Archiv


Gescheitertes Zusammenspiel

Der Komponist Moritz Eggert ist spätestens seit dem "Fußballoratorium", einer Auftragsarbeit für die RuhrTriennale 2005 hierzulande ein Begriff. Er bezeichnet sich selbst als Vertreter der sogenannten "neuen Einfachheit". In Bonn kam nun eine neue Auftragskomposition von Eggert in Form einer großen Oper zur Uraufführung. Die neue Einfachheit entpuppt sich ins Eggerts Tonsprache jedoch zu einer ziemlich in die Jahre gekommenen Einfachheit.

Von Regine Müller |
    Eine krude Mischung aus Nähmaschinenbarock und Moritaten-Geleier à la Kurt Weill bestimmt weite Strecken die Partitur. Eggert bedient sich hemmungslos aus dem Fundus der Musikgeschichte. Er springt kreuz und quer zwischen Händel-Adaption, Hollywood-Soundtrack mit jaulender Sologeige und lupenreinem Musical-Kitsch. Den Sängern fordert er extreme Höhen und langen Atem ab, bleibt formal jedoch an altbackenen Arien- Konventionen kleben. Kaum ein schräger Ton stört den üppigen, emsig arrangierten Klangstrom, der die Sänger stellenweise arg bedrängt. Die Geschichte der Oper ist schnell erzählt:

    Es geht um eine unmögliche Liebe im Schausteller-Milieu, besser gesagt, im Milieu der so genannten Freaks: das sind Menschen mit körperlichen Missbildungen, die diese Abweichungen von der Norm als bizarre Sensation auf der Bühne präsentieren. Der kleinwüchsige Franz verliebt sich in die schöne, nicht kleinwüchsige Isabella, die ihrerseits den Moderator Hilbert liebt. Dessen Show versammelt neben Franz weitere "Freaks". Isabella heiratet Franz nur, um an dessen Vermögen zu kommen und will ihn deshalb möglichst schnell beseitigen. Moderator Hilbert jedoch will vor allem den Erfolg und seine Show. Der Teufelskreis aus Gier und Täuschung endet tragisch: Isabella verliert beide Beine, Franz wendet sich von ihr ab, tötet seine alte Liebe Lea und endet im Wahnsinn.
    Die schillernde Welt dieser Geschichte ist für Eggert auch Anlass zu umtriebiger Varieté-Musik.

    Der Wirbel, der schon vorab um diese Uraufführung entstand, verdankt sich jedoch nicht dieser anbiedernden, geschwätzigen und vor öligem Kitsch triefenden Musik, sondern der Tatsache, dass für die Inszenierung Christoph Schlingensief gewonnen werden konnte. Doch wurde nicht seine erhofft provozierende Regie nun zum Stein des Anstoßes, denn Schlingensief und Eggert konnten sich - so die offizielle Auskunft - nicht auf ein Konzept einigen. Schlingensief, der seit geraumer Zeit mit behinderten Menschen zusammen arbeitet, wollte in einer Oper über Freaks auch Freaks auf der Bühne sehen und hören. Und nicht nur die professionellen Opernsänger, auf denen Eggert bestand. In Wahrheit dürfte das künstlerische Zerwürfnis ernsterer Natur gewesen sein, auch wenn dies von allen bestritten wurde.

    Tatsächlich trennten sich Eggerts und Schlingensiefs Wege sehr konkret, denn die Uraufführung fand zwar in Kostüm und Maske, aber in konzertanter Aufstellung statt. In der Pause zeigte man im Foyer einen so genannten "filmischen und installativen Diskurs: Fremdverstümmelung 2007 - Freax" parallel mit einer Live-Aktion der Schlingensief-"Familie", die sich zu einer Art rituellem Gastmahl an einer Tafel versammelte. Beides summierte sich zum gewohnt assoziationsreichen Schlingensief-Bilderreigen in typischer Wackel-Ästhetik, der das Thema Stigmatisierung in eine völlig andere Dimension rückte, als es Eggerts Musiktheater vermochte.

    Die Schwäche dieser Oper beginnt nicht bei der Musik, sondern bei dem hanebüchenen und vor Stilblüten strotzenden Libretto von Hannah Dübgen. Da reimt sich Lust auf Frust und dem Beethovenfest wird mit Zeilen wie "Freude schöner Körperformen" eine zweifelhafte Referenz erwiesen.

    Schlingensief jedenfalls ist aus der Sache einmal mehr unbeschadet hervorgegangen. Fragen sollte man sich, welche unrühmliche Rolle die Verantwortlichen hinter den Kulissen bei der Produktion eines solchen Rohrkrepierers eigentlich gespielt haben.