Symbol des Archipel GULag, Synonym für Zwangsarbeit in der Sowjetunion Josef Stalins – das war Workuta, Stadt und Region der Arbeitslager, gesichert von Truppen des Ministeriums für innere Angelegenheiten – russisch abgekürzt MWD.
Die Stadt Workuta, 120 Kilometer jenseits des nördlichen Polarkreises an der Westseite des oberen Ural gelegen, verdankt ihre Entstehung in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts der Entdeckung reicher Steinkohlevorkommen im Talbecken der Petschora, einem schiffbaren Fluss, der ins nördliche Eismeer mündet. Hier, in der Tundra, ließ Stalin von ungezählten Häftlingen unter ungeheuren Opfern großflächig Barackenlager errichten, riesige Holzeinschlagplätze zur Nutzholzgewinnung anlegen, über drei Dutzend Kohlenschächte in die Erde treiben und leistungsstarke Ziegelbrennereien hochziehen. Hier verlegten Häftlinge die Petschorabahn, eine fast 1850 Kilometer lange Eisenbahnstrecke von Kotlas nach Workuta. Und hier bauten Häftlinge die Stadt Workuta mit auf, die, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, von einer dörflichen Siedlung zu einer Großstadt mit heute 120 000 Einwohnern heranwuchs. 1953, im Todesjahr Stalins, fristeten allein in den Arbeitslagern von Workuta rund eine Viertelmillion Strafgefangene ihr elendes Dasein, ausgebeutet, geschunden, entrechtet, eine Existenz zum Sterben. Zehntausende haben nicht überlebt.
Und ausgerechnet hier, wo Terror und Tod zu Hause waren, ausgerechnet in Workuta brach 1953 ein Massenstreik aus, der in den letzten Juli-Tagen Tausende von Häftlingen ergriff und der am 1. August zu einem blutig niedergeschlagenen Aufstand eskalierte. Einzelne Arbeitsverweigerungen waren bereits in den ersten Juli-Tagen zu registrieren. Am 21. Juli legten die Häftlinge in Schacht 10 die Arbeit nieder. Bald erfasste der Streik weitere zehn Kohlenschächte, darunter Schacht 29. Als hier in den letzten Julitagen Verhandlungen des Lagerstreikkomitees mit einer eigens aus Moskau angereisten Untersuchungskommission unter Leitung von Armeegeneral Iwan Maslennikow, Vize-Innenminister und im MWD zuständig für die Hauptverwaltung Lager, sowie Generalstaatsanwalt Roman Rudenko gescheitert waren, erging am Vormittag des 1. August an die auf der Lagerstraße und einem angrenzenden Sportplatz versammelten streikbereiten Häftlinge die ultimative Aufforderung, den Streik abzubrechen und unverzüglich in den Schacht zur Arbeit einzufahren. Ohne Erfolg.
Zu diesem Zeitpunkt hatten inzwischen mobilisierte Sicherheitstruppen des MWD das von einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umsäumte Lager bereits umstellt. Als in dieser hochgespannten Situation ein tödlicher Pistolenschuss aus der Richtung des von den Häftlingen von innen verbarrikadierten Lagertors fiel, wirkte er wie ein fatales Signal.
Ich stand nicht weit vom Tor entfernt, als plötzlich ein Offizier eine Pistole durch den Lattenrost des oberen Teils des Tores in das Lager hineinführte und mit einem Schuss einen polnischen Mithäftling zu Boden streckte. Dieser Schuss löste die Katastrophe aus. Von allen Seiten – die Truppen standen ja uns gegenüber, wir konnten ihnen in die Augen sehen eröffneten das Feuer aus ihren Schnellfeuergewehren und Maschinenpistolen. Von den Türmen wurde mit Maschinengewehren in die Häftlinge hineingeschossen – es waren ja etliche hundert, die sich dort versammelt hatten, und damit wurde versucht, nun diesen Streik, diesen Aufstand niederzuschlagen. Viele von uns wälzten sich zu Boden. Ich stand noch wie verdattert, als ich diese Schussserie auf uns abgehen sah, dann rissen mich meine Freunde Bockel und Karetskas, das war ein Litauer aus Memel, rissen mich zu Boden, und ein Toter, der bereits da quer vor uns lag, der deckte uns, und plötzlich erhielt ich einen fürchterlichen Schlag in die rechte Schulter, wie ich meinte, und nach kurzer Zeit wurde das Feuer eingestellt. Als wir uns erhoben, um zum Tor zu laufen, setzte eine zweite Salve ein. Ich versteckte mich wieder hinter dem Mann, und einer meiner Freunde fragte, was ist mit dir los? Ich sagte, ich glaube, ich bin getroffen. Und dann packten sie mich. Inzwischen war die Salve wieder beendet. Ein Offizier stand mitten unter den Toten und Verletzten, die da sich, blutend und schreiend, herumwälzten, und schrie, Mütze schwenkend 'konjez, konjez’ – Schluss, Schluss. Meine Freunde packten mich, und ich merkte, ich hatte Pudding in den Knien, und dann verließ mich das Bewusstsein (...) Und dann fand ich mich irgendwann vor dem Lager liegend auf der Lagerstraße, die zum Schacht führte.
