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Georg Friedrich Händel: "Hercules", HWV 60

Im Mittelpunkt steht heute "Hercules" von Georg Friedrich Händel, das musikalische Drama in 3 Akten nach einem Libretto von Thomas Broughton mit "Les musiciens du Louvre" unter der Leitung von Marc Minkowski. Dieser Live-Mitschnitt erschien jetzt bei der Archiv-Produktion/Deutsche Grammophon und stellt die erste, bisher veröffentlichte, vollständige Fassung dar. * Musikbeispiel: G. F. Händel - Overtura (Ausschnitt) aus: "Hercules" Genau 20 Jahre nach der ersten Aufnahme auf Originalinstrumenten mit John Eliot Gardiner hat die Deutsche Grammophon jetzt einen neuen, ungekürzten "Hercules" mit Marc Minkowski herausgebracht. Es ist eine so genannte "Live-Aufnahme" aus dem Théâtre de Poissy vom April 2000, wobei es sich bei so etwas heute zumeist um einen Zusammenschnitt von mehreren Aufführungen handelt. Das bedeutet zwar zum einen eine vielleicht nicht immer unbedingt makellose Aufnahme, zum anderen aber eine sehr lebendige, dichte Einspielung, die gerade im Fall des temperamentvollen Dirigenten Marc Minkowski immer einer reinen Studioproduktion vorzuziehen ist. Die vorliegende Aufnahme ist in jedem Fall ein absolutes Muss für Händel-Fans.

Christiane Lehnigk |
    Minkowski hat neben seiner vielfach ausgezeichneten Chor- und Instrumentalformation ein schon bewährtes Solisten-Ensemble zusammengestellt, das diese Musik absolut stilsicher und auf durchweg hohem Niveau darbietet. Die Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter beeindruckt als Dejanira, der 2. Frau des Herkules, deren Figur mit den verschiedenen Stimmungsschwankungen von Trauer, Freude bis zu rasender Eifersucht sie genauestens auslotet, wenn auch ihre lyrische Stimmgebung für diese gewichtige dramatische Rolle, eher ein wenig zu leicht erscheint. * Musikbeispiel: G. F. Händel - "Begone, my fears, fly, hence, away" aus: "Hercules" Die Titelpartie des Hercules, der während der ganzen tragischen Entwicklung ziemlich souverän bleibt, wird von dem Bass-Bariton Gidon Saks überzeugend auch in den buffohaften Szenen dargeboten, wenn allerdings bei ihm ein paar Unsicherheiten in Bezug auf Intonation und Tempo auszumachen sind. * Musikbeispiel: G. F. Händel - "The god of battle quits the bloody field" aus: "Hercules" Der Tenor Richard Croft als Hyllus, der Sohn des Herkules, ist in Stimmgebung und differenziertem Ausdruck die Idealbesetzung für diese Partie, wie auch die Sopranistin Lynne Dawson als Iole, die melancholische Prinzessin von Oechalia. Der Herold Lichas wird von dem Countertenor David Daniels gesungen, eine wichtige Rolle mit mehreren eigenen Arien, die hier zwar leicht angelegt ist, aber dennoch etwas angestrengt und zugleich zurückgenommen daherkommt. Georg Friedrich Händel hat bei diesem musikalischen Drama, das weder Oratorium noch regelrechte Oper ist, nach "Semele" zum zweiten Mal versucht, sein neues dramatisches Konzept in englischer Sprache auf einen weltlichen , nicht biblischen Stoff zu übertragen. Er griff in "Herkules" auf die griechische Tragödie zurück, stellte aber die Entwicklung, die dramatische Wandlung und Verstrickung von Gefühlen in den Mittelpunkt.

    Das Werk ist ein Höhepunkt in Händels dramatischem Schaffen und stellte zugleich den Tiefpunkt seiner Karriere als Impresario dar. Die Uraufführung am 5. Januar 1745 war nicht zuletzt wegen erkrankter Sängerinnen und Sängern und Umbesetzungen ein Desaster und der Komponist verzichtete auf weitere Aufführungen in der Abonnementenreihe im King's Theatre am Haymarket, auf die er nach der glorreichen Saison von 1744 so viele Hoffnungen gesetzt hatte. Das Stück, das weder mit den Liebeständeleien der Oper noch mit den moralischen Ansprüchen des Oratoriums zu konkurrieren vermochte, konnte sich nicht in den Spielplänen etablieren und gehörte bis heute nicht zu den bevorzugten dramatischen Werken Händels.

