"Das bisschen Fassung, das man in meinen Kreisen dem neuen Regime ent-gegengebracht hat, ist rasch verbraucht und man gibt sich Rechenschaft, daß die Luft kaum mehr zu atmen ist; ein Umstand, der freilich dadurch an Tragweite verliert, daß einem die Kehle zugeschnürt wird (Briefe IV, 162)."
Mit diesen drastischen Worten teilte Walter Benjamin seinem Freund Gershom Scholem die bedrohliche Lage in Berlin mit, vier Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Es war der letzte Brief, den er Scholem aus Deutschland schrieb, kurz vor seinem Exil. Als Jude und Marxist gab es für Benjamin im Deutschland unterm Hakenkreuz keine Zukunft mehr. Zudem waren es wirtschaftliche Gründe, die ihm ein weiteres Leben in Deutschland unmöglich machten: Seine freie Mitarbeit bei der "Frankfurter Zeitung", der "Literarischen Welt" und beim Rundfunk war stark gefährdet. Der einstige Freund Gershom Scholem, der bereits 1924 nach Palästina auswanderte, berichtet:
"Er hatte später, als ich schon aus Deutschland weg war, einen ziemlich großen Umgang in literarischen Kreisen in Berlin, durch seine Arbeit für die Literarische Welt von Haas, oder durch seine Mitarbeit im Kreis um Bertold Brecht und hatte dort allmählich bei Wissenden, die nicht sehr zahlreich waren, wohl den Ruf, der ihm zukam, nämlich den des bedeutendsten Kritikers deutscher Sprache."
Doch die Zeit änderte sich schnell: Lange vor 1933 passten sich die Redaktionen aus opportunistischen Gründen der reaktionären Entwicklung in Deutschland an. In der Folge wurden die Aufträge drastisch beschnitten. Henri Lonitz, der zusammen mit Christoph Gödde die mittlerweile vollständige Brief-Korrespondenz von Benjamin herausgegeben hat, verweist auf die ausweglose Lage zu Beginn des Dritten Reichs:
"Soweit wir das überschauen können, ist die Orientierung der Redaktionen, der Redakteure nach der politischen Rechten dem Motto geschuldet, man müsse sich erst einmal vorsichtig taktisch anpassen, um eigene Positionen nicht zu gefährden."
Benjamin verfolgte seit langem Buchprojekte, die nun zwangs-läufig unausgeführt blieben. Unter ihnen befand sich ein Goethe-Buch, desgleichen seine Gesammelten Essays zur Literatur und ein - wie Benjamin sagte - "höchst bedeutendes Buch über das Haschisch". Auch die Pariser Passagen, an denen er bis zu seinem Lebensende arbeitete, konnten nicht mehr erscheinen. Lange vor dem Exil stellte sich also bei Benjamin ein Gefühl der Vergeblichkeit ein. Henri Lonitz sieht deshalb an erster Stelle: "(...) das vordringliche Gefühl, gescheitert zu sein: Gescheitert, zu sein in seinen akademischen Hoffnungen - das lag einige Jahre zurück - und gescheitert zu sein mit der Ausweichposition, ein Kritiker und literarischer Vermittler zu sein, der eine Rolle im literarischen Leben als Kritiker und Übersetzer spielt und als jemand, der in Frankreich die deutsche Avantgarde repräsentiert oder vermittelt und in Deutschland die neuesten literarischen (...) und dramatischen Entwicklungen in Frankreich. (...) Weder im Rundfunk noch bei den Zeitungen, in den Redaktionen werden die Sachen so verlangt, daß er einerseits die literarische Politik weiterverfolgen kann andererseits von den Nebenerzeugnissen, den Rezensionen und Rundfunkvorträgen hätte leben können."
Benjamins Exil sollte endgültig sein. Das Schicksal einiger Freunde war ihm eine unmißverständliche Warnung. Bereits in der Nacht des Reichstagsbrandes verschwanden einige in den improvisierten Konzentrationslagern und Folterkellern der SA. Anderen wie Bertold Brecht, Ernst Bloch, Siegfried Kracauer und Karl Wolfskehl gelang die überstürzte Flucht ins Ausland. Schließlich war Benjamin in tiefer Sorge um seinen Bruder Georg, der illegal für die KPD tätig war und nach mehreren Verhaftungen 1942 im KZ Mauthausen ums Leben kam.