So Heinrich Paul Fritsche, Erster Kriminalhauptkommissar a. D., aus der Erinnerung. Er ist damals als politischer Häftling in Workuta dabei gewesen und überlebte schwer verwundet. Sein seinerzeitiger Schicksalsgefährte Horst Hennig, Generalarzt a.D., - als Medizin-Student in Halle 1950 hatte er gegen die Gleichschaltung des Studentenrats opponiert und war deshalb von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt – auch er wurde Zeuge des blutigen Dramas:
Ich stand in der siebten Reihe auf dieser Lagerstraße, und nach dem Pistolenschuss war ich mit einem Satz in einen muldenförmigen Graben, und dann brach auch schon das Feuer von den Postentürmen und von den uns gegenüber stehenden Soldaten, etwa 35 Meter Entfernung, über uns herein, und nachdem wir aus dem Lager herausgetrieben worden sind und ich über die Toten stieg, sagte ich mir: Hennig. Bleib stehen, guck dir das genau an, das darfst du nicht vergessen.
Die schreckliche Bilanz: 64 Tote und mehr als doppelt so viel meist schwer Verletzte. Der verzweifelte Massenprotest der Geschundenen und Ausgebeuteten war im Blut erstickt worden. Eine Erklärung dafür, warum gerade Workuta Schauplatz des dramatischen Geschehens wurde, ergibt sich primär aus den unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Häftlinge in Workuta – Männer wie Frauen – arbeiten und vegetieren mussten. Horst Hennig:
Man musste also, was fürchterlich war unter diesem Klima, Schnee schaufeln bei 30, 40, 45 Grad minus und Schneesturm. Wer sich nicht bewegte, erfror. Die Essensrationen waren minimal, keineswegs ausreichend, um bei diesem Klima existieren zu können. Es war schon ein Fortschritt, wenn man eine leichtere Arbeit unter Tage im Schacht bekam, da waren immerhin 10 bis 12 Grad plus, und man konnte dort besser überleben, und man bekam dort vielleicht auch eine höhere Essensration, wenn die Brigade die Norm erfüllte. Die Normen waren hier sehr hoch. Am Tor stand sinngemäß: 'Ihr könnt Eure Schuld durch Arbeit abtragen’.
Als hochexplosiv wirkte sich zudem die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft in Workuta aus. Hier waren gemeinsam mit kriminellen Strafgefangenen in den sogenannten Regime-Lagern mit strengem Reglement politisch bewusste Häftlinge zusammengepfercht, deportierte Wolga-Deutsche und deutsche Kriegsgefangene, ferner Zivilgefangene aus Ost- und selbst aus Westeuropa - außer Russen, Ukrainern und Georgiern hauptsächlich Litauer, Letten und Esten, Polen, Tschechen und Slowaken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren – und nicht zuletzt Deutsche: Verschleppte aus Ostpreußen und Schlesien, Internierte aus den Speziallagern des MWD in der sowjetischen Besatzungszone und Verurteilte sowjetischer Militärtribunale aus der späteren DDR. Interessanterweise waren es polnische Häftlinge, von denen die Initiative zum Streik ausging.
In Workuta fand 1953 der erste organisierte Häftlingsaufstand statt, aber nicht der einzige. Auch die Straflagerregion Norilsk, eine Zwangsarbeitskolonie ebenfalls jenseits des Polarkreises in der Mündung des Jennessei, erlebte Streik und Aufstand. Hier wurde die Häftlingsrevolte am 4. August ebenfalls mit Waffengewalt niedergeschlagen. Workuta hatte indes das Fanal gesetzt.
250 000 Workuta-Häftlinge – das ist eine statistische Größe. Wer kennt die Schicksale, nennt die Namen? Unter den nach Tausenden zählenden Zivilgefangenen aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet und aus der DDR waren Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen, aus der Sicht des MWD so genannte Kapitalisten und Kulaken, die Kader der Bourgeoisie sozusagen. Hier traf der ehemalige Nazi auf den Ex-Kommunisten, Widerständler aus sozialdemokratischen und bürgerlichen Milieus waren hier zu finden, Oberschüler, Studenten und Hochschullehrer, Schriftsteller und Journalisten. So zum Beispiel die Westberliner Journalistin Ursula Rumin, Autorin des Workuta-Buches "Weinen verboten".
Ein Stasi-Spitzel lockt sie nach Ost-Berlin. Hier wird sie festgenommen und dem MWD ausgeliefert. Ein sowjetisches Militärtribunal in Berlin-Lichtenberg verurteilt sie, obwohl völlig unschuldig, als Spionin zu 15 Jahren Zwangsarbeit.