    In seinem Libretto hat Thomas Broughton, ein gelehrter Geistlicher aus Salisbury, Motive aus mehreren antiken Dichtungen über den Tod des Herakles zu einer eigenen Version zusammengefügt, wobei er den ironischen Kontrast zwischen der moralischen Schuldlosigkeit aller Beteiligten und der furchtbaren Konsequenz ihres Zusammentreffens in den Mittelpunkt stellte. Wie so oft in den dramatischen Werken Händels, steht hier nicht der Protagonist, sondern eine Frau im Mittelpunkt der Handlung. In diesem Stück wird das Seelendrama von Dejanira, einer tragischen Heldin dargestellt, die von Eifersucht geplagt wird, die zwar in den ursprünglichen Erzählungen nicht ganz unbegründet war, hier aber als reine Hysterie dargestellt wird. Diese dennoch Mitleid erregende Eifersucht, zerstört sie immer mehr, führt zum Tode ihres Gatten und treibt sie schließlich in den Wahnsinn. Die Stimmungen der Dejanira schwanken, fürchtet sie zu Beginn des Stückes, dass ihr Mann Hercules aus dem Krieg nicht mehr gesund zurückkommt, so scheint die Lebensfreude mit seiner Rückkehr wieder hergestellt, wird aber wiederum getrübt, als sich in seinem Gefolge auch die Prinzessin Iole befindet, deren Vater Herkules im Zweikampf tötete. Diese betrauert jedoch nur ihren Vater und wird gegen Ende der Geschichte mit Herkules' Sohn vereint. Doch Dejanira überträgt alle ihre Ängste auf Iole und ihre selbstzerstörerischen Kräfte breiten sich aus. Diese Eifersucht wird auch in dem zentralen Chorsatz thematisiert, dem Händel wie auch in Dejaniras Wahnsinns-Szene eine Rondogestalt gibt, immer wieder unterbrochen von dem erschütternden "Jealousy"-Aufschrei, "Eifersucht, o Höllenfluch". * Musikbeispiel: G. F. Händel - "Jealousy! Infernal pest!" (Ausschnitt) aus: "Hercules" Der musikalische Höhepunkt des Dramas ist Dejaniras Wahnsinns-Szene nach Herkules' Tod. Dejanira hat ihrem Mann ein mit Blut getränktes Gewand des von ihm selbst getöteten Zentauren Nessos überbringen lassen, in der Hoffnung, mit dem darin verborgenen Zauber ihre vermeintlich verlorene Liebe wieder herstellen zu können. Doch der Versuch geht daneben und kehrt sich ins Gegenteil um, der Mantel, der sich am Feuer entzündet, erweist sich als vergiftet und Hercules verbrennt an lebendigem Leibe. In dem folgenden Auftritt, in dem Dejanira ihre Schuld erkennt, hat Händel dem tragischen Wahnsinn zum ersten Mal in der Musikgeschichte eine Stimme gegeben. Äußerlich klar strukturiert, künden die verschiedenartigen Versatzstücke musikalisch, so die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold, "wie in einem zertrümmerten Spiegel von der Verwüstung der Seele". * Musikbeispiel: G. F. Händel - "Where shall I fly?" (Ausschnitt) aus: "Hercules" Händels musikalisches Drama, in dem die Moll-Tonarten überwiegen, und der Zuhörer Zeuge eines tragischen inneren Konfliktes wird, war für die damalige Zeit vielleicht ein wenig zu schwere Kost. Daran konnte auch das aufgesetzte Happy End nichts ändern: Hercules wurde "zum Thron der Götter erhoben" und ein Adler wird den unsterblichen Teil des Helden vom Scheiterhaufen zum Olymp tragen. Dejanira ist dem Wahnsinn verfallen. Nach dem Willen der Götter werden Hyllus, der Sohn des Herkules und Iole, die Tochter des von Herkules besiegten Königs von Oechalia zu einem Paar. Im obligatorischen Schlusschor werden Frieden und Freiheit besungen, die erst durch Herkules möglich gemacht worden seien. Hier zum Abschluss ein Ausschnitt aus dem Duett Hyllus - Iole mit Richard Croft und Lynne Dawson. * Musikbeispiel: G. F. Händel - 3.Akt, 5.Szene (Ausschnitt) aus: "Hercules" In unserer Sendung die NEUE PLATTE stellten wir Ihnen heute das musikalische Drama "Hercules" von Georg Friedrich Händel vor, eine erste vollständige Fassung mit Chor und Orchester "Les musiciens du Louvre" unter der Leitung von Marc Minkowski, erschienen bei der Archiv Produktion/Deutsche Grammophon.