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Gesundheitsreform

Ursprünglich sollte – so sah es der rot-grüne Parlamentsfahrplan vor – der Bundestag das von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesundheits-Modernisierungsgesetz noch vor der Sommerpause verabschieden. Doch daraus wurde nichts – glücklicherweise, wie alle Beteiligten meinen. Denn der Gesetzentwurf ist zustimmungspflichtig – auch durch den Bundesrat. Eine wirksame Reform kann deshalb nur parteiübergreifend gestaltet werden. So lud der Kanzler die CDU/CSU zu Verhandlungen ein. Die zierte sich lange. Dann aber erklärte Angela Merkel, CDU Parteivorsitzende und Unionsfraktionschefin, am 18. Juni im Bundestag:

Axel Brower-Rabinowitsch |
    Ursprünglich sollte – so sah es der rot-grüne Parlamentsfahrplan vor – der Bundestag das von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesundheits-Modernisierungsgesetz noch vor der Sommerpause verabschieden. Doch daraus wurde nichts – glücklicherweise, wie alle Beteiligten meinen. Denn der Gesetzentwurf ist zustimmungspflichtig – auch durch den Bundesrat. Eine wirksame Reform kann deshalb nur parteiübergreifend gestaltet werden. So lud der Kanzler die CDU/CSU zu Verhandlungen ein. Die zierte sich lange. Dann aber erklärte Angela Merkel, CDU Parteivorsitzende und Unionsfraktionschefin, am 18. Juni im Bundestag:

    Was immer wir gemeinschaftlich in den Beratungen durchsetzen können, das wollen wir mit Ihnen gemeinschaftlich durchsetzen.

    Von da an ging alles ganz schnell. Seit dem 4. Juli beraten die Unterhändler von Regierung, Union, FDP und Bundesländern täglich und lange hinter verschlossenen Türen darüber, ob und wie man eine grundlegende Gesundheitsreform gemeinsam auf den Weg bringen kann. Gelingt das, wird die Reform sozusagen zum Überraschungsei. Denn man vereinbarte und hält Stillschweigen. Allein das zeigt schon, dass die Gesundheitspolitiker ernsthaft den Konsens anstreben. Morgen nun geht es in die zweite Runde des Verhandlungsmarathons. Spätestens Ende Juli sollen die Konsensgespräche abgeschlossen sein. Das Ziel ist einvernehmlich: Die Finanzgrundlagen der GKV, der Gesetzlichen Krankenversicherung, sollen zumindest mittelfristig stabilisiert, der durchschnittliche Beitragssatz von jetzt 14,4 Prozent auf unter 13 Prozent gesenkt werden.

    Zwar sind die direkten finanzwirksamen Eingriffe – wie Leistungsausgrenzungen oder Zuzahlungen – nicht zustimmungspflichtig. Sie könnten also mit der rot-grünen Kanzlermehrheit auch gegen den von der Union dominierten Bundesrat durchgesetzt werden. Aber fast alle strukturellen Reformen, die das Gesundheitswesen modernisieren und Verschwendung im System beenden sollen, bedürfen der Zustimmung der Länderkammer. Diese Strukturreformen wirken nur langsam, sind aber unerlässlich, um das System langfristig bezahlbar zu halten. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erläutert, worum es dabei zum Beispiel geht:

    Wer das Gesundheitswesen retten will, der muss auch eindeutig sagen, wir können uns nicht länger erlauben, Geld auszugeben für Dinge, die nichts nutzen und zweifelhaft sind. Sondern wir müssen das, was nachgewiesener Maßen Qualität ist, den Menschen zur Verfügung stellen. Alles andere wird nicht dazu führen, dass wir wirklich das Gesundheitssystem so in die Zukunft führen, dass es auch Morgen noch die Sicherheit und die Bezahlbarkeit für alle auf den Weg bringt.

    Fast alle Experten befürchten, dass der durchschnittliche Beitragssatz, den sich heute Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch teilen, zum Jahreswechsel auf das neue Rekordhoch von rund 15 Prozent steigen dürfte. Derzeitige Hauptursache der Finanzmisere sind fehlende Beitragseinnahmen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und den kaum steigenden Löhne. Von einer Kostenexplosion kann dagegen derzeit kaum gesprochen werden, nimmt man einmal die Arzneimittel aus.