In Workuta kam ich am 13. April ’53 an und wurde erst mal auf die Peresilka verteilt – das war die Quarantäne-Station –, dort mussten wir fünf Wochen bleiben, mussten allerdings schon arbeiten, und wurden dann auf das Lager verteilt, und zwar nach Pretschachtnaja. Das ist das größte Arbeitslager gewesen der Frauen mit, ich glaube, 4000 Frauen. Es gab Arbeitsbrigaden, die auf die verschiedenen Arbeitsobjekte verteilt wurden. Da war der große Holzplatz. Dort kamen die Baumstämme aus dem Ural an, wurden abgeladen, was eine sehr schwere Arbeit war. Man musste sehr fix sein. Die Bäume wurden geschält, wurden dann wieder aufgeladen beziehungsweise auch zum Teil geschnitten und als Baumaterial nach Workuta geliefert. Ich habe in mehreren Objekten gearbeitet. Erst mal im Lager selbst, das fing klein an sozusagen, Lager aufräumen, dann wurden wir in Workuta eingesetzt zum Schnee schippen, Eishacken, Straßen sauber halten sozusagen, dann kamen wir auf die Arbeitsobjekte, die da waren, eben wie gesagt der Holzplatz, dann in die Tundra, das war eine sehr schwere Arbeit, Tundra roden, Eisenbahn(...)schienen legen, den Damm aufbereiten, Kies und Sand abladen und die schweren Bohlen legen für den Eisenbahnbau (die Linie) von Moskau nach Workuta.
Die Existenz- und Lebensbedingungen der Häftlinge in Workuta sind heute kaum mehr vorstellbar.
Der Arbeitstag begann früh um 6 Uhr, 5 Uhr war Wecken, wurde an eine Eisenschiene geschlagen und ein höllischer Lärm begann. Radio Moskau wurde eingeschaltet, in jeder Baracke gab es zwei Lautsprecher, und nach dem Frühstück mussten wir uns am Tor sammeln, brigadeweise, und dann wurde ausgerückt auf die Arbeitsstellen. Das Frühstück bestand aus einem Kascha-Brei mit 5 oder 10 Gramm Mohnöl oben darauf, das war das ganze Fett für den Tag, und einen Becher Schwarztee. Dazu gab es 300 Gramm Brot anfangs, später war es ein bisschen mehr Brot, russisches Militärbrot, nass und klumpig und schwer.
Oder da ist der damals 23-jährige Volkspolizist Heinrich Paul Fritsche, den seine Kontakte zu einem Westsender, dem RIAS Berlin, nach Workuta brachten und der in dieser Sendung schon zu Wort gekommen ist:
Ich bin am 15. August 1951 verhaftet worden, am 15./16. Januar 1952 vom Militärtribunal verurteilt worden in Potsdam, und wir wurden dann nach Berlin-Lichtenberg geschafft und man verlud uns dort in einen deutschen Waggon, und zwar war der getarnt Postwagen, 'Deutsche Post’ stand dran. Wir wurden einrangiert im Schlesischen Bahnhof – also im Ostbahnhof – und offensichtlich vor den sogenannten 'Blauen Express’ gesetzt, und dann ging es über Brest, Gomel nach Moskau. Von Moskau, dort waren die sogenannten Peresilki, also Durchgangsgefängnisse, gingen wir weiter nach Russajewska, und von Russajewska direkt in einem Güterzug nach Workuta. Da kamen wir am 11. Mai 1952 bei Schneetreiben an. Ich sehe mich heute noch durch die Straße stolpern und neben mir so ein Kerl mit aufgepflanztem Bajonett, brüllend, wir konnten die Hand vor Augen nicht sehen. Wir wurden dann in das Regime-Lager des 1. Schachtes gebracht und von dort aus kamen wir dann direkt zum Regime-Lager 10, was zum 29. Schacht gehörte.
In Streik und Aufstand in Workuta entlud sich, was sich unter den Häftlingen in jahrelanger Zwangsarbeit und Entrechtung an Hass und Verzweiflung aufgestaut hatte. Ein stimulierendes Moment war die vom Obersten Sowjet der UdSSR auf Initiative Lawrentij Berijas am 27. März 1953 erlassene Amnestie für eine Million Häftlinge, von der indes alle nach Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR Verurteilten ausgeschlossen wurden. Das war ein Großteil der Zivilgefangenen in Workuta. In einer Eingabe, die die Häftlinge der 10. Lagerabteilung in Workuta an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion richteten, hieß es daher:
Unsere Entscheidung, die Arbeit einzustellen, ist durch die feste Überzeugung motiviert, dass an uns großes Unrecht verübt wurde, dass unsere menschliche Würde entgegen dem verfassungsmäßigen Recht der Persönlichkeit mit Füßen getreten wurde, dass wir der Willkür der Organe des MWD und MGB zum Opfer gefallen sind. Aufgrund dieser Willkür erlitten wir während der ganzen Haftzeit und auch jetzt noch ständige Verhöhnungen, Terror, Prügel, Beschimpfungen und Demütigungen".