Aus all diesen Gründen stellte sich Walter Benjamin auf ein langes Exil ein - ein Exil, das er auf Ibiza, bei seiner geschiedenen Frau in San Remo, bei Bertold Brecht in Dänemark und immer wieder in Paris verbrachte. Ein Exil voller Entbehrungen: "Das heißt ein Moment von intellektueller Anregung, ein Moment der Befriedigung intellektueller Neugier, auch auf Gegenstände gestoßen zu werden, über Gegenstände zu diskutieren - das hat ihm sehr stark gefehlt. Man geht sicher nicht zu weit, wenn man sagt, daß Benjamin in Berlin (...) Kontakt zu sehr vielen Kreisen gehabt haben muß. Wahrscheinlich kennen wir aus den Briefen, aus den biographischen Versuchen, die es bisher gegeben hat, nur die Spitze dieses personellen Eisberges. Man kann sich das - glaube ich - so vorstellen, daß Benjamin fast jeden Abend irgendwo mit irgendwem gesprochen hat, diskutiert hat, daß das Moment der Beweglichkeit für ihn eine große Rolle gespielt hat."
Diese Zeit war unwiederbringlich vorbei. In Benjamins Briefen ist nun unablässig von Finanzsorgen und Wohnungsproblemen die Rede. Hinzu kommt der wachsende Fremdenhaß. Davon zeugt der in Frankreich kursierende Spruch "Les émigrés sont pires que les boches" - "Die Emigranten sind schlimmer als die verdammten Deutschen". Selbst eine Verbindung zu Exilanten lässt sich kaum herstellen - wie Benjamin an Scholem schreibt: "Das Leben unter den Emigranten ist unerträglich, das einsame nicht erträglicher, eines unter Franzosen nicht herbeizuführen. Es bleibt also nur die Arbeit; aber nichts gefährdet sie mehr als sie so deutlich als einziges Auskunftsmittel zu erkennen."
Seit dieser Zeit arbeitete Benjamin wie ein Besessener in der Bibliothèque Nationale. In dieses Wissensgehäuse hat er sich so oft wie möglich zurückgezogen. Hier sah er den einzigen Ort, um sein chef d'œuvre, das legendäre "Passagen-Werk", zu vollenden. "Den Mut zum Existenzkampf" - schrieb er 1935 an Adorno - gewinne er einzig und allein aus dieser Arbeit. In den Briefen des kürzlich publizierten 6. Bandes kann man nachlesen, wie selbst Benjamins Besuche bei Bertold Brecht im dänischen Exil keineswegs der Zerstreuung dienten. Eher dachte er an strenge "Klausur".
Als Walter Benjamin im Herbst von seiner letzten Dänemark-Reise nach Paris zurückkehrt, ist ihm klar, daß der Krieg unausweichlich ist. Sogar in seinem geliebten Frankreich fühlt er sich nicht mehr sicher. Dieses Gefühl kommt in einem bemerkenswerten Brief an Scholem zum Ausdruck, in dem er die Romane Franz Kafkas als das Werk eines "Gescheiterten" deutet. Als ob Kafka den Holocaust vorausgesehen hätte, schreibt Benjamin: "Kafkas vielfach so heitere und von Engeln durchwirkte Welt ist das genaue Komplement seiner Epoche, die sich anschickt, die Bewohner dieses Planeten in erheblichen Massen abzuschaffen." Aus dieser Erkenntnis zieht Benjamin den Schluss: "So ist denn, wie Kafka sagt, unendlich viel Hoffnung vorhanden, nur nicht für uns".
Benjamin sah die wachsende Gefahr, die ihm als deutschen Juden und Marxisten in Frankreich drohte. Ende Mai 1939 wurde ihm durch die Deutsche Botschaft in Paris die Ausbürgerung mitgeteilt. Der Versuch, im Gegenzug die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen, scheiterte. Währenddessen verschärfte sich - nach dem Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin - die Fremdenfeindlichkeit unter den Franzosen. So wurden im folgenden "drôle de guerre", der dem heißen Krieg voranging, alle Deutschen unterschiedslos zu Feinden erklärt. Nach Kriegsbeginn und der Kriegserklärung Frankreichs wurde Benjamin mit anderen Exilierten tagelang in einer Fußballarena festgehalten und schließlich in verplombten Eisenbahnwaggons in ein rasch improvisiertes Sammellager transportiert.
Die letzten Tage seiner "via dolorosa" sind hinlänglich bekannt. Als sich im Mai 1940 die Truppen Hitlers Paris näherten, machten sich etwa acht Millionen Franzosen auf die Flucht gen Süden. Unter ihnen befand sich auch Walter Benjamin. Im völlig übervölkerten Lourdes wartete er auf eine Einreiseerlaubnis in die Vereinigten Staaten. Ein auf französisch geschriebener Brief an Gretel Adorno zeugt von der hoffnungslosen Lage:
"Stelle Dir vor, dass ich lediglich eine Gasmaske und meine Toilettensachen mitnehmen durfte. Zwar konnte ich all dies voraussehen, dennoch war ich nicht in der Lage, mich dagegen zu wappnen. Verschlimmernd kommt hinzu, dass die Zukunft meiner Schriften völlig ungewiss ist."
