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Georges Feydeau: "Klotz am Bein"
Alte Affäre stört junges Glück

Nicht erst im Turbokapitalismus sind Gefühle und Körper zu Waren geworden - auch früher richtete sich das Gefühl gern nach dem Geldbeutel. Ein beliebtes Thema gerade für Komödiendichter wie Georges Feydeau, dessen Stück "Klotz am Bein" am Frankfurter Schauspiel gegeben wird.

Von Stefan Keim |
    Eine Szene aus Georges Feydeaus "Klotz am Bein" am Schauspiel Frankfurt und bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen
    Eine Szene aus Georges Feydeaus "Klotz am Bein" am Schauspiel Frankfurt und bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen (Schauspiel Frankfurt / Thomas Aurin)
    Die Bühne ist leer. Begrenzt wird sie von straff gespannten Fäden, durch die sich die Schauspieler hindurchzwängen müssen. Sie können sich in diese Fadenwände hinein werfen, dann federn sie zurück wie in einem Boxring. Bühnenbildner Olaf Altmann hat alles frei geräumt für ein Experimentierfeld des Geschlechterkampfes, in dem es um die Befriedigung sexueller Begierden geht, aber auch um wirtschaftlichen Aufstieg. Oder - wenn man schon oben ist - um einen Partner als Statussymbol.
    "So wünsch ich mir 'nen Mann. Weil so ein Mann schmeichelt. Er wird zu einer Art Auszeichnung. Man ist doppelt stolz, ihn zu besitzen. Also erstens, weil er so besonders ist, und zweitens, weil dann die anderen stinksauer sind."
    Romantik? Ist doch von gestern.
    Viviane ist die Tochter einer Baronin. Sie steht an der Spitze der erotischen Nahrungskette. Den Mann, den sie gleich heiraten soll, bezeichnet sie in der spitz aktualisierten Textfassung von Claudius Lünstedt als "Proll-Adel". Von ihrer Mutter kommt nur ganz zarter Protest gegen die völlig entromantisierte Einstellung Vivianes. Es klingt eher wie ein Echo aus längst vergangenen Zeiten.
    "Aber das ist doch pure Eitelkeit. Das ist doch keine Liebe. - Entschuldige, Mama, natürlich ist das Liebe, wenn man sagen kann: Diesen Mann hätten alle gern gehabt. Ich hab ihn aber gekriegt und ihr nicht."
    Vivianes Bräutigam hat gerade eine heftige Liebschaft mit einer Chansonsängerin. Eigentlich will er sich bloß von ihr verabschieden, aber diese Lucette wirft sich mit einer derartigen Leidenschaft auf ihn, dass er es einfach nicht hinkriegt. Claude de Demo spielt sie mit überwältigender Energie und einigen proletarischen Zwischentönen, während der drahtige, dünne Max Mayer als Objekt weiblicher Begierde verzweifelt um sein Leben kämpft.
    "Ich dachte schon, es sei für immer Schluss. - Schluss? - Sag, dass niemals Schluss sein wird. - Niemals. - Das heißt, ich werde dich immer ah können? Sag, dass ich dich immer Ahh kann! - Natürlich. Du kannst mich immer."
    Das Licht wechselt, die Windmaschine bläst
    Lucette, die Sängerin, ist der titelgebende "Klotz am Bein", das dampfende, latent beischlafbereite Hindernis auf dem Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg. Georges Feydeaus Stück enthält eine Menge Nebenfiguren mit Komikpotenzial, Pointenlieferanten, von denen einer unerträglichen Mundgeruch hat und ein anderer wortwitzwütig mit der deutschen Sprache kämpft. Regisseur Roger Vontobel übersteigert die Mechanik der Farce und lässt das Ensemble die Gags ausstellen, wild gestikulieren und toben, wie es auch Herbert Fritsch in seinen Komödieninszenierungen tut. Gleichzeitig will Vontobel die gesellschaftliche Analyse, den kritischen Blick. Vor der Pause schnurrt die Aufführung etwas zu perfekt ab, es gibt keine Momente, in denen ein Rest Menschlichkeit durchschimmert. Man bewundert das Handwerk der Schauspieler, findet aber keinen Augenblick der Berührung. Das wird im Lauf der Aufführung anders. Weil die Schauspieler - vor allem Katharina Linder als Baronin - Brüche finden und einige Sätze plötzlich natürlich sprechen. Und die zuvor schon witzige aber eher illustrierende Musik von Keith O´Brien größere Bedeutung bekommt. Sie öffnet Alptraumwelten, das Licht wechselt, die Windmaschine bläst, die Chansonsängerin zittert vor einem erkältungsfördernden Luftzug, und Liebesbekundungen rutschen in die Hysterie.
    Die Aktualität des Komödiendichters
    Körper und Gefühle sind Waren in einer durchökonomisierten Welt. Das sind Gedanken, wie sie auch René Pollesch oft formuliert hat, der sich ja gerade bei den Techniken der Komödie, der Farce, der Vaudevilles hemmungslos bedient. Dass Georges Feydeau zumindest mit diesem Stück eine Art Vorfahre René Polleschs war, hat Roger Vontobel eindrucksvoll bewiesen. Es braucht zwar einen langen Anlauf, bis Theatralität, Witz und Kritik eine überzeugende Mischung ergeben. Aber wenn die Mechanik eine Ahnung von Menschlichkeit zulässt, gelingen großartige Momente.