Die von den Häftlingen formulierten drei Hauptforderungen ergaben sich gleichsam logisch zwingend aus ihrer Situation: Erstens Freilassung aller politischen Häftlinge aus dem Lager. Zweitens das Recht für Ausländer, in ihre Heimat zurückzukehren. Drittens: Garantie von Straffreiheit für alle Streikenden.
Als sich die Situation zuspitzte, machte das MWD in Moskau am 24. Juli erste Zugeständnisse:
Für die Häftlinge des Retschnoj Lagers – gemeint war Workuta - wird der 9-Stunden-Arbeitstag eingeführt, die Nummer auf der Kleidung wird abgeschafft, das Zuschicken eines Briefes pro Monat wird erlaubt.
Die Konzessionen wirkten kontraproduktiv. Am 25. Juli legten 8.700 Häftlinge die Arbeit nieder. Dadurch wurde der Betrieb in drei Schächten sowie der Bau am Kraftwerk 2 lahmgelegt. Punktuell steigerte sich der Streik zur Revolte. Zitat aus dem erwähnten MWD-Bericht:
Am 26. Juli um 16 Uhr überfielen mehrere Häftlinge in der Wohnzone der dritten Lagerabteilung die Strafbaracke mit strengem Regime, in der 77 Anstifter zur Sabotage sowie Verletzer der Lagerordnung isoliert waren.
Als die Strafbaracke mit strengem Regime überfallen wurde, eröffneten die Soldaten der Wache das Feuer. Infolgedessen wurden zwei Häftlinge getötet und zwei verletzt. Trotzdem konnten die Angreifer die isolierten Häftlinge befreien. Die Aufseher, die sich dort befanden, konnten der Überzahl der Häftlinge keinen Widerstand leisten.
Eine achtköpfige Kommission des MWD unter Leitung von Armeegeneral Iwan Maslennikow, die eigens aus Moskau nach Workuta angereist war, um im Zusammenwirken mit der Lagerleitung den Streik abzuwürgen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen, schätzte nach ihrem Eintreffen die operativen Lage wie folgt ein:
Am 29. Juli 1953 weigerten sich die Häftlinge aus 6 Lagerabteilungen (Gesamtzahl der Häftlinge 15 604) von insgesamt 17 Lagerabteilungen, die Arbeit aufzunehmen und die Befehle der Lageradministration zu befolgen. Die Ereignisse kamen nicht unerwartet. Bereits lange davor begannen sich die am feindlichsten gesinnten Häftlinge zu organisieren und unter den Häftlingen für das Scheitern des Kohleförderungsprogramms unter Tage und für die organisierte Befehlsverweigerung gegenüber der Lageradministration zu agitieren.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Als Maslennikows Beschwichtigungsversuche keinen Erfolg zeitigten, erteilte er den Befehl zum Schießen. Danach veranlasste er repressive Maßnahmen:
Als Ergebnis der durchgeführten Maßnahmen wurden in allen Lagerabteilungen 1 192 Häftlinge isoliert, die sich aktiv an der Sabotage beteiligt hatten.
Von diesen isolierten Häftlingen wurden 29 als Organisatoren der Sabotage verhaftet, für 280 aktive Teilnehmer und Anstifter wurde Gefängnishaft beantragt.
Die restlichen 883 isolierten Häftlinge wurden getrennt von allen anderen Häftlingen in zwei neu organisierte Lager interniert.
1954, das Motiv ist unbekannt, beging Maslennikow Selbstmord. Das MWD, das gegenüber dem ökonomisch zuständigen Ministerium für Kohleindustrie für die Erfüllung der Kohleförderungspläne verantwortlich war, zeigte sich klug genug, den Bogen nach dem Streik nicht zu überspannen. Vielmehr wurden Hafterleichterungen verfügt. Auch die weiblichen Gefangenen, die sich nicht am Streik beteiligt hatten, profitierten davon.
Nicht von ungefähr wurde der Häftlingsstreik in Workuta im Schicksalsjahr 1953 Ereignis. Bedingt durch den Tod Stalins am 5. März, die Volkserhebung vom 17. Juni in der DDR und den Sturz Lawrentij Berijas, seines obersten Polizeischergen, am 26. Juni verstanden sich Streik und Aufstand in Workuta als Symptome einer inneren Krise des sowjetischen Imperiums. So betrachtet reiht sich der Häftlingsaufstand in Workuta in den Kontext jener historischen Momente ein, in denen sich Menschen ohne Gewalt gegen die Diktatur des Stalinismus erhoben. Aus geschichtlicher Perspektive war er der Anfang vom Ende des GULag-Systems – und damit des Sowjetsystems überhaupt.
