Was erwartet den Leser dieses Buches? Die Artikel beschreiben nicht Köpfe, die eine Epoche prägten, oder ein metaphorisch-summarisch auf den Begriff gebrachtes "Gesicht" der Zeit. Sie untersuchen Fragestellungen aus dem Gebiet der Physiognomik und beschäftigen sich mit der Erforschung des Themas "Gesicht". Weniger griffig, aber genauer könnte sein Titel lauten: "Das Gesicht in der Welmarer Republik".
Das Buch faßt Resultate einer Tagung zusammen, die 1999 in Potsdam stattgefunden hat. Claudia Schmölders und Sander Gilman haben den Sammelband mit fünfzehn Aufsätzeh unlängst im Dumont-Verlag herausgegeben. Die sechzehn Autoren sind deutsche und amerikanische Hochschullehrer der Disziplinen Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Medizin und Psychologie. Sie bearbeiten so unterschiedliche Themen vie Rassentheorie, Kriminalistik und Psychopathologie, Film, Fotografie und Voyeurismus, das weibliche Schönheitsideal, die Entstellungen der Opfer des ersten Weltkriegs und die Errungenschaften der plastischen Chirurgie. Im Zentrum steht immer das Gesicht, und fast alle Autoren sind bemülit, soziologische und politische Implikationen der beschriebenen Phänomene zu reflektieren.
Vielleicht ist es unvermeidlich bei einer so weit gefächerten Anthologie, daß der Leser die These immer wieder aus dem Blick verliert. Im Vorwort des Buches wird sie in das Wortmonster"Gesichtlichkeitsobsession" gepreßt. Die Weimarer Republik, so Schmölders und Gilman, sei gekennzeichnet von tiefer Verunsicherung. Durch eine intensive Beschäftigung mit der Wahrnehmung seiner selbst und der anderen habe man das auszugleichen gesucht.
"Gleichsam fieberhaft sieht man diese Epoche vor dem Spiegel stehen und nach ihrem Gesicht suchen", schreiben die Herausgeber in Anlehnung an einen Gedanken von Oswald Spengler. Man vermißt aber ein übergreifendes Kapitel, das die vielen Einzelergebnisse im Hinblick auf diese These bündig Zusammenfaßt.
Dem Anspruch, den der Titel erweckt, kann das Buch so nicht ganz gerecht werden. Dennoch bietet es eine Fülle von hervorragendem Material. Das geht vielleicht nicht restlos in der ambitionierten These von der "Gesichtlichkeitsobsession" auf Aber vieles charakterisiert ausgezeichnet das soziale Klima der Weimarer Republik. Sander Gilmans Aufsatz über Jacques Joseph etwa, einen Pionier der plastischen Chirurgie, wirft ein scharfes Licht auf die Widersprüche. Joseph entstammte einer assimillerten jüdischen Familie und änderte seinen Vornamen Jakob in Jacques, als er sein Medizinstudium aufnahm. Mit Stolz trug er dann die Näiben der Mensuren seiner schlagenden Studentenverbindung. Als Arzt entwickelte er ein Verfahren zur operativen Reduktion der Größe und Form.,der jüdischen Nase und eröffnete damit ein Feld der plastischen Chirurgie, das im Berlin der 20er Jahre offenbar Hochkonjunktur hatte. Eine Reaktion auf die von Willibald Sauerländer im Sammelband dargestellten Bestrebungen der Zeit, physiognomische Kriterien zur Rassenerkennung und - Diskriminierung einzusetzen. Jacques Joseph nutzte dann seine Methode, um als Gründer und Leiter der Abteilung für Wiederherstellungschirurgie an der Berliner Charité den gräßlich verstümmelten Opfern des Ersten Weltkriegs wieder ein menschliches Gesicht zu geben. Und Ernst Friedrichs pazifistisches Manifest "Krieg dem Kriege!" zeigt die erschüttemden Fotografien der entstellten Patienten aus der Abteilung des ehemaligen national gesonnenen Corpsstudenten.
Spannend zu lesen ist auch der Artikel von Todd Herzog über physiognomische Methoden in der Kriminalistik. Mit ihrer Hilfe wollte man "geborene Verbrecher" erkennen. Nur ein kleiner Schritt war es von da zur Identifizierung der sogenannten "rassisch Minderwertigen" mit den gleichen Methoden. Die Befürworter dieser menschenverachtenden Theorie erlitten allerdings im spektakulärsten Kriminalfall der Welmarer Republik eine eindeutige Niederlage. Der Düsseldorfer Serienmörder Peter Kürten wies keinerlei äußere Kennzeichen auf, die sein zerstörerisches Potential verraten hätten.
Sehr informativ und durch zahlreiche Abbildungen ansprechend auch die Aufsätze über die Portraitfotografie in der Weimarer Zeit, die mit August Sander einen bis heute anerkannten Meister hervorbrachte, und das neue Bewußtsein vom Gesicht und seinen m'Hnischen Möglichkeiten, das sich durch die Großaufnahmen des Stummfilms herausbildete.
Möglicherweise steckt in dem Buch "Gesichter der Welmarer Republik" das Material für die "physiognomische Kulturgeschichte", die der Untertitel verspricht. Allerdings steht ihre systematische Darstellung noch aus. Was eine Anthologie, wie man einräumen muß, natürlich auch nicht leisten kann. Einstweilen bleibt der Leser eingeladen, sich aus den vielen interessanten Einzelzüg,en, die das Buch vermittelt, selbst ein neues Gesicht der Weimarer Republik zu konstruieren.