Max Horkheimer konnte zwar bewirken, dass beim amerikanischen Konsulat in Marseille ein Dringlichkeitsvisum für Benjamin hinterlegt wurde. Allerdings waren die Ausreisedokumente unvollständig, weshalb Benjamin gezwungen war, unter der Führung von Lisa Fittko die Grenze zum katalanischen Port Bou zu überqueren. Doch ausgerechnet am 26. September verlangten die spanischen Zollbehörden zusätzlich ein Ausreisevisum. Benjamin, der befürchtete, in ein französisches Internierungslager oder ein deutsches Konzentrationslager geschickt zu werden, nahm völlig verzweifelt eine Überdosis Morphium. Kurz zuvor schrieb er einen Abschiedsbrief an Henny Gurland: "In dieser ausweglosen Situation bleibt mir nichts anderes übrig als Schluss zu machen. Ich beende mein Leben in einem kleinen Pyrenäendorf, wo mich keiner kennt. Ich bitte Dich, meine Gedanken an Adorno weiterzugeben und ihm die Situation zu erklären, in der ich mich befand. Mir bleibt nicht mehr ausreichend Zeit, um all die Briefe zu schreiben, die ich gerne schreiben würde."
Kurze Zeit später hat Adorno die Nachricht vom Tode seines Freundes erhalten. In einem Interview erklärte er dazu: "Als ich in New York im Herbst 1940 die Nachricht von seinem Tod empfing, hatte ich wirklich und ganz buchstäblich das Gefühl, als ob durch diesen Tod, der den Abschluss eines großen Werkes unterbrach, die Philosophie um das Beste gebracht worden wäre, was sie überhaupt hätte hoffen können. Und seit dieser Zeit habe ich es als eine sehr wesentliche Aufgabe betrachtet, nach meinem schwachen Teil alles zu tun, um das, was von diesem Werk vorhanden ist, und was gegenüber seiner Möglichkeit nur ein Fragment ist, so weit wenigstens herzustellen, daß eine Ahnung von diesem Potential doch wiedererweckt wird."
Mit diesen drastischen Worten teilte Walter Benjamin seinem Freund Gershom Scholem die bedrohliche Lage in Berlin mit, vier Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Es war der letzte Brief, den er Scholem aus Deutschland schrieb, kurz vor seinem Exil. Als Jude und Marxist gab es für Benjamin im Deutschland unterm Hakenkreuz keine Zukunft mehr. Zudem waren es wirtschaftliche Gründe, die ihm ein weiteres Leben in Deutschland unmöglich machten: Seine freie Mitarbeit bei der "Frankfurter Zeitung", der "Literarischen Welt" und beim Rundfunk war stark gefährdet. Der einstige Freund Gershom Scholem, der bereits 1924 nach Palästina auswanderte, berichtet:
"Er hatte später, als ich schon aus Deutschland weg war, einen ziemlich großen Umgang in literarischen Kreisen in Berlin, durch seine Arbeit für die Literarische Welt von Haas, oder durch seine Mitarbeit im Kreis um Bertold Brecht und hatte dort allmählich bei Wissenden, die nicht sehr zahlreich waren, wohl den Ruf, der ihm zukam, nämlich den des bedeutendsten Kritikers deutscher Sprache."
Doch die Zeit änderte sich schnell: Lange vor 1933 passten sich die Redaktionen aus opportunistischen Gründen der reaktionären Entwicklung in Deutschland an. In der Folge wurden die Aufträge drastisch beschnitten. Henri Lonitz, der zusammen mit Christoph Gödde die mittlerweile vollständige Brief-Korrespondenz von Benjamin herausgegeben hat, verweist auf die ausweglose Lage zu Beginn des Dritten Reichs:
"Soweit wir das überschauen können, ist die Orientierung der Redaktionen, der Redakteure nach der politischen Rechten dem Motto geschuldet, man müsse sich erst einmal vorsichtig taktisch anpassen, um eigene Positionen nicht zu gefährden."
