsen sind und Pflanzen Boden brauchen, fragte sich Isaac Larson, ob diese idealen Voraussetzungen nicht auch für die Bodenbildung gelten. Bei diesem Prozess treiben Sonnenstrahlung und wechselnde Temperaturen, Regenwasser und Pflanzenwurzeln die physikalischen und chemischen Abläufe an, die Gesteinsminerale zu Bodenmineralen verwittern lassen:
    "Die Theorie ging davon aus, dass im Gebirge die Bodenbildung nicht beliebig mit der Erosion Schritt halten kann. Läuft die Erosion zu schnell, sollte die Bodenbildung nicht nachkommen und die Hänge aus blankem Fels bestehen. Bei unseren Analysen finden wir jedoch das Gegenteil: In den Neuseeländischen Alpen laufen Erosion, Verwitterung und Bodenbildung in Rekordgeschwindigkeit ab. Wir messen Bodenbildungsraten von bis zu 2,5 Millimetern pro Jahr. Innerhalb von zehn Jahren entstehen Bodenhorizonte, für deren Entstehung wir früher ein Jahrhundert angesetzt hätten. Je schneller der Boden erodiert wird, desto schneller bildet er sich durch die Verwitterung neu. Unsere Werte gehören zu den höchsten, die jemals in Böden gemessen worden sind."
    Blick auf den Fox-Gletscher in Neuseeland
    Die Rolle von Erosion, Verwitterung und Bodenbildung läuft nicht überall so ab wie in den Neuseeländischen Alpen. (Stock.XCHNG / Michael Waylett)
    Es geht um mehr als einen Rekord
    Für das Tempo der Bodenbildung sei die hohe Feuchtigkeit verantwortlich und vor allem der dichte Bewuchs mit Gebüsch. Es geht jedoch um mehr als einen Rekord: Hochgebirge nehmen zwar nur wenige Prozent der Erdoberfläche ein, sind jedoch die Hotspots der Verwitterung. Damit sollen sie wichtige Gegenspieler des Treibhauseffekts sein. So soll einer Theorie zufolge der Aufstieg des Himalayas eine bedeutsame Rolle bei der Entstehung der jüngsten Eiszeit gespielt haben. Der Mechanismus:
    "Hohe Verwitterungsraten in den Gebirgen setzen Calcium und andere Elemente frei. Die werden ins Meer gespült und verbinden sich dort mit dem im Wasser gelösten Kohlendioxid. Kalkstein entsteht. Der sorgt dann sehr effizient dafür, dass das Kohlendioxid nicht mehr als Treibhausgas wirksam werden kann. Wir sehen einen engen Zusammenhang zwischen Hebung, Erosion, Verwitterung und Bodenbildung. Damit könnten Gebirge tatsächlich über lange Zeiträume hinweg eine zentrale Rolle im globalen Kohlenstoffzyklus spielen."
    Noch viel mehr Forschungsarbeit nötig
    Allerdings ist zu einer Bestätigung noch sehr viel mehr Forschungsarbeit zur Bodenbildung notwendig. Und: Die Rolle von Erosion, Verwitterung und Bodenbildung wird in verschiedenen Regionen der Erde sehr unterschiedlich sein. So verliert die Bodenbildung in Gebieten, die sich langsamer heben als die Neuseeländischen Alpen schnell an Tempo. Der Grund: Die aktive Zone, in der die Gesteinsumwandlung abläuft, wandert mit der Zeit in die Tiefe. Dort laufen die Prozesse dann gemächlicher ab. Nur wenn die Erosion regelmäßig die oberste Schicht abtrage, laufe die Bodenbildung weiterhin auf Hochtouren, erklärt Isaac Larson.