    Im Wettbewerb um Mitglieder haben aber die meisten Kassen ihre Beitragssätze so knapp kalkuliert, dass sie ihre gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen aufgezehrt haben. Einige mussten sich zusätzlich Liquidität durch – eigentlich verbotene – Kreditfinanzierung in Milliardenhöhe verschaffen. Das bedeutet: Um das unbestrittene Ziel einer Beitragssatzsenkung auf oder unter 13 Prozent zu erreichen, müssen theoretisch 15 Milliarden Euro durch Einsparungen, Umfinanzierung oder Mehrbelastungen mobilisiert werden. Da aber die Krankenkassen gleichzeitig ihre Rücklagen wieder auffüllen und die kurzfristig aufgenommenen Schulden zurückzahlen müssen, liegt der tatsächliche Reformbedarf deutlich höher – nämlich bei 20 bis 25 Milliarden Euro. Das ist ein gewaltiger Brocken. Die Parteien sind sich einig, dass man die 13 Prozent Beitrag deshalb wohl erst in drei bis vier Jahre erreicht.

    Langfristig kommt der teure medizinische Fortschritt hinzu und natürlich die demografische Entwicklung. Verschiedene Gutachten sagen voraus, dass die Beitragssätze ohne grundlegende Reformen in 30 Jahren auf 24 Prozent oder mehr steigen könnten. Vieles deutet darauf hin, dass die ursprüngliche Absicht, eine Reform für diesen großen Zeitraum zu machen, dieses Mal noch nicht angepackt wird. Dafür nämlich müsste eine Systementscheidung getroffen werden, die bisher – mit Ausnahme der Grünen – noch keine Partei getroffen hat. Knapper als Ex-Gesundheitsminister Horst Seehofer, der trotz seiner Kritik am eigenen Unionskonzept nach langem Hick-Hack wieder Chefunterhändler der CDU/CSU und damit Gegenspieler von Ministerin Schmidt ist, kann man die Alternative nicht ausdrücken:

    Darum geht es eigentlich im Kern: Gehen wir diesen Weg der Leistungsausgrenzung und Privatisierung oder gehen wir den Weg einer solidarischen Bürgerversicherung.

    Seehofer hat sich für die Bürgerversicherung und damit gegen seine eigene Fraktion entschieden, die stattdessen den Weg der Privatisierung von Gesundheitsleistungen ausprobieren will. Schützenhilfe bekam er in ziemlich ungewöhnlicher Form durch die Grünen, durch DGB und Sozialverbände, aber auch durch Teile der SPD. Sie betrachten die Einbeziehung von Beamten, Politikern und Selbständigen in die GKV als einzigen Weg, die soziale Ausgleichsfunktion der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig zu erhalten. Im Bundestag erteilte Angela Merkel diesem Konzept aber eine klare Absage. Das veranlasste Grünen-Fraktionschefin Christa Sager zu folgender Replik:

    Dass Sie jetzt diesen nachhaltigen Ansatz zur Senkung der Lohnnebenkosten einfach für tot erklären, das wird sie noch einmal bitter einholen. Bitter wird Sie das einholen. Wenn Herr Seehofer diese Diskussion mit Ihnen nicht mehr führen kann: Wir laden Herrn Seehofer herzlich ein, diese Diskussion dann bei uns zu führen. Wir sind im geduldigen Umgang mit älteren querköpfigen Herrn bestens geübt. Das verstehen wir auf´s Beste. Da ist er herzlich willkommen.

    Dieser Einladung wird Seehofer nicht folgen können. Immerhin musste er Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber versprechen, seine Bedenken gegen die von der CDU/CSU beschlossene private Absicherung des Zahnersatzes zurück zu stellen und das ganze Unionsprogramm in den laufenden Konsensgesprächen zu vertreten. Dabei hatte er vorher diese Frage zu einem Grundsatzproblem erhoben. Stattdessen erklärte Frau Merkel den Zahnersatz zum Probelauf für weitere Privatisierungen:

    Die Herausnahme einer Leistung und damit auch Erfahrungen zu sammeln, halten wir für ein ganz wichtiges Element, um zu gucken, ob die privaten Versicherungen überhaupt ihre Versprechungen einhalten und um zu lernen, ob das auch in eine richtige Richtung geht.