Benjamin verfolgte seit langem Buchprojekte, die nun zwangs-läufig unausgeführt blieben. Unter ihnen befand sich ein Goethe-Buch, desgleichen seine Gesammelten Essays zur Literatur und ein - wie Benjamin sagte - "höchst bedeutendes Buch über das Haschisch". Auch die Pariser Passagen, an denen er bis zu seinem Lebensende arbeitete, konnten nicht mehr erscheinen. Lange vor dem Exil stellte sich also bei Benjamin ein Gefühl der Vergeblichkeit ein. Henri Lonitz sieht deshalb an erster Stelle: "(...) das vordringliche Gefühl, gescheitert zu sein: Gescheitert, zu sein in seinen akademischen Hoffnungen - das lag einige Jahre zurück - und gescheitert zu sein mit der Ausweichposition, ein Kritiker und literarischer Vermittler zu sein, der eine Rolle im literarischen Leben als Kritiker und Übersetzer spielt und als jemand, der in Frankreich die deutsche Avantgarde repräsentiert oder vermittelt und in Deutschland die neuesten literarischen (...) und dramatischen Entwicklungen in Frankreich. (...) Weder im Rundfunk noch bei den Zeitungen, in den Redaktionen werden die Sachen so verlangt, daß er einerseits die literarische Politik weiterverfolgen kann andererseits von den Nebenerzeugnissen, den Rezensionen und Rundfunkvorträgen hätte leben können."
Benjamins Exil sollte endgültig sein. Das Schicksal einiger Freunde war ihm eine unmißverständliche Warnung. Bereits in der Nacht des Reichstagsbrandes verschwanden einige in den improvisierten Konzentrationslagern und Folterkellern der SA. Anderen wie Bertold Brecht, Ernst Bloch, Siegfried Kracauer und Karl Wolfskehl gelang die überstürzte Flucht ins Ausland. Schließlich war Benjamin in tiefer Sorge um seinen Bruder Georg, der illegal für die KPD tätig war und nach mehreren Verhaftungen 1942 im KZ Mauthausen ums Leben kam.
Aus all diesen Gründen stellte sich Walter Benjamin auf ein langes Exil ein - ein Exil, das er auf Ibiza, bei seiner geschiedenen Frau in San Remo, bei Bertold Brecht in Dänemark und immer wieder in Paris verbrachte. Ein Exil voller Entbehrungen: "Das heißt ein Moment von intellektueller Anregung, ein Moment der Befriedigung intellektueller Neugier, auch auf Gegenstände gestoßen zu werden, über Gegenstände zu diskutieren - das hat ihm sehr stark gefehlt. Man geht sicher nicht zu weit, wenn man sagt, daß Benjamin in Berlin (...) Kontakt zu sehr vielen Kreisen gehabt haben muß. Wahrscheinlich kennen wir aus den Briefen, aus den biographischen Versuchen, die es bisher gegeben hat, nur die Spitze dieses personellen Eisberges. Man kann sich das - glaube ich - so vorstellen, daß Benjamin fast jeden Abend irgendwo mit irgendwem gesprochen hat, diskutiert hat, daß das Moment der Beweglichkeit für ihn eine große Rolle gespielt hat."
Diese Zeit war unwiederbringlich vorbei. In Benjamins Briefen ist nun unablässig von Finanzsorgen und Wohnungsproblemen die Rede. Hinzu kommt der wachsende Fremdenhaß. Davon zeugt der in Frankreich kursierende Spruch "Les émigrés sont pires que les boches" - "Die Emigranten sind schlimmer als die verdammten Deutschen". Selbst eine Verbindung zu Exilanten lässt sich kaum herstellen - wie Benjamin an Scholem schreibt: "Das Leben unter den Emigranten ist unerträglich, das einsame nicht erträglicher, eines unter Franzosen nicht herbeizuführen. Es bleibt also nur die Arbeit; aber nichts gefährdet sie mehr als sie so deutlich als einziges Auskunftsmittel zu erkennen."
Seit dieser Zeit arbeitete Benjamin wie ein Besessener in der Bibliothèque Nationale. In dieses Wissensgehäuse hat er sich so oft wie möglich zurückgezogen. Hier sah er den einzigen Ort, um sein chef d'œuvre, das legendäre "Passagen-Werk", zu vollenden. "Den Mut zum Existenzkampf" - schrieb er 1935 an Adorno - gewinne er einzig und allein aus dieser Arbeit. In den Briefen des kürzlich publizierten 6. Bandes kann man nachlesen, wie selbst Benjamins Besuche bei Bertold Brecht im dänischen Exil keineswegs der Zerstreuung dienten. Eher dachte er an strenge "Klausur".
