Donnerstag, 28. März 2024

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Gewalttat am Frankfurter Hauptbahnhof
Herkunft des Täters nennen oder nicht?

Nachdem in Frankfurt ein Achtjähriger starb, nannten viele Medien das Herkunftsland des mutmaßlichen Täters. Seriösen Medien werde es zum Vorwurf gemacht, wenn sie sich dagegen entscheiden, sagte Bascha Mika, Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau" im Dlf.

Bascha Mika im Gespräch mit Christoph Sterz | 30.07.2019
Polizisten sichern im Hauptbahnhof Spuren an einem ICE.
Bei der Attacke im Frankfurter Hauptbahnhof starb ein Achtjähriger, seine Mutter wurde schwer verletzt (dpa-Bildfunk / Andreas Arnold)
Christoph Sterz: Ein Mann stößt eine Frau und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug im Hauptbahnhof in Frankfurt am Main. Die Frau kann sich noch retten, das Kind wird vom Zug überrollt und getötet. Das ist gestern passiert und seitdem wird viel berichtet über die Tat, vor allem aber über den Täter. Die "Bild"-Zeitung zum Beispiel, die schreibt heute auf ihrer Titelseite, Zitat: "Täter kommt aus Eritrea", und auch viele andere Medien nennen die Herkunft des mutmaßlichen Täters. Ist nur die Frage: Warum? Ist die Nationalität wirklich so wichtig? Unter anderem das möchte ich diskutieren mit Bascha Mika, Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau". Guten Tag, Frau Mika!
Bascha Mika: Guten Tag!
Sterz: Sie erwähnen auch die Nationalität auch in Ihrer Zeitung und im Netz. Erklären Sie doch mal, warum Sie das tun.
Mika: Also, vielleicht sage ich noch einen Satz davor.
Sterz: Gerne.
Mika: In der Regel versuchen wir in der "Frankfurter Rundschau" uns tatsächlich an die Richtlinie des Presserats zu halten. Und der Presserat hat ja gesagt – nach einer langen Debatte vor einiger Zeit –, dass die ethnische und auch religiöse Zugehörigkeit eines Verdächtigen oder eines Täters nur dann genannt werden soll, wenn es ein begründetes öffentliches Interesse gibt. Und das finde ich übrigens auch völlig richtig.
"Die Polizei gibt eben die Herkunft des Täters auch an"
Inzwischen ist es aber so, dass in der Hinsicht alle Dämme gebrochen sind. Also hier in diesem Fall ist es noch etwas Besonderes. Man hätte sozusagen den ethnischen Hintergrund des Täters kaum unter der Decke halten können – wenn ich das mal so sagen darf –, wenn man das denn gewollt hätte, denn es gab ja sehr viele Augenzeugen, die natürlich auch darüber berichtet haben. Und die Polizei gibt eben die Herkunft des Täters auch an, also hat sie gestern sofort angegeben. Und dadurch entsteht natürlich eine Gemengelange, wo es auch seriösen Medien eher zum Vorwurf gemacht wird, so nach dem Motto: Sie unterdrücken Informationen, wenn sie nicht sagen, das war ein Schwarzer und der kam aus Eritrea.
Bascha Mika, Chefredakteurin bei der Frankfurter Rundschau
Bascha Mika ist Chefredakteurin bei der "Frankfurter Rundschau" (Deutschlandfunk / Pauline Tillmann)
Sterz: Jetzt gab es in Ihrer Zeitung auch einen Kommentar heute in die Richtung, dass es eben tatsächlich jetzt nicht alleine um den Täter auch gehen soll. Sie haben daraufhin viele Reaktionen von Ihren Leserinnen und Lesern bekommen. Was sagen die?
Mika: Also, unsere Leser und Leserinnen haben diesen Kommentar sehr geschätzt, aber andere Reaktionen, von denen ich ausgehe, dass sie nicht zu unserem unmittelbaren Umfeld, also zu unseren Abonnenten oder Lesern gehören, haben diesen Kommentar natürlich verdammt und mit Hassmails kommentiert nach dem Motto: "Seid doch nicht so naiv, macht doch mal die Augen auf! Selbstverständlich ist es keine Hetze, die von Rechts kommt, weil der Täter keinen deutschen Pass hatte und eine andere Hautfarbe. Steht doch endlich mal dazu, und so weiter und so weiter." Also sehr brutale, hässliche und unschöne Reaktionen. Nur, auf den Hinweis hin, dass es so eine grauenhafte Tat ist, dass man doch bitte mal innehalten soll und nicht gleich loshetzen soll, wie Alice Weidel es von der AfD getan hat.
"Auch wir haben schließlich Ängste und die sind berechtigt"
Sterz: Nun sind Sie in Frankfurt. Die "Frankfurter Rundschau" sitzt logischerweise dort. Wie beobachten Sie das? Sie waren heute selber am Hauptbahnhof und waren dementsprechend vor Ort. Wie beobachten Sie aus diesem Blick die Berichterstattung der anderen Medien über das Thema?
Mika: Was uns hier in der Redaktion sehr beschäftigt hat, ist, dass das Thema, das uns hier alle total bewegt hat – also wir haben nicht nur gestern sehr lange diskutiert, sondern auch heute Morgen sofort weiter diskutiert. Wir fragen uns alle: Wie kann ein Mensch so etwas machen, was treibt ihn, was sind die Motive, was ist der Hintergrund? Und gleichzeitig löst es natürlich auch bei uns als Journalisten eine betroffene Betroffenheit aus. Auch wir haben schließlich Ängste und die sind berechtigt. Dass man sich fragt: Wie muss ich mich jetzt auf dem Bahnhof verhalten? Kann ich überhaupt noch nah an einen Bahnsteig gehen? Ich glaube, solche Fragen sind völlig normal und uns haben sie in jeder Hinsicht umgetrieben.
Gleichzeitig haben wir aber beobachtet, dass in vielen Medien dieses Thema einfach nach unten gerutscht ist. Also es bestimmt heute keineswegs noch die Schlagzeilen, es ist nicht das Topthema. Andere Themen sind sehr viel wichtiger. Und ich halte das nicht für ein Zeichen dafür, dass auch andere Medien ein Stück innehalten und sagen, jetzt müssen wir erst mal Ruhe einkehren lassen, wir wissen noch ganz wenig, der Täter hat sich bisher nicht zu seinen Motiven geäußert, sondern dass dieses Thema, so grauenhaft die Tat auch ist, in diesem ganzen Nachrichtenumschlag, der wahnsinnig schnell geworden ist, schon ein gutes Stück wieder verschwunden ist.
Sterz: Meint Bascha Mika, Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau". Vielen Dank für das Gespräch
Mika: Es war mir ein Vergnügen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.