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Geschichte, die nicht vergeht

In der Diskussion um eine mögliche Entlassung der ehemaligen RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar hat sich der Historiker Gerd Koenen dafür ausgesprochen, keine Sondermaßstäbe mehr anzulegen. Nicht nur die Rote Armee Fraktion, auch der gesamte gesellschaftliche Kontext, in dem die RAF agiert habe, sei nicht mehr vorhanden, so Koenen. Daher sollte jetzt eine Entlassungspraxis, wie sie bei anderen Mordfällen auch praktiziert werde, zur Geltung kommen können.

Moderation: Katja Lückert | 23.01.2007
    Katja Lückert: Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt waren die Köpfe der zweiten RAF-Generation, auf ihr Konto ging die Erschießung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer und der Mord an Dresdner-Bank-Sprecher Jürgen Ponto. Schon im Frühjahr vor zwei Jahren, wollte der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, den RAF-Terroristen Christian Klar an seinem Theater zum Bühnentechniker ausbilden lassen. Ein Vorhaben, das an Protesten aus den verschiedenen politischen Lagen scheiterte. Da jetzt Mohnhaupt nach dem Willen der Bundesanwaltschaft vorzeitig aus der Haft entlassen werden soll, mehren sich auch Forderungen nach einer Begnadigung für ihren Komplizen. An den Historiker und Publizisten Gerd Koenen die Frage: Wie würden Sie selbst diesen Fall beurteilen? Einerseits haben sich gerade diese beiden Terroristen nie als besonders reuevoll gezeigt, andererseits: Muss man sich die Frage stellen, ob sie wirklich noch eine Gefahr darstellen?

    Gerd Koenen: Ich denke, das muss das Gemeinwesen auch in eigener Sache abwägen. Ganz sicher waren Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, na ja, mit die Härtesten der Harten. Das waren sie auch noch in der Diskussion über die Auflösung der RAF in den neunziger Jahren. Aber die RAF hat sich letztlich aufgelöst, es gibt diesen ganzen Kontext nicht mehr, in dem sie anfangs agiert haben und dann noch glaubten zu agieren. Das mussten sie schließlich einsehen. In dem Sinne, denke ich, dass, gerade weil es ein Typus ideologischer Täter war, man einfach in Rechnung stellen kann, dass der ganze Rahmen, in dem sie agiert haben oder glaubten agieren zu können, nicht mehr existiert, und deswegen glaube ich, dass jetzt ganz normale Gesichtspunkte einer Entlassungspraxis, wie sie ja nun bei anderen Mordfällen auch praktiziert werden, auch hier zur Geltung kommen können. Und ich denke, die Gesellschaft ist einfach gut beraten, wenn sie hier nicht eine Art von Sondermaßstäben anlegt. Von Mördern wird man sehr selten hören, dass sie etwas bereuen, oder eine großartige Introspektion in die Umstände ihrer Verbrechen. Das ist doch ein ganz, ganz seltener Fall, warum soll man es hier erwarten.

    Lückert: Sicher liegt hier die Hauptschwierigkeit darin, dass die Witwen, teilweise schon in den Neunzigern, der Ermordeten noch heute vehement eine Entschuldigung fordern und sich gegen eine Freilassung dieser ehemaligen Terroristen wenden. Kann man es ihnen verdenken?

    Koenen: Nein, verdenken kann man es natürlich nicht. Aber es gibt doch gute Gründe, warum es eben nicht die Angehörigen von Ermordeten sind, die das letzte Wort haben in der Bestrafung. Es muss dem Genugtuung getan werden, das ist aber dem getan worden, und dann sind es unabhängige Instanzen. Ich meine, der Sohn von Siegfried Buback hat die Größte gehabt zu sagen, er ist froh, dass er darüber nicht zu entscheiden hat, weil es ganz klar ist: Natürlich sind seine Impulse andere.

    Lückert: Sie waren selbst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund, im Kommunistischen Bund Westdeutschland, in der Maoistischen K-Gruppe. Darf man sagen, Sie standen der Szene damals nicht ganz fern? Wie beurteilen Sie heute diese Epoche für die Entwicklung der Bundesrepublik, warum tun wir uns so schwer mit dem "deutschen Herbst"?

    Koenen: Ja, das ist natürlich schwer in einem Satz zu fassen. Richtig ist, dass die RAF-Leute damals in einem großen politischen Umfeld agierten. Die Gruppen, in denen ich war, gehörten im weiteren Sinne dazu, die alle irgendwie davon redeten, wenn man von Revolution redete, dann natürlich von bewaffnetem Kampf und ich weiß nicht was allem, das war fast ganz kleine Münze in doch einem ganz beträchtlichen Spektrum dieser politischen Generation. Dass sich ja diese ganze Szene schließlich mehr oder minder doch am Ende der siebziger Jahre selbst aufgelöst hat, gehört - das ist eine komplizierte Sache -, aber es gehört letztlich zu dem zivilen Potential dieser Gesellschaft. Die RAF-Leute, die waren das, was von dieser ganzen Generationsrhetorik übrig geblieben ist, und man muss natürlich sagen, dass diese Geschichte deshalb sich so tief eingegraben hat in die Erinnerung der bundesdeutschen Gesellschaft, weil damals doch ein ganzes Segment der Gesellschaft dem jeweils anderen Segment zutiefst misstraut hat. Die Liberalen trauten den Konservativen fast alles zu, und die Konservativen trauten den Liberalen fast alles zu. Es war eine polarisierte Gesellschaft. Es ging nicht nur um die RAF, die RAF war der Katalysator in dieser großen psychologisch-politischen Gesamtkrise dieser bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.