Die Stadt Workuta, 120 Kilometer jenseits des nördlichen Polarkreises an der Westseite des oberen Ural gelegen, verdankt ihre Entstehung in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts der Entdeckung reicher Steinkohlevorkommen im Talbecken der Petschora, einem schiffbaren Fluss, der ins nördliche Eismeer mündet. Hier, in der Tundra, ließ Stalin von ungezählten Häftlingen unter ungeheuren Opfern großflächig Barackenlager errichten, riesige Holzeinschlagplätze zur Nutzholzgewinnung anlegen, über drei Dutzend Kohlenschächte in die Erde treiben und leistungsstarke Ziegelbrennereien hochziehen. Hier verlegten Häftlinge die Petschorabahn, eine fast 1850 Kilometer lange Eisenbahnstrecke von Kotlas nach Workuta. Und hier bauten Häftlinge die Stadt Workuta mit auf, die, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, von einer dörflichen Siedlung zu einer Großstadt mit heute 120 000 Einwohnern heranwuchs. 1953, im Todesjahr Stalins, fristeten allein in den Arbeitslagern von Workuta rund eine Viertelmillion Strafgefangene ihr elendes Dasein, ausgebeutet, geschunden, entrechtet, eine Existenz zum Sterben. Zehntausende haben nicht überlebt.
Und ausgerechnet hier, wo Terror und Tod zu Hause waren, ausgerechnet in Workuta brach 1953 ein Massenstreik aus, der in den letzten Juli-Tagen Tausende von Häftlingen ergriff und der am 1. August zu einem blutig niedergeschlagenen Aufstand eskalierte. Einzelne Arbeitsverweigerungen waren bereits in den ersten Juli-Tagen zu registrieren. Am 21. Juli legten die Häftlinge in Schacht 10 die Arbeit nieder. Bald erfasste der Streik weitere zehn Kohlenschächte, darunter Schacht 29. Als hier in den letzten Julitagen Verhandlungen des Lagerstreikkomitees mit einer eigens aus Moskau angereisten Untersuchungskommission unter Leitung von Armeegeneral Iwan Maslennikow, Vize-Innenminister und im MWD zuständig für die Hauptverwaltung Lager, sowie Generalstaatsanwalt Roman Rudenko gescheitert waren, erging am Vormittag des 1. August an die auf der Lagerstraße und einem angrenzenden Sportplatz versammelten streikbereiten Häftlinge die ultimative Aufforderung, den Streik abzubrechen und unverzüglich in den Schacht zur Arbeit einzufahren. Ohne Erfolg.
Zu diesem Zeitpunkt hatten inzwischen mobilisierte Sicherheitstruppen des MWD das von einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umsäumte Lager bereits umstellt. Als in dieser hochgespannten Situation ein tödlicher Pistolenschuss aus der Richtung des von den Häftlingen von innen verbarrikadierten Lagertors fiel, wirkte er wie ein fatales Signal.
Ich stand nicht weit vom Tor entfernt, als plötzlich ein Offizier eine Pistole durch den Lattenrost des oberen Teils des Tores in das Lager hineinführte und mit einem Schuss einen polnischen Mithäftling zu Boden streckte. Dieser Schuss löste die Katastrophe aus. Von allen Seiten – die Truppen standen ja uns gegenüber, wir konnten ihnen in die Augen sehen eröffneten das Feuer aus ihren Schnellfeuergewehren und Maschinenpistolen. Von den Türmen wurde mit Maschinengewehren in die Häftlinge hineingeschossen – es waren ja etliche hundert, die sich dort versammelt hatten, und damit wurde versucht, nun diesen Streik, diesen Aufstand niederzuschlagen. Viele von uns wälzten sich zu Boden. Ich stand noch wie verdattert, als ich diese Schussserie auf uns abgehen sah, dann rissen mich meine Freunde Bockel und Karetskas, das war ein Litauer aus Memel, rissen mich zu Boden, und ein Toter, der bereits da quer vor uns lag, der deckte uns, und plötzlich erhielt ich einen fürchterlichen Schlag in die rechte Schulter, wie ich meinte, und nach kurzer Zeit wurde das Feuer eingestellt. Als wir uns erhoben, um zum Tor zu laufen, setzte eine zweite Salve ein. Ich versteckte mich wieder hinter dem Mann, und einer meiner Freunde fragte, was ist mit dir los? Ich sagte, ich glaube, ich bin getroffen. Und dann packten sie mich. Inzwischen war die Salve wieder beendet. Ein Offizier stand mitten unter den Toten und Verletzten, die da sich, blutend und schreiend, herumwälzten, und schrie, Mütze schwenkend 'konjez, konjez’ – Schluss, Schluss. Meine Freunde packten mich, und ich merkte, ich hatte Pudding in den Knien, und dann verließ mich das Bewusstsein (...) Und dann fand ich mich irgendwann vor dem Lager liegend auf der Lagerstraße, die zum Schacht führte.
