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Gewerkschaft fordert Mindestlohn in der Fleischwirtschaft

Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten und Genussmittel, fordert die Politik auf, einen Mindestlohn in der Fleischwirtschaft einzuführen. Damit werden die Firmen zur ordentlichen Entlohnung verpflichtet. Die Politik müsse aufhören, sich in dieser Sache wegzuducken, ergänzt er.

Franz-Josef Möllenberg im Gespräch mit Dirk Müller | 25.06.2013
    Dirk Müller: Der Norddeutsche Rundfunk hat es recherchiert: In deutschen Schlachthöfen soll erneut systematische Schwarzarbeit an der Tagesordnung sein. Von Lohnsklaven ist da die Rede, von Ausbeutung, von chinesischen Verhältnissen, von Menschenhandel, von unwürdigen Arbeitsverhältnissen. Razzien, Ermittlungen gegen 22 Beschuldigte und ein Firmengeflecht von rund zwei Dutzend Unternehmen, verteilt, verstreut in der gesamten Republik. Die Ermittler gehen davon aus, dass mit dem Einsatz der Leiharbeiter aus Rumänien und Polen von den Leiharbeitsfirmen Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen werden und das Monat für Monat. Lohndumping und Billigfleisch sind die Folgen, über die sich sogar andere europäische Mitgliedsstaaten bereits in Brüssel beschwert haben.
    Lohndumping, Sklavenarbeit in der deutschen Fleischindustrie – unser Thema jetzt mit Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten und Genussmittel, kurz NGG. Guten Morgen!

    Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Möllenberg, haben Sie davon gewusst?

    Möllenberg: Eingangs ging es darum, dass Sie erneut darauf hingewiesen haben, also die Journalisten, die diesen Beitrag geschrieben haben, verfasst haben, es ist eine Entwicklung, die seit Jahren anhält. Ja, wir wissen so was, wir haben mit den Behörden zusammengearbeitet und machen auf solche Missstände aufmerksam. Und wir haben real in Deutschland zu verzeichnen, dass in den letzten Jahren 20 Prozent von sozialversicherungspflichtiger Arbeit an Schlachthöfen vernichtet worden sind zugunsten von solchen Sklaven.

    Müller: Und Sie wussten auch von diesen Arbeitsbedingungen?

    Möllenberg: Wir haben von diesen Arbeitsbedingungen, also von der Höhe der Löhne gewusst und wir haben das immer wieder thematisiert. Ein Hilferuf, wie die Gewerkschaft NGG ihn losgelassen hat, dass wir in Deutschland dringend einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen, der ist ja nicht umsonst gekommen, sondern das hat etwas mit diesen Zuständen zu tun.

    Müller: Das sind Hilferufe gewesen, das haben Sie gesagt, wir haben das auch nachvollzogen, mehrere Pressemitteilungen. Es ist offenbar in der Politik aber in dieser Radikalität, wie es sich darstellt, nicht angekommen?

    Möllenberg: Nein. Die Politik hört sich das an, das geht im linken Ohr rein und aus dem rechten Ohr wieder raus. Man müsste solche Beiträge zu einem Pflichtbeitrag im Bundeskabinett, in der Kabinettssitzung machen, dann müsste sich die Kanzlerin das anhören, dann müsste sich Frau Aigner das anhören als Ernährungsministerin, dann müsste sich Frau von der Leyen das anhören und auch Herr Rösler als Wirtschaftsminister. Aber jeder schiebt die Schuld auf den anderen und niemand tut etwas.

    Müller: Sind das nicht zwei Paar verschiedene Schuhe beziehungsweise zwei Aspekte, einmal dieses illegale Arbeiten beziehungsweise die fehlenden Steuerabrechnungen, diese katastrophalen Arbeitsbedingungen, von denen dort die Rede ist, und auf der anderen Seite der Mindestlohn, der tarifliche, der gesetzliche, wie Sie fordern?