    Die Grundsatzfrage wird also vertragt. Die SPD will über die Bürgerversicherung erst auf ihrem nächsten Parteitag entscheiden und die CDU/CSU will die Privatisierung testen. Dabei wird ihr Rot-Grün helfen. Denn was zum Krach in der Union führte, drohte vorher schon die Koalitionsparteien zu spalten. Dort geht es bekanntermaßen um die Ausgliederung des Krankengeldes – ein etwa doppelt so großer Brocken wie der Zahnersatz mit über sieben Milliarden Euro. Zwar will die Koalition das Krankengeld nicht der Privatversicherung übertragen, sondern bei der GKV belassen. Aber zahlen sollen es künftig allein die Versicherten. Bundeskanzler Gerhard Schröder:

    Dadurch verschiebt sich das, was man paritätische Finanzierung bei uns nennt - was natürlich fifty-fifty heißt – zu einem Wert, so wie er jetzt gerechnet ist, von 53 zu 47 zu Gunsten der einen Seite. Das halten wir für vertretbar und für angemessen, um Lohnnebenkosten, die das zentrale Problem in Deutschland sind, runter zu bringen.

    Denn die Arbeitgeber sparen etwa vier Zehntelprozent Beitragssatz dadurch, die aber auf den Beitrag der Arbeitnehmer aufgeschlagen werden. Das allerdings wird billiger als wenn man sich dagegen privat absichert. Für den Zahnersatz ist das bereits durchgerechnet: Durchschnittlich zahlt ein GKV-Mitglied 3,61 Euro für den Zahnersatz. In der PKV, der privaten Krankenversicherung sollen es bei gleichem Leistungsumfang 7 Euro 50 Cent pro Person sein. Seehofer hält das für schön gerechnet und geht von 120 Euro Jahresprämie bei der PKV aus. Die Auswirkungen beschreibt er so:

    Wenn der Ehegatte zuhause ist, dann werden noch einmal 120 Euro für den Ehegatten fällig. Mein Bedenken ist, ob man vertreten kann, anstelle von heute 21 oder 42 Euro in der GKV, 120 oder sogar 240 Euro für den Zahnersatz bezahlen zu müssen. Vor dem Hintergrund, dass wir pausenlos von der Stärkung der Familie reden und von Rücksichtnahme auf die kleinen Leute, erscheint mir das sehr problematisch.

    Derartige Bedenken teilen aber seine eigene CDU/CSU und die FDP nicht. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass dort, wo Zahnersatz nicht oder nur gering von der Krankenkasse bezahlt wird, die Zahngesundheit deutlich höher liegt. Zahnersatz sei bei ausreichender Vorsorge – also regelmäßigem Zähneputzen und regelmäßiger Kontrolle durch den Zahnarzt – vollkommen vermeidbar.

    Als möglicher Kompromiss wird bereits gehandelt, Zahnersatz u n d Krankengeld auszugliedern, aber beides innerhalb der GKV weiter als Pflichtversicherung zu alleinigen Kosten der Versicherten zu belassen. Deren Beiträge würden dadurch um 0,6 Prozent vom Bruttoeinkommen steigen, der Beitragssatz der Arbeitgeber im selben Umfang sinken. Es gibt allerdings grundsätzliche Bedenken gegen die von allen Parteien gewünschte Privatisierung von Leistungsbereichen. So bezweifelt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, dass der damit erhoffte konjunkturelle und beschäftigungspolitische Effekt eintritt:

    Das ist also erstens Mal sozial für uns nicht zu verkraften, aber auch ökonomisch höchst fragwürdig: Wir entlasten Betriebe von Personalnebenkosten, aber wir belasten die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. Und ich denke unter dem Strich, für die konjunkturelle Entwicklung bringt das nix.

    Bedenken hin, Bedenken her: Man muss kein Prophet sein, um Privatisierung von Leistungen als ein Ergebnis der Konsensgespräche vorher zu sagen. Manche erwarten gar, dass am Ende vielleicht auch noch Freizeit-Unfälle ausgegrenzt werden. Eine solche – wie Seehofer sagte – Privatisierungsorgie hätte den finanztechnischen Vorteil, dass dadurch die Beiträge für die Arbeitgeber sofort massiv gesenkt werden könnten und das Einsparziel schneller erreicht wird.