So Heinrich Paul Fritsche, Erster Kriminalhauptkommissar a. D., aus der Erinnerung. Er ist damals als politischer Häftling in Workuta dabei gewesen und überlebte schwer verwundet. Sein seinerzeitiger Schicksalsgefährte Horst Hennig, Generalarzt a.D., - als Medizin-Student in Halle 1950 hatte er gegen die Gleichschaltung des Studentenrats opponiert und war deshalb von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt – auch er wurde Zeuge des blutigen Dramas:
Ich stand in der siebten Reihe auf dieser Lagerstraße, und nach dem Pistolenschuss war ich mit einem Satz in einen muldenförmigen Graben, und dann brach auch schon das Feuer von den Postentürmen und von den uns gegenüber stehenden Soldaten, etwa 35 Meter Entfernung, über uns herein, und nachdem wir aus dem Lager herausgetrieben worden sind und ich über die Toten stieg, sagte ich mir: Hennig. Bleib stehen, guck dir das genau an, das darfst du nicht vergessen.
Die schreckliche Bilanz: 64 Tote und mehr als doppelt so viel meist schwer Verletzte. Der verzweifelte Massenprotest der Geschundenen und Ausgebeuteten war im Blut erstickt worden. Eine Erklärung dafür, warum gerade Workuta Schauplatz des dramatischen Geschehens wurde, ergibt sich primär aus den unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Häftlinge in Workuta – Männer wie Frauen – arbeiten und vegetieren mussten. Horst Hennig:
Man musste also, was fürchterlich war unter diesem Klima, Schnee schaufeln bei 30, 40, 45 Grad minus und Schneesturm. Wer sich nicht bewegte, erfror. Die Essensrationen waren minimal, keineswegs ausreichend, um bei diesem Klima existieren zu können. Es war schon ein Fortschritt, wenn man eine leichtere Arbeit unter Tage im Schacht bekam, da waren immerhin 10 bis 12 Grad plus, und man konnte dort besser überleben, und man bekam dort vielleicht auch eine höhere Essensration, wenn die Brigade die Norm erfüllte. Die Normen waren hier sehr hoch. Am Tor stand sinngemäß: 'Ihr könnt Eure Schuld durch Arbeit abtragen’.
Als hochexplosiv wirkte sich zudem die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft in Workuta aus. Hier waren gemeinsam mit kriminellen Strafgefangenen in den sogenannten Regime-Lagern mit strengem Reglement politisch bewusste Häftlinge zusammengepfercht, deportierte Wolga-Deutsche und deutsche Kriegsgefangene, ferner Zivilgefangene aus Ost- und selbst aus Westeuropa - außer Russen, Ukrainern und Georgiern hauptsächlich Litauer, Letten und Esten, Polen, Tschechen und Slowaken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren – und nicht zuletzt Deutsche: Verschleppte aus Ostpreußen und Schlesien, Internierte aus den Speziallagern des MWD in der sowjetischen Besatzungszone und Verurteilte sowjetischer Militärtribunale aus der späteren DDR. Interessanterweise waren es polnische Häftlinge, von denen die Initiative zum Streik ausging.
In Workuta fand 1953 der erste organisierte Häftlingsaufstand statt, aber nicht der einzige. Auch die Straflagerregion Norilsk, eine Zwangsarbeitskolonie ebenfalls jenseits des Polarkreises in der Mündung des Jennessei, erlebte Streik und Aufstand. Hier wurde die Häftlingsrevolte am 4. August ebenfalls mit Waffengewalt niedergeschlagen. Workuta hatte indes das Fanal gesetzt.
250 000 Workuta-Häftlinge – das ist eine statistische Größe. Wer kennt die Schicksale, nennt die Namen? Unter den nach Tausenden zählenden Zivilgefangenen aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet und aus der DDR waren Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen, aus der Sicht des MWD so genannte Kapitalisten und Kulaken, die Kader der Bourgeoisie sozusagen. Hier traf der ehemalige Nazi auf den Ex-Kommunisten, Widerständler aus sozialdemokratischen und bürgerlichen Milieus waren hier zu finden, Oberschüler, Studenten und Hochschullehrer, Schriftsteller und Journalisten. So zum Beispiel die Westberliner Journalistin Ursula Rumin, Autorin des Workuta-Buches "Weinen verboten".
Ein Stasi-Spitzel lockt sie nach Ost-Berlin. Hier wird sie festgenommen und dem MWD ausgeliefert. Ein sowjetisches Militärtribunal in Berlin-Lichtenberg verurteilt sie, obwohl völlig unschuldig, als Spionin zu 15 Jahren Zwangsarbeit.
