Freitag, 17. Mai 2024

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Gewalt aus Perspektivlosigkeit

Der Bevölkerungsexperte Gunnar Heinsohn sieht in der demografischen Entwicklung in den Palästinensergebieten einen wesentlichen Grund für die anhaltende Gewalt gegen Israel. Vielen jungen Palästinensern fehle eine Zukunftsperspektive, sagte Heinsohn. Daraus entspringe Gewalt, die sich gegen Israel richte. Für den Geburtenüberschuss unter den Palästinensern wiederum trage die Weltgemeinschaft auf Grund ihrer finanziellen Unterstützung eine Mitschuld.

Moderation: Karin Fischer | 01.08.2006
    Karin Fischer: Kann man den Krieg im Libanon soziologisch-demografisch deuten, als Krieg von zornigen jungen Männern, die sich gegen ihre soziale, ökonomische und erotische Aussichtslosigkeit auflehnen? Vielleicht nicht oder jedenfalls nicht ganz. Allerdings hat der Philosoph Peter Sloterdijk, vom "Kölner Stadtanzeiger" befragt, auch zu Israel, auch zum Gesamtkomplex Naher Osten, heute dort ein Buch empfohlen, dass vor drei Jahren aufsehen erregte: Gunnar Heinsohns "Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen", so heißt es. Und es geht darin im Wesentlichen um die These, dass und wie schnelles Bevölkerungswachstum zu politischer Instabilität führen kann, weil der so genannte youth bulge, also eine demografische Beule, zu einem Überhang an jungen Menschen führt, die dann keinen Platz mehr in der Gesellschaft finden, auch bei uns hierzulande ja diskutiert. Sloterdijk erklärt jedenfalls, dass Buch solle zur Pflichtlektüre für Politiker und Feuilletonisten werden.

    Gunnar Heinsohn ist Genozidforscher und Bevölkerungsexperte und Leiter eines entsprechenden Instituts in Bremen. Herr Heinsohn, das Lob des Philosophen in Ehren, aber kann man Ihre These auf den Konflikt im Nahen Osten denn wirklich anwenden?

    Gunnar Heinsohn: Auf den Konflikt zwischen den Juden Israels und den Arabern Palästinas auf jeden Fall, weil die Araber Palästinas anders als andere Araber keine demografische Abrüstung betreiben. Das heißt, sie haben weiterhin sechs Kinder pro Frau, das heißt, manche Mutter hat auch 10 oder 15, während die israelische Seite gut über 2 Kinder hat. Und während die Israelis noch vor 30 Jahren der Goliath gegenüber den Arabern Palästinas waren, sind die Jungen Israels unter 15 heute bereits der David. Es kommen auf einen jüdischen Jungen unter 15 bereits zwei arabische Jungen unter 15.

    Im Libanon haben wir eine ganz andere Situation. Libanon war auch ein Gazastreifen bis 1975. Da hatten die Libanesen sechs oder sieben Kinder, und die haben sich dann zwischen 1975 und 1990 in der Größenordnung von 150.000 gegenseitig umgebracht. Heute aber hat die Libanesin 1,9 Kinder. Das heißt, die Libanesen werden bald ein Rentenproblem haben, nicht so groß wie unseres, aber immerhin. Deshalb ist die Hisbollah im Libanon ein Nachklapp. Die kann besiegt werden, und sie wird nicht wieder kommen, weil keine dritten und vierten Brüder da sind, die dann weiter ihr Heil in der Gewalt suchen müssen, weil sonst Karrieren für sie nicht zur Verfügung stehen.

    Fischer: Sie haben schon gesagt, Sie betrachten die demografische Abrüstung in den Palästinensergebieten als zwingende Voraussetzung, auch für den Frieden im Nahen Osten. Stattdessen, ich zitiere aus einem Artikel von Ihnen aus der "Netzeitung", "garantiert die Weltgemeinschaft die Ernährung und Erziehung jedes palästinensischen Kindes". Ist das nicht eine zynische Haltung angesichts der ja auch kulturellen Traditionen einer muslimischen Gesellschaft?

    Heinsohn: Hier verhält sich der Westen in der Tat zynisch. Er sagt, wir bezahlen euch ein 2. und auch ein 20. Kind, denn wir definieren euch als Flüchtlinge. Aber man sagt nicht, für das 3. oder das 20. Kind schaffen wir auch Karrieren. Man schickt die also in die Aussichtslosigkeit. Weil die nun an der Grenze Juden haben, mit denen man in Feindschaft lebt, drückt sich die Gewalt jetzt gegen die Juden Israels. In anderen Gebieten, etwa wie zuvor im Libanon oder in Algerien, wo gar keine Juden an der Seite sind, da töten sich die arabischen Jungen gegenseitig. Die einen sagen, wir sind noch frommer als ihr, die auch schon sagen, wir sind doch auch sehr fromm. Also hier gibt es seine Außenwendung dieses demografischen Problems, nur weil Juden auf der Gegenseite stehen. Würde Israel nicht existieren, dann hätten wir im Gazastreifen und auf der Westbank heute längst Verhältnisse wie in Algerien oder wie zwischen 1975 und 1990 im Libanon.

    Fischer: Ihre Theorie ist ja auch deshalb so eingängig, weil sie mit so vielen schönen Zahlen belegt werden kann. Aber warum muss denn überhaupt Demografie als Ursache von Terror gesehen werden? In den Palästinensergebieten kann das doch auch alles politisch hergeleitet werden, also palästinensische Kinder kämpfen gegen eine hoch gerüstete Besatzungsmacht.

    Heinsohn: Sie haben ja völlig Recht, nur sie brauchen die Kinder. Wenn sie die Kinder nicht haben und die Besatzungsmacht ist ja schon raus aus dem Gazastreifen, aber sie haben weiterhin das sechste und siebte Kind, den dritten und vierten Bruder, der genährt wird, der erzogen wird, der medizinisch versorgt wird von der Welt und der aber dann keine Zukunft hat, dann glaubt er mit gutem Recht, jetzt töten zu dürfen. Gibt es aber nur zwei Kinder oder auch nur anderthalb Kinder, wie zum Beispiel im normalen Teil des Libanons, dann kehrt dort wieder Frieden ein, und auch in Palästina würde Frieden einkehren. Aber wir verführen, die Weltgemeinschaft insgesamt, wir verführen die Palästinenser, anders zu handeln als die Libanesen, anders als die Algerier, anders als die Tunesier, die alle auf weniger als zwei Kinder schon herunter sind.

    Fischer: Aber Entschuldigung, Herr Heinsohn, das klingt jetzt so, als ob die Weltgemeinschaft ursächlich Schuld wäre, an der demografischen Entwicklung in den Palästinensergebieten.

    Heinsohn: Daran ist sie ursächlich Schuld, denn wenn sie fragen, warum sind denn die Algerierinnen, warum sind die Libanesinnen auf zwei Kinder herunter? Sie müssen selbst für die Kinder sorgen. Und wenn sie sagen, warum bleiben denn die Palästinenser bei sechs Kindern? Weil wir sie als Flüchtlinge definieren und dadurch die Weltgemeinschaft sie versorgt. Also die Weltgemeinschaft ist hier zwar nicht schuldig, sie will das ja nicht, aber sie ist ursächlich.

    Fischer: Gunnar Heinsohn, danke für das Gespräch!