Donnerstag, 25. April 2024

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Georg M. Hafner/Esther Shapira: Die Akte Alois Brunner - Warum einer der größten Naziverbrecher noch auf freiem Fuß ist

Zu denen, die nicht nur wie David Irving vom Schreibtisch aus faschistische Ideologie zu fördern versuchen, gehörte Alois Brunner, Adolf Eichmanns bester Mann. Während Eichmann, der Organisator der Deportation in die nationalsozialistischen Lager, von einem israelischen Geheimdienstkommando aus Argentinien nach Israel entführt wurde, wo man ihn erst vor Gericht und dann an den Strang brachte, läuft Alois Brunner bis heute unbehelligt herum. Schlimmer noch, er hat mächtige Freunde und damit sicheren Schutz. Man weiß, dass er in Damaskus, der syrischen Hauptstadt, lebt, doch weder in Deutschland noch in Österreich, wo Brunner herstammt, hat man es trotz aller Bekenntnisse zur Aufarbeitung der Vergangenheit besonders eilig, den Mann endlich vor ein Gericht zu bringen. Georg M. Hafner und Esther Shapira haben nun die erste deutschsprachige Biographie dieses Schlächters und Massenmörders geschrieben. Peter Hölzle hat sie gelesen.

Peter Hölzle | 30.10.2000
    "Die Mühlen der Justiz mahlen langsam", sagt das Sprichwort. Bisweilen mahlen sie auch gar nicht. Die Liste der Massenmörder, die unbestraft das Zeitliche segneten, ist lang, und sie verlängert sich stetig. Nur wer an Wunder glaubt, rechnet damit, dass der größte lebende Naziverbrecher doch noch zur Rechenschaft gezogen wird. Die Rede ist von Alois Brunner, der - unbehelligt von der Justiz - seinen Ruhestand in Syrien genießt, obwohl er zwischen Oktober 1939 und März 1945 im Auftrag Adolf Eichmanns, des obersten Verantwortlichen für die Deportation, mehr als 120.000 Juden in den Tod schickte. Georg Hafner und Esther Schapira erinnern nun endlich an Eichmanns eifrigsten Helfer, dessen Existenz im Nahen Osten man in Deutschland so gerne verdrängt. Ihre Recherchen beantworten zwei Fragen: Warum ist Brunner der größte noch lebende NS- Kriegsverbrecher und warum ist er noch immer auf freiem Fuß? Die beiden Journalisten haben es sich mit ihren Antworten nicht leicht gemacht, schließlich mussten sie über die ganze Welt verstreute Überlebende der Konzentrationslager ausfindig machen und deren Schweigen überwinden. Es spricht für ihre Recherche, dass ihnen das auch gelungen ist. Das Buch ist nicht nur die erste deutschsprachige Biographie über den "Serientäter" Brunner, sondern auch eine erschütternde Dokumentation über seine Opfer, die namenlosen wie die namhaften, deren Leidens- und Sterbensweg ausführlich oder knapp nachgezeichnet wird, je nachdem, was die Zeitzeugen heute noch darüber sagen konnten. Erst im Spiegel dieser vielfach protokollierten Verbrechen gewinnt das Bild eines in Deutschland wenn überhaupt nur schemenhaft wahrgenommenen Massenmörders schärfere Konturen. Im Gegensatz zu Eichmann selbst war dessen "bester Mann" - Alois Brunner - keineswegs vorwiegend am Schreibtisch tätig. Ob in Wien, das der gebürtige Österreicher "judenrein" machte, ob in Saloniki, wo er eine jüdische Gemeinde von zirka 50.000 Menschen in der Rekordzeit von vier Monaten fast vollständig vernichtete, ob in Paris und Nizza, von wo er 23.500 Juden in die Feueröfen von Auschwitz schickte, ob in Bratislava, wo er bis kurz vor Einnahme der Stadt durch die Rote Armee nochmals 14.000 Juden teils nach Auschwitz, teils nach Theresienstadt und Bergen-Belsen verschleppen ließ, immer war er auch Folterer und Raubmörder. Ochsenziemer und Nilpferdpeitsche waren sein Werkzeug, der Revolver seine Mordwaffe. Sein Fanatismus, seine Brutalität, ja Bestialität und seine Beutegier werden in zahllosen Details belegt. Warum konnte einer wie er bis heute seiner Strafe entgehen? Die Antwort ist einfach: Weil weder die österreichische noch die deutsche Justiz je ein sonderliches Interesse an der Auslieferung des Judenjägers und Judenmörders zeigte. Und dieses Desinteresse hatte Methode.

    Brunner hatte nach dem Krieg mächtige Helfer und Beschützer, weil er selbst diesen Mächtigen nützlich war. Als sich Gamal Abdel Nasser 1952 in Ägypten an die Macht putschte, erhielt die CIA den Auftrag zum Aufbau eines militärischen Geheimdienstes. Die USA delegierten die delikate Aufgabe an ihre westdeutschen Freunde: die "Organisation Gehlen" den Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes. Und ausgerechnet dieser deutsche Geheimdienst schickte Alois Brunner in den Nahen Osten mit Standort zunächst in Kairo, später auch in Damaskus. In der syrischen Hauptstadt leistete der frühere SS-Hauptsturmführer einem kommenden Mann Hilfe: dem späteren Präsidenten Hafiz al-Assad; und der zeigte sich erkenntlich, indem er schützend die Hand über den Judenfeind hielt. Inzwischen ist Assad tot, das Desinteresse an Alois Brunner allerdings lebt weiter - aus naheliegenden Gründen. Man stelle sich einen Brunner vor, der vor einem deutschen Gericht genüsslich ausbreitet, dass nicht nur das Deutsche Nazi-Reich, sondern auch die Bundesrepulik Deutschland auf die wertvollen Dienste eines Massenmörders nicht verzichten wollte.

    Peter Hölzle besprach: "Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch auf freiem Fuß ist". Die Autoren sind Georg M. Hafner und Esther Shapira. Das beim Campus Verlag erschienene Buch hat 327 Seiten und kostet 39,80 DM.