    Möllenberg: Nein, das hängt alles miteinander zusammen. Die wichtigste Botschaft muss sein, dass man die Auftraggeber in die Pflicht nimmt, also die Firmen, die auf Wurst und Fleisch und Geflügelwaren schöne Etiketten kleben, die aber letztendlich Auftraggeber sind und letztendlich solche kriminellen Machenschaften überhaupt ermöglichen. Das muss deutlich werden. Wir dürfen uns nicht nur um Tierwohl kümmern, sondern wir müssen auch die sozialen Bedingungen sehen und wir müssen vor allen Dingen sehen, dass unser Ansehen in Europa – auch das kam ja im Beitrag vor – sinkt. In den Niederlanden, in Frankreich, in Belgien, in Dänemark werden Arbeitsplätze, die vernünftige Arbeitsplätze sind, vernünftige Arbeitsbedingungen bieten, vernichtet zugunsten von solchen kriminellen Machenschaften.

    Müller: Warum streiken Ihre Gewerkschaftsmitglieder in diesen Betrieben nicht?

    Möllenberg: Wir haben diese rumänischen Kolleginnen und Kollegen in der Regel nicht organisiert. Die werden in Rumänien, in ihren Heimatländern eingesammelt, werden in Busse gepackt, ihnen werden Versprechungen gemacht – ich spreche auch kein Rumänisch, muss ich leider zugeben -, und die sind froh, dass sie überhaupt Arbeit haben, lassen alles mit sich machen, und wenn sie sich mal wehren, dann werden sie bedroht, erpresst, nach Hause geschickt, rausgeschmissen und können sich im Prinzip in der Regel nicht wehren. Wir haben Fälle, nicht nur im Oldenburger Land, in Saarbrücken, wo wir geholfen haben, um nur mal dieses Beispiel zu sagen. Aber es ist mühsam. Den Rechtsweg zu beschreiten, ist letztendlich mühsam. Ich bin froh, dass wir einen Rechtsstaat haben, aber es ist ein mühsamer, ein sehr schwieriger Weg. Und diejenigen, die diese legalen, halb legalen, illegalen mafiösen Strukturen letztendlich geschaffen haben, die sind immer fein raus. Die machen dann gestern eine Firma dicht und machen heute eine neue auf und nutzen letztendlich die Möglichkeiten, die Deutschland und Europa bietet.

    Müller: Die Frage bezog sich aber auf die Kollegen, also von mir aus auf die deutschen, auf die etablierten Kollegen, die normale Löhne beziehen, die in der Gewerkschaft organisiert sind. So was gibt es doch auch aus Solidarität?

    Möllenberg: So was gibt es auch. Die streiten auch mit uns, weil sie wissen ganz genau, wenn solche Geschäftsmodelle neben ihnen existieren, gefährden sie letztendlich ihre eigenen Arbeitsbedingungen und letztendlich auch ihren Arbeitsplatz. Wir haben in der Branche keinen Flächentarifvertrag. Wir haben mit einigen Firmen, die sich ordentlich verhalten, haustarifvertragliche Regelungen. Dort gibt es auch betriebsrätliche Strukturen, gar keine Frage. Auch so was ist Realität. Es ist nicht alles schlecht in der Branche. Nur diejenigen, die sich so verhalten, wie wir jetzt beschrieben haben, die gefährden letztendlich auch diese guten Unternehmen und diese guten Arbeitsplätze.

    Müller: Helfen Sie uns da noch einmal weiter, Herr Möllenberg. Sind das völlig isolierte Zweige? Das heißt, die Unternehmen, zwei Dutzend – davon ist im Moment jedenfalls auch laut Staatsanwaltschaft die Rede -, gegen die ermittelt wird, haben die dann nur rumänische, polnische Arbeiter wie auch immer dann unter Vertrag beziehungsweise geknebelt, oder ist das auch eine Mischform? Sind viele davon dann auch in den Betrieben ganz normal regulär angestellt?