Als Walter Benjamin im Herbst von seiner letzten Dänemark-Reise nach Paris zurückkehrt, ist ihm klar, daß der Krieg unausweichlich ist. Sogar in seinem geliebten Frankreich fühlt er sich nicht mehr sicher. Dieses Gefühl kommt in einem bemerkenswerten Brief an Scholem zum Ausdruck, in dem er die Romane Franz Kafkas als das Werk eines "Gescheiterten" deutet. Als ob Kafka den Holocaust vorausgesehen hätte, schreibt Benjamin: "Kafkas vielfach so heitere und von Engeln durchwirkte Welt ist das genaue Komplement seiner Epoche, die sich anschickt, die Bewohner dieses Planeten in erheblichen Massen abzuschaffen." Aus dieser Erkenntnis zieht Benjamin den Schluss: "So ist denn, wie Kafka sagt, unendlich viel Hoffnung vorhanden, nur nicht für uns".
Benjamin sah die wachsende Gefahr, die ihm als deutschen Juden und Marxisten in Frankreich drohte. Ende Mai 1939 wurde ihm durch die Deutsche Botschaft in Paris die Ausbürgerung mitgeteilt. Der Versuch, im Gegenzug die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen, scheiterte. Währenddessen verschärfte sich - nach dem Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin - die Fremdenfeindlichkeit unter den Franzosen. So wurden im folgenden "drôle de guerre", der dem heißen Krieg voranging, alle Deutschen unterschiedslos zu Feinden erklärt. Nach Kriegsbeginn und der Kriegserklärung Frankreichs wurde Benjamin mit anderen Exilierten tagelang in einer Fußballarena festgehalten und schließlich in verplombten Eisenbahnwaggons in ein rasch improvisiertes Sammellager transportiert.
Die letzten Tage seiner "via dolorosa" sind hinlänglich bekannt. Als sich im Mai 1940 die Truppen Hitlers Paris näherten, machten sich etwa acht Millionen Franzosen auf die Flucht gen Süden. Unter ihnen befand sich auch Walter Benjamin. Im völlig übervölkerten Lourdes wartete er auf eine Einreiseerlaubnis in die Vereinigten Staaten. Ein auf französisch geschriebener Brief an Gretel Adorno zeugt von der hoffnungslosen Lage:
"Stelle Dir vor, dass ich lediglich eine Gasmaske und meine Toilettensachen mitnehmen durfte. Zwar konnte ich all dies voraussehen, dennoch war ich nicht in der Lage, mich dagegen zu wappnen. Verschlimmernd kommt hinzu, dass die Zukunft meiner Schriften völlig ungewiss ist."
Max Horkheimer konnte zwar bewirken, dass beim amerikanischen Konsulat in Marseille ein Dringlichkeitsvisum für Benjamin hinterlegt wurde. Allerdings waren die Ausreisedokumente unvollständig, weshalb Benjamin gezwungen war, unter der Führung von Lisa Fittko die Grenze zum katalanischen Port Bou zu überqueren. Doch ausgerechnet am 26. September verlangten die spanischen Zollbehörden zusätzlich ein Ausreisevisum. Benjamin, der befürchtete, in ein französisches Internierungslager oder ein deutsches Konzentrationslager geschickt zu werden, nahm völlig verzweifelt eine Überdosis Morphium. Kurz zuvor schrieb er einen Abschiedsbrief an Henny Gurland: "In dieser ausweglosen Situation bleibt mir nichts anderes übrig als Schluss zu machen. Ich beende mein Leben in einem kleinen Pyrenäendorf, wo mich keiner kennt. Ich bitte Dich, meine Gedanken an Adorno weiterzugeben und ihm die Situation zu erklären, in der ich mich befand. Mir bleibt nicht mehr ausreichend Zeit, um all die Briefe zu schreiben, die ich gerne schreiben würde."
Kurze Zeit später hat Adorno die Nachricht vom Tode seines Freundes erhalten. In einem Interview erklärte er dazu: "Als ich in New York im Herbst 1940 die Nachricht von seinem Tod empfing, hatte ich wirklich und ganz buchstäblich das Gefühl, als ob durch diesen Tod, der den Abschluss eines großen Werkes unterbrach, die Philosophie um das Beste gebracht worden wäre, was sie überhaupt hätte hoffen können. Und seit dieser Zeit habe ich es als eine sehr wesentliche Aufgabe betrachtet, nach meinem schwachen Teil alles zu tun, um das, was von diesem Werk vorhanden ist, und was gegenüber seiner Möglichkeit nur ein Fragment ist, so weit wenigstens herzustellen, daß eine Ahnung von diesem Potential doch wiedererweckt wird."