In Workuta kam ich am 13. April ’53 an und wurde erst mal auf die Peresilka verteilt – das war die Quarantäne-Station –, dort mussten wir fünf Wochen bleiben, mussten allerdings schon arbeiten, und wurden dann auf das Lager verteilt, und zwar nach Pretschachtnaja. Das ist das größte Arbeitslager gewesen der Frauen mit, ich glaube, 4000 Frauen. Es gab Arbeitsbrigaden, die auf die verschiedenen Arbeitsobjekte verteilt wurden. Da war der große Holzplatz. Dort kamen die Baumstämme aus dem Ural an, wurden abgeladen, was eine sehr schwere Arbeit war. Man musste sehr fix sein. Die Bäume wurden geschält, wurden dann wieder aufgeladen beziehungsweise auch zum Teil geschnitten und als Baumaterial nach Workuta geliefert. Ich habe in mehreren Objekten gearbeitet. Erst mal im Lager selbst, das fing klein an sozusagen, Lager aufräumen, dann wurden wir in Workuta eingesetzt zum Schnee schippen, Eishacken, Straßen sauber halten sozusagen, dann kamen wir auf die Arbeitsobjekte, die da waren, eben wie gesagt der Holzplatz, dann in die Tundra, das war eine sehr schwere Arbeit, Tundra roden, Eisenbahn(...)schienen legen, den Damm aufbereiten, Kies und Sand abladen und die schweren Bohlen legen für den Eisenbahnbau (die Linie) von Moskau nach Workuta.
Die Existenz- und Lebensbedingungen der Häftlinge in Workuta sind heute kaum mehr vorstellbar.
Der Arbeitstag begann früh um 6 Uhr, 5 Uhr war Wecken, wurde an eine Eisenschiene geschlagen und ein höllischer Lärm begann. Radio Moskau wurde eingeschaltet, in jeder Baracke gab es zwei Lautsprecher, und nach dem Frühstück mussten wir uns am Tor sammeln, brigadeweise, und dann wurde ausgerückt auf die Arbeitsstellen. Das Frühstück bestand aus einem Kascha-Brei mit 5 oder 10 Gramm Mohnöl oben darauf, das war das ganze Fett für den Tag, und einen Becher Schwarztee. Dazu gab es 300 Gramm Brot anfangs, später war es ein bisschen mehr Brot, russisches Militärbrot, nass und klumpig und schwer.
Oder da ist der damals 23-jährige Volkspolizist Heinrich Paul Fritsche, den seine Kontakte zu einem Westsender, dem RIAS Berlin, nach Workuta brachten und der in dieser Sendung schon zu Wort gekommen ist:
Ich bin am 15. August 1951 verhaftet worden, am 15./16. Januar 1952 vom Militärtribunal verurteilt worden in Potsdam, und wir wurden dann nach Berlin-Lichtenberg geschafft und man verlud uns dort in einen deutschen Waggon, und zwar war der getarnt Postwagen, 'Deutsche Post’ stand dran. Wir wurden einrangiert im Schlesischen Bahnhof – also im Ostbahnhof – und offensichtlich vor den sogenannten 'Blauen Express’ gesetzt, und dann ging es über Brest, Gomel nach Moskau. Von Moskau, dort waren die sogenannten Peresilki, also Durchgangsgefängnisse, gingen wir weiter nach Russajewska, und von Russajewska direkt in einem Güterzug nach Workuta. Da kamen wir am 11. Mai 1952 bei Schneetreiben an. Ich sehe mich heute noch durch die Straße stolpern und neben mir so ein Kerl mit aufgepflanztem Bajonett, brüllend, wir konnten die Hand vor Augen nicht sehen. Wir wurden dann in das Regime-Lager des 1. Schachtes gebracht und von dort aus kamen wir dann direkt zum Regime-Lager 10, was zum 29. Schacht gehörte.
In Streik und Aufstand in Workuta entlud sich, was sich unter den Häftlingen in jahrelanger Zwangsarbeit und Entrechtung an Hass und Verzweiflung aufgestaut hatte. Ein stimulierendes Moment war die vom Obersten Sowjet der UdSSR auf Initiative Lawrentij Berijas am 27. März 1953 erlassene Amnestie für eine Million Häftlinge, von der indes alle nach Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR Verurteilten ausgeschlossen wurden. Das war ein Großteil der Zivilgefangenen in Workuta. In einer Eingabe, die die Häftlinge der 10. Lagerabteilung in Workuta an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion richteten, hieß es daher:
Unsere Entscheidung, die Arbeit einzustellen, ist durch die feste Überzeugung motiviert, dass an uns großes Unrecht verübt wurde, dass unsere menschliche Würde entgegen dem verfassungsmäßigen Recht der Persönlichkeit mit Füßen getreten wurde, dass wir der Willkür der Organe des MWD und MGB zum Opfer gefallen sind. Aufgrund dieser Willkür erlitten wir während der ganzen Haftzeit und auch jetzt noch ständige Verhöhnungen, Terror, Prügel, Beschimpfungen und Demütigungen".