    Möllenberg: Nein. Es ist in der Regel so, dass es ausschließlich osteuropäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Hier wird die Möglichkeit von Werkverträgen vollkommen ausgenutzt. Es sind wie gesagt halb legale Angelegenheiten. Und wir müssen letztendlich deutlich machen, dass wir die Auftraggeber in die Pflicht nehmen, dass die nicht ungeschoren davon kommen, dass die sich nicht zurücklehnen und sagen, damit haben wir nichts zu tun.
    Die müssen verpflichtet werden, dass die Menschen ordentlich entlohnt werden. Das ist eine Frage von Mindestlohn, das ist aber auch eine Frage, wie man mit der Würde von Menschen umgeht, sie nicht in irgendwelchen Stallungen einpfercht und sie letztendlich dort, wie wir es im Saarland vorgefunden haben, halb verhungert, halb verdurstet irgendwo liegen haben. Das ganze Geflecht muss aufgedeckt werden und da geht es auch darum, dass wir neben wie gesagt Mindestlohn, neben besseren Möglichkeiten der Sozialversicherungsträger, dass wir die Auftraggeber in die Pflicht nehmen, dass wir die Möglichkeit der Mitbestimmungsmöglichkeiten, der Betriebsräte stärken, dass solche Werkverträge nur abgeschlossen werden können, wenn die Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht haben. Es gibt durchaus Schutzmechanismen, nur es muss endlich aufhören, dass die Politik sich wegduckt.

    Müller: Kennen Sie diese Arbeitgeber?

    Möllenberg: Wir kennen die Arbeitgeber, ja.

    Müller: Wo ist denn die Liste, die Sie veröffentlicht haben darüber?

    Möllenberg: Ich möchte keinen Pranger haben. Ich möchte nicht etwas vortäuschen, was letztendlich dann zu Schwierigkeiten führt. Aber ich bin jederzeit bereit, Frau von der Leyen, der Politik zu sagen, das sind die Arbeitgeber, und mir wäre es am liebsten – das haben wir den Verbraucherministern immer wieder gesagt -, lasst uns auf die Etiketten ein Gütesiegel packen, wo auch zum Beispiel Sozialbeziehungen berücksichtigt werden.

    Müller: Wir haben ja auch die Amazon-Diskussion in Deutschland offen geführt und transparent, jedenfalls im Rahmen der Möglichkeiten. Warum nennen Sie nicht Ross und Reiter und dann müssen sich diejenigen dazu bekennen?

    Möllenberg: Wissen Sie, Herr Müller, wir würden dann wahrscheinlich zehn Firmen nennen und 20 vergessen. Ich sage das mal vorsichtig. Es ist die ganze Branche. Es gibt in der Branche Gute und mir wäre es lieb, wir würden einen positiven Pranger machen, dass wir sagen, die Firmen, die sich an Tarifverträge halten, wo ausgebildet wird, wo Betriebsräte bestehen, die sind die Positiven, das sind die Guten, da könnt ihr drauf zurückgreifen. Aber letztendlich muss hier die Politik handeln und muss die Unternehmen auch an einen Tisch holen und muss deutlich machen, wenn ihr mit diesen Dingen nicht aufhört, dann werden wir als Gesetzgeber handeln.

    Müller: Das heißt, von den Gewerkschaften wird die Öffentlichkeit nichts erfahren?

    Möllenberg: Herr Müller, das möchte ich so nicht stehen lassen. Aber wir haben in der Vergangenheit auf solche Dinge hingewiesen. Wir sind dann teilweise auch mit Klagen überzogen worden, mit Schadenersatzforderungen überzogen worden. Das ist ganz dünnes Eis, auf dem wir uns bewegen. Ich will das ausdrücklich sagen: Ich habe da keine Scheu vor. Aber wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht nur für die Öffentlichkeit eine, wenn ich das so sagen darf, Sau durchs Dorf treiben. Mir kommt es darauf an, dass wir die Strukturen verändern und zerschlagen und nicht eine kurzfristige Schlagzeile haben, und da geht es nicht nur darum, etwas über einen Pranger zu machen, sondern hier muss gehandelt werden.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten und Genussmittel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Möllenberg: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.