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Geschichte Afrikas

"Du erscheinst so schön im Horizonte des Himmels, du lebende Sonne, die zuerst zu leben anfing! Du bist aufgeleuchtet im östlichen Horizonte und hast alle Lande mit deiner Schönheit erfüllt. Du bist schön und groß, glänzend und hoch über allen Landen. Deine Strahlen umfassen die Länder, bis zum Ende all dessen, was du geschaffen hast.

Verena Lorentz |
    Der Beginn des berühmten Sonnenhymnus von Amarna, wahrlich ein Kleinod der Weltliteratur. Er kommt aus Afrika, denn die Hochkultur des alten Ägyptens, die wir so sehr bewundern und die zu besichtigen Hunderttausende von Touristen jedes Jahr an den Nil reisen, gehört zu diesem Kontinent. Das scheinen diejenigen zu verdrängen, die abfällig oder mythisch raunend vom 'Dunklen Kontinent' sprechen: Der Norden Afrikas ist Anrainer des Mittelmeeres genauso wie Europa, ist Teil der antiken mediterranen Kultur, die wir als die unsrige betrachten. Augustinus zum Beispiel war Berber, Afrikaner; das Christentum in Afrika früher verankert als nördlich der Alpen.

    Afrika ist also keineswegs mit Schwarzafrika gleichzusetzen. Dies deutlich gemacht zu haben, ist nur eines der Verdienste des Buches über afrikanische Geschichte von John Iliffe. Um so erstaunlicher ist es, daß dem Cambridger Professor dieses ihm offensichtlich wichtige Anliegen durch sein deutschen Verlag optisch konterkariert wurde: Schutzumschlag seines Buches ziert eine Holzmaske aus Guinea und suggeriert so dem unbefangenen Betrachter, eine Geschichte lediglich Schwarzafrikas zu erwerben - so eingefleischt sind unsere Denkgewohnheiten!

    Sicher, klimatische Umschwünge machten die Sahara im dritten vorchristlichen Jahrtausend zu der Wüste, wie wir sie heute kennen - ein Hindernis für die steten Verbindungen des nördlichen mit dem subsaharischen Afrika, was auf Dauer zu der uns geläufigen Zweiteilung des Kontinents führte.

    Undurchlässig war dieses geographische Hindernis keineswegs, viele der kulturellen Errungenschaften des euroasiatischen-nordafrikanischen Raumes finden sich, verspätet und verwandelt, auch im südlichen Teil Afrikas. Von Afrika aus nahm die Menschheit ihren Anfang, besiedelte dann die anderen Kontinente. Doch während die klimatisch günstigeren Voraussetzungen dort relativ schnell bedeutende Bevölkerungskonzentrationen mit all ihren kulturellen Entwicklungspotentialen erlaubten, erschwerte im südlichen Afrika eine unwirtliche Umgebung eine ähnlich dynamische Entwicklung: Die Vielzahl schädlicher Insekten, die zur Verbreitung gefährlicher Krankheiten beitrugen, unregelmäßige Regenfälle, unfruchtbare Böden - all dies ließ die Energie afrikanischer Gesellschaften vor allem auf eine Maximierung der Bevölkerungszahl hin ausgerichtet sein. Daß diese jahrtausendalte Einstellung nicht innerhalb einer Generation aufgegeben werden kann, ist einsehbar, macht aber die Errungenschaften der modernen Medizin heute zu einem ambivalenten Geschenk: Nirgendwo stiegen die Bevölkerungszahlen so sprunghaft an wie hier, führten die schnelle Alphabethisierung, die Einführung moderner Techniken und Verkehrssysteme zu einem solch rasanten Wandel.

    Die Geschichte Afrikas, so betont der Autor, stelle sich in ihrem Kern als eine einzigartige Bevölkerungsgeschichte dar, die die frühesten Menschen mit ihren heutigen Nachfahren durch einen fortlaufenden historischen Prozess verbinde. Doch die Geschichtlichkeit Afrikas in solche Tiefen zu verfolgen, bedeutet, eine äußerst schwierige Quellenlage zu meistern: detektivisches Auswerten archäologischer Forschungen mit ihren vielfältigen modernen, naturwissenschaftlich bestimmten Methoden, ethnologische, linguistische, kunsthistorische Untersuchungen, die Auswertung mündlicher Überlieferungen - all dies muß zuammengefaßt werden, um das häufige Fehlen schriftlicher Quellen wettzumachen - eine Sisyphosarbeit!

    Diese mangelnde Schriftlichkeit großer Teile Schwarzafrikas wird immer als Beleg dafür angeführt, daß seine kulturelle Entwicklung dürftiger, um nicht zu sagen, minderwertiger sei, sein Willen zur Staatlichkeit unausgeprägt. Deshalb sei seine Kolonisierung durch die Europäer fast eine natürliche Konsequenz gewesen. Hier belehrt uns John Iliffe gründlich eines Besseren, hier besteht mit Sicherheit der größte Nachholbedarf. Die Vielzahl der Staaten Schwarzafrikas, ihre zum Teil differenzierten und entwickelten Gesellschaften vor der Ankunft der Europäer dürfte die meisten Leser überraschen.