Die von den Häftlingen formulierten drei Hauptforderungen ergaben sich gleichsam logisch zwingend aus ihrer Situation: Erstens Freilassung aller politischen Häftlinge aus dem Lager. Zweitens das Recht für Ausländer, in ihre Heimat zurückzukehren. Drittens: Garantie von Straffreiheit für alle Streikenden.
Als sich die Situation zuspitzte, machte das MWD in Moskau am 24. Juli erste Zugeständnisse:
Für die Häftlinge des Retschnoj Lagers – gemeint war Workuta - wird der 9-Stunden-Arbeitstag eingeführt, die Nummer auf der Kleidung wird abgeschafft, das Zuschicken eines Briefes pro Monat wird erlaubt.
Die Konzessionen wirkten kontraproduktiv. Am 25. Juli legten 8.700 Häftlinge die Arbeit nieder. Dadurch wurde der Betrieb in drei Schächten sowie der Bau am Kraftwerk 2 lahmgelegt. Punktuell steigerte sich der Streik zur Revolte. Zitat aus dem erwähnten MWD-Bericht:
Am 26. Juli um 16 Uhr überfielen mehrere Häftlinge in der Wohnzone der dritten Lagerabteilung die Strafbaracke mit strengem Regime, in der 77 Anstifter zur Sabotage sowie Verletzer der Lagerordnung isoliert waren.
Als die Strafbaracke mit strengem Regime überfallen wurde, eröffneten die Soldaten der Wache das Feuer. Infolgedessen wurden zwei Häftlinge getötet und zwei verletzt. Trotzdem konnten die Angreifer die isolierten Häftlinge befreien. Die Aufseher, die sich dort befanden, konnten der Überzahl der Häftlinge keinen Widerstand leisten.
Eine achtköpfige Kommission des MWD unter Leitung von Armeegeneral Iwan Maslennikow, die eigens aus Moskau nach Workuta angereist war, um im Zusammenwirken mit der Lagerleitung den Streik abzuwürgen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen, schätzte nach ihrem Eintreffen die operativen Lage wie folgt ein:
Am 29. Juli 1953 weigerten sich die Häftlinge aus 6 Lagerabteilungen (Gesamtzahl der Häftlinge 15 604) von insgesamt 17 Lagerabteilungen, die Arbeit aufzunehmen und die Befehle der Lageradministration zu befolgen. Die Ereignisse kamen nicht unerwartet. Bereits lange davor begannen sich die am feindlichsten gesinnten Häftlinge zu organisieren und unter den Häftlingen für das Scheitern des Kohleförderungsprogramms unter Tage und für die organisierte Befehlsverweigerung gegenüber der Lageradministration zu agitieren.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Als Maslennikows Beschwichtigungsversuche keinen Erfolg zeitigten, erteilte er den Befehl zum Schießen. Danach veranlasste er repressive Maßnahmen:
Als Ergebnis der durchgeführten Maßnahmen wurden in allen Lagerabteilungen 1 192 Häftlinge isoliert, die sich aktiv an der Sabotage beteiligt hatten.
Von diesen isolierten Häftlingen wurden 29 als Organisatoren der Sabotage verhaftet, für 280 aktive Teilnehmer und Anstifter wurde Gefängnishaft beantragt.
Die restlichen 883 isolierten Häftlinge wurden getrennt von allen anderen Häftlingen in zwei neu organisierte Lager interniert.
1954, das Motiv ist unbekannt, beging Maslennikow Selbstmord. Das MWD, das gegenüber dem ökonomisch zuständigen Ministerium für Kohleindustrie für die Erfüllung der Kohleförderungspläne verantwortlich war, zeigte sich klug genug, den Bogen nach dem Streik nicht zu überspannen. Vielmehr wurden Hafterleichterungen verfügt. Auch die weiblichen Gefangenen, die sich nicht am Streik beteiligt hatten, profitierten davon.
Nicht von ungefähr wurde der Häftlingsstreik in Workuta im Schicksalsjahr 1953 Ereignis. Bedingt durch den Tod Stalins am 5. März, die Volkserhebung vom 17. Juni in der DDR und den Sturz Lawrentij Berijas, seines obersten Polizeischergen, am 26. Juni verstanden sich Streik und Aufstand in Workuta als Symptome einer inneren Krise des sowjetischen Imperiums. So betrachtet reiht sich der Häftlingsaufstand in Workuta in den Kontext jener historischen Momente ein, in denen sich Menschen ohne Gewalt gegen die Diktatur des Stalinismus erhoben. Aus geschichtlicher Perspektive war er der Anfang vom Ende des GULag-Systems – und damit des Sowjetsystems überhaupt.