    Auch bei der Anhebung der Zuzahlungen dürfte ein Kompromiss machbar sein, nachdem der Kanzler der lange widerspenstigen SPD in dieser Frage einen Kurswechsel verordnet hatte. Die SPD will unter anderem die Eigenbeteiligung bei Arzneien, im Krankenhaus, bei Kuren und bei der Rehabilitation kräftig aufstocken sowie eine 15-Euro-Eintrittsgebühr für Facharztbesuch erheben, wenn man ohne Überweisung durch den Hausarzt direkt dorthin geht. Die Union bevorzugt die Rasenmähermethode, wie Fraktionschefin Merkel erläutert:

    Wir sagen: Lasst uns Selbstbeteiligung machen, aber lasst sie sozusagen auf alle in Anspruch genommenen Leistungen in gleicher Weise machen, damit keine Herausnahme bestimmter betroffener Gruppen erfolgt und an anderer Stelle bestimmte Gruppen gar nicht betroffen werden. Deshalb sind wir zu der Meinung gekommen, 10 % für jede in Anspruch genommene medizinische Leistung – allerdings sozial gestaffelt, ich glaube da sind wir uns auch einig, bis zu einer maximalen Belastung von 2 % des Lohns.

    Mindestens fünf Euro sollen es aber pro medizinischer Leistung sein – egal ob Medikament, Röntgen oder Arztbesuch. Der Vorteil wäre sicherlich, dass das derzeitige Nebeneinander völlig verschiedener Zuzahlungen vereinheitlich würde. Wie kräftig man aber dabei den Kranken in die Tasche greift, zeigen Berechnungen, dass dadurch zehn bis 20 Milliarden Euro zusätzlich eingesammelt werden könnten. Das sei nicht hinnehmbar, warnen Koalition, Sozialverbände, Krankenkassen und Gewerkschaften. Die Krankenkassen halten das Modell zudem für nicht praktikabel. Denn dann müssten Ärzte, Zahnärzte, Apotheker oder Therapeuten jedes Mal prüfen, ob und wie viel sie dem Patienten abnehmen dürfen. Immerhin gilt es ja, die 2-Prozent-Grenze einzuhalten. Dafür müsste der Patient Verdienstbescheinigung und Nachweise über bisher geleistete Eigenbeteiligung stets bei sich führen – eine fast makabre Vorstellung für Kranke und ihre Ärzte.

    Ideal ist aber auch nicht, was die Koalition vorgeschlagen hat. Wer rezeptfreie Arzneien, Brillengläser, Sterilisation oder Sterbegeld ganz aus dem Leistungskatalog streichen will, sorgt für 100 Prozent Selbstbeteiligung. Aber da beide Seiten höhere Zuzahlungen als wichtiges Sparinstrument betrachten, dürfte ein Kompromiss nicht besonders schwer fallen. Geht es nach Seehofer, kommt ein weiteres Element dazu:

    Kurzfristig und mittelfristig in der Gesundheitspolitik für die Bewältigung der finanziellen Schwierigkeiten ist die Selbstbeteiligung und die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags.

    Union und FDP wollen den Arbeitgeberbeitrag auf 6,5 Prozent einfrieren – also auf der Hälfte des angestrebten Beitragssatzes von 13 Prozent. Der Vorteil ist, dass die Lohnnebenkosten dauerhaft begrenzt werden. Der Nachteil liegt darin, dass jede künftige Beitragserhöhung allein von den Beschäftigten bezahlt werden muss. Dagegen wehren sich SPD und Grüne bisher mit Händen und Füßen. Dabei geht es nicht nur um soziale Gerechtigkeit. Sie fürchten, dass die Arbeitgeber das Interesse an einem sparsamen und finanzierbaren Gesundheitswesen verlieren, wenn Kostensteigerungen sie selbst nicht mehr treffen würden. Dies dürfte deshalb einer der schwierigsten Punkte bei den Finanzierungsfragen werden.

    Mindestens genauso strittig ist, wie man die versicherungsfremden Leistungen in Höhe von mindestens 4,5 Milliarden Euro über Steuern finanzieren kann – ein an sich einvernehmliches Reformziel. Die Koalition will dafür stufenweise die Tabaksteuer um einen Euro anheben. Ähnliche Fordrungen hatten auch Gesundheitspolitiker der Union früher erhoben. Jetzt sind sie strikt dagegen. Woher das Geld angesichts der Ebbe in den öffentlichen Kassen und dem ebenfalls geplanten Vorziehen der Steuerreform 2005 kommen soll, sagt die Opposition bisher nicht. Sie fordert sogar zusätzlich eine Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel, um von der Regierung geplante Eingriffe zu Lasten von Pharmaindustrie und Apothekern zu verhindern. Auch hier fehlt bisher jede Gegenfinanzierung.

