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Geordnetes Chaos

Die Inszenierungen von Jürgen Kruse sind unverwechselbar: Überfülle, simultane Abläufe und rumpelkammerhafte Einrichtungen auf der Bühne. Nun ist in Köln "Das Leben ein Traum" zu sehen - und wieder wird es außergewöhnlich.

Von Dina Netz |
    Links: ein schiefer Turm aus Eisenstangen, das Gefängnis, in dem Jan-Peter Kampwirth als Prinz Zygmunt herumkraxelt. Rechts: Ein weiteres Metallgerüst aus Eisenstangen bildet mehrere Zimmer, mit dicken Büchern, schweren Sesseln und Tischlampen vollgerümpelt. In einem dieser Sessel liegt König Basilius, Hartmut Stanke, der seinen Sohn bei dessen Geburt wegen einer bösen Prophezeiung weggesperrt hat. Oben dreht sich eine Weltkugel.

    Vier junge Damen, die als Wachen oder Grazien auftreten, kichern, singen oder räkeln sich lasziv. Schwerter werden gewetzt, Schlüsselbunde geschüttelt, Rocksongs eingespielt. An der Rampe zanken Rosaura und ihr Diener Clarin, die nach Polen zurückkehren, um sich an Rosauras untreuem Geliebten Astolf zu rächen. Und das alles gleichzeitig. Augen und Ohren sind von diesem prallen barocken Panoptikum ge- und überfordert. Wie beim Betrachten eines Breughel-Gemäldes weiß man nicht, wo man zuerst hinschauen soll, und muss dazu noch die Tonspur verarbeiten. Parallelwelten, wie sie ja auch Zygmunt empfindet. Denn König Basilius ereilt die Reue, seinen Sohn so schlecht behandelt zu haben, er macht ihn probeweise zum König. Aber Zygmunts Triebe und Rachegelüste beherrschen ihn, als erste Amtshandlung wirft er einen Diener aus dem Fenster. Man verabreicht Zygmunt einen Schlaftrunk und erzählt ihm nach dem Aufwachen, seine kurze Regentschaft sei nur ein Traum gewesen. Doch Zygmunt wird vom Volk befreit, das ihn als rechtmäßigen König betrachtet; der barocke Kaspar Hauser besiegt seinen Vater im Kampf und wird nun doch König, ein geläuterter allerdings.

    Pedro Calderón de la Barca schrieb mit "Das Leben ein Traum" vor 400 Jahren ein bis heute häufig in seinem Sinne interpretiertes moralisches Lehrstück über den Menschen, der sich nicht gegen sein Schicksal auflehnen soll, sondern lieber "recht tun". Denn König Basilius führt dadurch, dass er seinen Sohn einsperrt, das vorhergesagte Unglück erst herbei.

    Vom katholischen Lehrstück bleibt bei Jürgen Kruse nichts, die Figuren sind moralisch am Ende. Im Vordergrund brennt eine Tonne – vielleicht sind wir schon im Fegefeuer. Maik Solbach gibt den Herzog Astolf von Moskau als windigen Schürzen- und Kronenjäger; seine Cousine Estrella ist bei Annika Olbrich eine eingebildete Schnepfe, die sich ganz gern jagen lässt:

    Michael Weber als Diener Clotald will bloß seine Haut retten; die Rosaura der Anja Laïs wirkt nicht wie eine, die ihre Ehre wieder herstellen will, sondern wie eine eifersüchtige Ziege. Sobald dann doch einer zu einer hochtrabenden Rede ansetzt, wird er von einem anderen mit einem lakonischen Zwischenruf gestoppt. Oder zwei fangen im Vordergrund an zu vögeln und lärmen dabei derart, dass des Königs Selbstrechtfertigungen kaum noch zu hören sind.

    Wie immer in Kruse-Inszenierungen sprechen die Schauspieler den Text gegen die Satzschwerpunkte, werfen kurze umgangssprachliche Bemerkungen ein, spielen mit den Wörtern – zwei, die einverstanden sind, werden beispielsweise zu "zweiverstanden". Kruse verzichtet angesichts der Calderónschen Textmasse diesmal auf Zitate aus anderen Texten, die er sonst gern philosophisch assoziiert. Auch so braucht der Theater-Schamane vier kurze Stunden für seine Exerzitien.

    Wie in letzter Zeit oft in Köln, sind die Schauspieler wunderbar aufeinander abgestimmt – obwohl alles durcheinander passiert, scheint doch eins immer exakt ins andere zu greifen.