Das Buch faßt Resultate einer Tagung zusammen, die 1999 in Potsdam stattgefunden hat. Claudia Schmölders und Sander Gilman haben den Sammelband mit fünfzehn Aufsätzeh unlängst im Dumont-Verlag herausgegeben. Die sechzehn Autoren sind deutsche und amerikanische Hochschullehrer der Disziplinen Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Medizin und Psychologie. Sie bearbeiten so unterschiedliche Themen vie Rassentheorie, Kriminalistik und Psychopathologie, Film, Fotografie und Voyeurismus, das weibliche Schönheitsideal, die Entstellungen der Opfer des ersten Weltkriegs und die Errungenschaften der plastischen Chirurgie. Im Zentrum steht immer das Gesicht, und fast alle Autoren sind bemülit, soziologische und politische Implikationen der beschriebenen Phänomene zu reflektieren.
Vielleicht ist es unvermeidlich bei einer so weit gefächerten Anthologie, daß der Leser die These immer wieder aus dem Blick verliert. Im Vorwort des Buches wird sie in das Wortmonster"Gesichtlichkeitsobsession" gepreßt. Die Weimarer Republik, so Schmölders und Gilman, sei gekennzeichnet von tiefer Verunsicherung. Durch eine intensive Beschäftigung mit der Wahrnehmung seiner selbst und der anderen habe man das auszugleichen gesucht.
"Gleichsam fieberhaft sieht man diese Epoche vor dem Spiegel stehen und nach ihrem Gesicht suchen", schreiben die Herausgeber in Anlehnung an einen Gedanken von Oswald Spengler. Man vermißt aber ein übergreifendes Kapitel, das die vielen Einzelergebnisse im Hinblick auf diese These bündig Zusammenfaßt.
Dem Anspruch, den der Titel erweckt, kann das Buch so nicht ganz gerecht werden. Dennoch bietet es eine Fülle von hervorragendem Material. Das geht vielleicht nicht restlos in der ambitionierten These von der "Gesichtlichkeitsobsession" auf Aber vieles charakterisiert ausgezeichnet das soziale Klima der Weimarer Republik. Sander Gilmans Aufsatz über Jacques Joseph etwa, einen Pionier der plastischen Chirurgie, wirft ein scharfes Licht auf die Widersprüche. Joseph entstammte einer assimillerten jüdischen Familie und änderte seinen Vornamen Jakob in Jacques, als er sein Medizinstudium aufnahm. Mit Stolz trug er dann die Näiben der Mensuren seiner schlagenden Studentenverbindung. Als Arzt entwickelte er ein Verfahren zur operativen Reduktion der Größe und Form.,der jüdischen Nase und eröffnete damit ein Feld der plastischen Chirurgie, das im Berlin der 20er Jahre offenbar Hochkonjunktur hatte. Eine Reaktion auf die von Willibald Sauerländer im Sammelband dargestellten Bestrebungen der Zeit, physiognomische Kriterien zur Rassenerkennung und - Diskriminierung einzusetzen. Jacques Joseph nutzte dann seine Methode, um als Gründer und Leiter der Abteilung für Wiederherstellungschirurgie an der Berliner Charité den gräßlich verstümmelten Opfern des Ersten Weltkriegs wieder ein menschliches Gesicht zu geben. Und Ernst Friedrichs pazifistisches Manifest "Krieg dem Kriege!" zeigt die erschüttemden Fotografien der entstellten Patienten aus der Abteilung des ehemaligen national gesonnenen Corpsstudenten.
Spannend zu lesen ist auch der Artikel von Todd Herzog über physiognomische Methoden in der Kriminalistik. Mit ihrer Hilfe wollte man "geborene Verbrecher" erkennen. Nur ein kleiner Schritt war es von da zur Identifizierung der sogenannten "rassisch Minderwertigen" mit den gleichen Methoden. Die Befürworter dieser menschenverachtenden Theorie erlitten allerdings im spektakulärsten Kriminalfall der Welmarer Republik eine eindeutige Niederlage. Der Düsseldorfer Serienmörder Peter Kürten wies keinerlei äußere Kennzeichen auf, die sein zerstörerisches Potential verraten hätten.
Sehr informativ und durch zahlreiche Abbildungen ansprechend auch die Aufsätze über die Portraitfotografie in der Weimarer Zeit, die mit August Sander einen bis heute anerkannten Meister hervorbrachte, und das neue Bewußtsein vom Gesicht und seinen m'Hnischen Möglichkeiten, das sich durch die Großaufnahmen des Stummfilms herausbildete.
Möglicherweise steckt in dem Buch "Gesichter der Welmarer Republik" das Material für die "physiognomische Kulturgeschichte", die der Untertitel verspricht. Allerdings steht ihre systematische Darstellung noch aus. Was eine Anthologie, wie man einräumen muß, natürlich auch nicht leisten kann. Einstweilen bleibt der Leser eingeladen, sich aus den vielen interessanten Einzelzüg,en, die das Buch vermittelt, selbst ein neues Gesicht der Weimarer Republik zu konstruieren.