    Viele Ansichten müssen revidiert, aber auch liebgewonnene Klischees verabschiedet werden: Nicht erst die bösen Europäer brachten die Geißel des Sklavenhandels nach Afrika. Nein, Sklavenhandel war schon lange vorher, zynisch ausgedrückt, ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, auch ein wichtiges Bindeglied zur arabischen und - zur europäischen Welt! Araber und Schwarzafrikaner handelten mit Menschen, die durch Gerichtsurteile, Verschuldung, Kriegsgefangenschaft, durch brutale Entführungen versklavt worden waren; die Europäer trafen auf ein wohletabliertes, bestens funktionierendes Sklavenvertriebsnetz. Es gab übrigens auch weiße Sklaven, nicht nur in arabischen Ländern, sondern auch in verschiedenen Staaten Schwarzafrikas. Zur Erinnerung: Die hochzivilisiserten Staaten der Antike waren Sklavenhalterstaaten, und bis ins 19. Jahrhundert gab es bei uns wenn nicht Sklaven, so doch immerhin Leibeigene.

    Man mißversteht den Autor gründlich, wenn man glaubt, daß seine Schilderungen des voreuropäischen Sklavenhandels die durch keine moralischen Bedenken geminderte Skrupellosigkeit der Europäer in ein milderes Licht tauchen sollen. Die Zahlen sprechen für sich: Von 1450 bis 1900 wurden, nach heutigem Forschungsstand, rund dreizehn Millionen Menschen aus Afrika als Sklaven deportiert, davon im 18. Jahrhundert allein über sechs Millionen. Die Zustände auf den Sklavenschiffen waren so unmenschlich und grausam, daß es einem schwerfällt, diese europäischen Sklavenhändler als unsere eigenen Vorfahren zu akzeptieren; die kulturellen Schätze, die sie mit solchermaßen erwirtschafteten Reichtum schaffen ließen und erwarben, durften nun mit etwas anderen Augen betrachtet werden. Auf einen besonders tragischen Aspekt des euro-afrikanischen Sklavenhandels nach Amerika weist John Iliffe hin: Ein immer noch unterbevölkertes Land verkauft eine enorme Zahl seiner eigenen Menschen, weil die Gier nach europäischen Konsumgütern nur so befriedigt werden konnte, weil immer mehr Machthaber das Gold brauchten, um im dauernden Konkurrenzkampf genügend Anhänger an sich zu binden.

    "Die Befreiung ihres Kontinents in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war für die Völker Afrikas ein großer Triumph. Angesichts der Folgen der Unabhängigkeit verkehrte er sich am Ende des Jahrhunderts allerdings in Ernüchterung." So hatte John Ilife seine Abhandlung begonnen, um dann fortzufahren: "Nun ist die Zeit gekommen, Zusammenhänge zu erkennen und über den Stellenwert der aktuellen Probleme in der langen Geschichte des Kontinents nachzudenken." Die Kontinuität der geschichtlichen Linien wollte John Ilife nachzeichnen, mit dem Ziel, heutige Krisen und Konflikte in ihrem historischen Zusammenhang zu beleuchten. Tatsächlich ist es immer wieder verblüffend zu beobachten, wie häufig die Ursachen vieler so modern erscheinenden Auseinandersetzungen zum Teil Jahrhunderte zurückliegen, was ihre Unerbittlichkeit und Schärfe erklären hilft.

    So schrieb John Iliffe nicht nur ein Buch über die Geschichte Afrikas, das wäre schon für sich genug, sondern lieferte gleichzeitig eine Art Handbuch für die heutige afrikanische Politik. Denn was uns unverständlich, willkürlich, irrational, verworren erscheint, ist oft logische Konsequenz historischer Vorgänge. Die Politik Afrikas ohne genaue Kenntnisse dieser historischen Begebenheiten beurteilen, ja, sogar beeinflussen zu wollen, ist unverantwortlich. Schlimmer noch. Nach der Lektüre dieses Buches entlarven sich viele amerikanisch-europäischen Interventionen als das, was sie immer waren: Eine aus Ignoranz gespeiste unerträgliche Arroganz, die scheitern muß.

    Die Geschichte eines ganzen Kontinents in einem einzigen Buch auszubreiten, ist ein gewagtes, und, wenn man das Ergebnis betrachtet, ein bewundernswertes Unterfangen. Dabei ist es wohl unvermeidlich, wenn bei dem manchmal summarischen Überblick Details verkürzt und dadurch falsch dargestellt, die Auswahl subjektiv bestimmt wird. Es scheint paradox, aber nach diesem großem Überblick wünscht man sich genauere Einzelstudien, um bestimmte Entwicklungslinien besser verstehen zu können. Oft schwirrt dem Leser der Kopf vor lauter neuen Namen, die er nicht einzuordnen weiß - ein Glossar oder wenigstens ein ausführliches, erklärendes Register sowie eine Zeittafel wären hilfreich gewesen, das Fehlen solcher Gedächtnisstützen dürfte manchen Leser resignieren lassen.