    Auffällig ist, dass sowohl Regierung als auch Opposition in ihren Reformentwürfen zwei breit diskutierte Finanzierungsvorschläge nicht aufgreifen: Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, die höhere Beiträge für Besserverdienende zur Folge hätte, und die Einbeziehung von Zinsen und Mieten in die Beitragspflicht. Letzteres wäre allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze möglich. Dann aber wären nur Versicherte betroffen, deren Einkommen bisher unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen – also Klein- und Mittelverdiener. Man kann aber nicht ausschließen, dass solche Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage vereinbart werden, falls in den Konsensverhandlungen anders das notwendige Spar- und Umfinanzierungsvolumen nicht erreicht wird.

    Mit den Finanzierungsfragen ist es allerdings nicht getan. Man muss gleichzeitig kostentreibende Strukturen beseitigen und das Krankheitsrisiko senken, wenn das Gesundheitswesen langfristig stabilisiert werden soll. Das nennt man gemeinhin Strukturreformen. Da aber liegen die größten Brocken auf dem steinigen Weg zum Kompromiss. Nur wenige Punkte, die Christa Sager nennt, können problemlos abgehakt werden:

    Mehr Mitwirkung, mehr Informationsrechte, mehr Transparenz zu Gunsten der Patienten. Ein weiteres wichtiges Ziel ist mit Sicherheit die Prävention zu stärken, Anreize für vernünftiges vorbeugendes Verhalten zu entwickeln.

    Aber damit ist dann auch schon fast Schluss mit den Gemeinsamkeiten bei Strukturreformen. Über die Patientenchipkarte ist man sich noch einig. Der Rest ist strittig. Staatsmedizin sei das, was die Regierung vorhabe, lautet die allgemeine Melodie der Opposition, die auch die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Anette Widmann-Mauz, anstimmt:

    Sie führen unser freiheitliches Gesundheitswesen Schritt für Schritt zurück und sie steuern in ein staatlich gelenktes Bürokratensystem. Statt Therapiefreiheit und den freien Zugang zum Arzt sicher zu stellen, herrschen bei ihnen Zwangssteuerung, Bevormundung und Listenmedizin.

    Kein Hausarztmodell, kein Qualitätsinstitut, keine Einzelverträge mit neu niedergelassenen Fachärzten, keine Apothekenketten und kein Versandhandel mit Arzneien – der Eindruck drängt sich nicht nur Ulla Schmidt auf, dass CDU/CSU und FDP alles daran setzen, die Leistungserbringer im Gesundheitswesen weitgehend zu schonen. Noch mehr: Sie wollen Budgets abschaffen und gleichzeitig über eine sogenannte leistungsgerechte Honorierung offenbar die Einkünfte von Ärzten, Zahnärzten und Therapeuten verbessern. Die Bundesgesundheitsministerin warnte deshalb:

    Im Gesundheitswesen kann es nicht bedeuten, dass Veränderungsprozesse einzuleiten alleine heißt, Versicherten und den Kranken mehr aufzubürden. Sondern, wer Veränderungen einleiten will, und zwar nachhaltige Veränderungen, der muss darauf drängen, dass jeder sich bewegen muss, damit es uns gelingt, jeden Euro in diesem System so effektiv einzusetzen, dass er wirklich zum Nutzen der Patientinnen und Patienten eingesetzt wird.

    Die meisten Experten sehen Wirtschaftlichkeitsreserven von mindesten 20 Milliarden Euro, die ohne Nachteile für Patienten langfristig zur Stabilisierung des Systems aktiviert werden könnten. Tatsächlich ignorieren das die zaghaften Vorschläge der CDU/CSU und FDP in Sachen Strukturreformen weitgehend. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz:

    Wo sicherlich noch mehr Mut bei der Opposition erforderlich sein wird, das ist die Bereitschaft zum Konflikt auch mit den Interessengruppen und den Leistungsanbietern im Bereich des Gesundheitswesens.

    Wie dieser Streit ausgeht, ist kaum abzuschätzen. Hier drohen zumindest faule Kompromisse. DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer fürchtet bereits, dass Strukturreformen beim Konsens wegen des Widerstands der CDU/CSU ganz unter den Tisch fallen:

    Dann steht nämlich nur drin, was alles erhöht werden soll an Zuzahlungen, an Belastungen für die Arbeitnehmer und die Kranken. Es stünde nichts mehr drin, was getan werden muss, um die Geldverschwendung zu beenden und wirkliche Strukturreformen einzuleiten. Und das halten wir für eine verheerende Entwicklung.