Wer das Glück hat, in Zürich einige Stunden freie Zeit zu besitzen, der ist gut beraten, sie im Kunsthaus und dort ganz zielgerichtet in der ständigen Giacometti-Ausstellung zu verbringen. Die meditative Ruhe, die in diesen Räumen herrscht, die Klarheit der Formen, der asketische Kunstwille sind einzigartig. Schon im Eingangsfoyer begrüßt einen ja eine dieser sehr hohen, schmalen, reduzierten Menschengestalten, die für das Spätwerk der 1950er Jahre stehen. Aber Zürich hat eben sehr viel mehr. Das liegt daran, dass die Giacometti-Stiftung in den 60er Jahren einen Großteil der Sammlung des Amerikaners David Thompson erwerben konnte mit Hauptwerken aller Werkphasen. Andererseits hat die Familie Giacometti, vor allem die Brüder, einen großen Teil ihres Erbes eingebracht oder immer wieder ausgeliehen - während in Frankreich die Witwe jahrelang im Streit mit dem steuerfordernden Staat lag.
In regelmäßigen Abständen veranstaltet das Kunsthaus zusätzlich zum ständig gezeigten Giacometti-Bestand nun Ausstellungen, die den Augenmerk auf einen besonderen Werkaspekt lenken: Die surrealistische Phase hat man beleuchtet, mit der "Boule suspendue", der "Main prise" (der im Rad gefangenen Hand) und dem "Point à l'aeil", jenem Stachel, der gegen das Auge gerichtet ist, alles aus den 30er Jahren; die Gipse hat man im letzten Jahr gezeigt, also die Ur-Formen der Abgüsse, die in manchen Gestalten aber auch Endgültigkeits- und Werk-Charakter besitzen, weil sie, im Gegensatz zu den massiv bronzenen Güssen, den Figuren eine ganz andere Anmutung, eine ätherische Leichtigkeit verleihen.
Nun will man das Frühwerk ins Blickfeld rücken, und hier kann man erfahren, wie sich jemand langsam von zu Hause ablöst, vom den Sohn vorsichtig fördernden Vater, dem ganz den Farben ergebenen Landschaftsmaler Giovanni Giacometti - und seinen eigenen Weg sucht, von Stampa im Schweizer Bergell nach Paris, von der Malerei in die Skulptur, vom Abbildungs-Charakter der Kunst in die Abstraktion. Man mag in manchen frühen Portraits der Mutter schon den Nukleus der späten, kratzenden, suchenden, die Figur umkreisenden Studien der Ehefrau Anette sehen, Erkundungen über den Prozess des Sehens. Entscheidend aber ist Giacomettis Weggang nach Paris 1922 und sein Eintritt in die Bildhauer-Klasse des Antoine Bourdelle: Die meisten Skulpturen dieser Zeit hat Giacometti zerstört, was seine Zweifel an der Abbildungsfunktion der Figur belegt, aber die zeichnerischen Akt-Skizzen sind erhalten. Und hier zeigt sich, dass da jemand in Volumina denkt, stets die Dynamik und Spannung einer Gesamtfigur im Raum sieht und weniger die Details.
Die Arbeiten, die dann ab Mitte der 1920er Jahre entstehen, deklinieren das abstrakte Vokabular der Epoche durch: konstruktivistisch wie Archipenko, kubistisch wie Lipchitz und aus dem Blickwinkel archaischer Stammeskunst. Werke der Gewährsmänner sind dezent eingefügt; schön ist besonders ein glattpolierter formalisierter Kopf von Brancusi, der den Weg Giacomettis zum Schädel als Scheibe flankiert - Giacomettis "Tête qui regarde" ist nur noch eine körperlose schmale Platte mit Zeichen.
Erstaunlicherweise war Giacometti in der Lage, mehrere Stile nebeneinander durchzuprobieren: einerseits die getürmten, geschachtelten, gesplitterten kubistischen Formen, die ineinandergeschraubten konstruktivistischen Liebenden, die innig ineinandergelehnten, einander zugeneigten Rechteck-Formen, die menschliches Paarverhalten freundlich parodierend aufnehmen., andererseits die ganz reduzierten Merkmale der Stammeskunst, die vielleicht schon auf das Spätwerk vorausweisen: "La femme cuillère", die Löffelfrau, ist auch so eine hohe, priesterliche Figur, gebieterisch wie ein Totempfahl, allerdings mit einem Rumpf wie eine Schöpfkelle, also schon leicht surreal angehaucht. Die Durchbrechung und Auflösung der Masse, konvex-konkave Formspiele, das Einführen fremder Elemente wie einer dachartigen Welle über der träumenden Frau, "femme couchée qui rêve" - das alles zeigt den Künstler beim Experimentieren, auf einem Weg, der, wie wir wissen, viel später in die absolute Reduktion und Selbstbescheidung mündete.
In regelmäßigen Abständen veranstaltet das Kunsthaus zusätzlich zum ständig gezeigten Giacometti-Bestand nun Ausstellungen, die den Augenmerk auf einen besonderen Werkaspekt lenken: Die surrealistische Phase hat man beleuchtet, mit der "Boule suspendue", der "Main prise" (der im Rad gefangenen Hand) und dem "Point à l'aeil", jenem Stachel, der gegen das Auge gerichtet ist, alles aus den 30er Jahren; die Gipse hat man im letzten Jahr gezeigt, also die Ur-Formen der Abgüsse, die in manchen Gestalten aber auch Endgültigkeits- und Werk-Charakter besitzen, weil sie, im Gegensatz zu den massiv bronzenen Güssen, den Figuren eine ganz andere Anmutung, eine ätherische Leichtigkeit verleihen.
Nun will man das Frühwerk ins Blickfeld rücken, und hier kann man erfahren, wie sich jemand langsam von zu Hause ablöst, vom den Sohn vorsichtig fördernden Vater, dem ganz den Farben ergebenen Landschaftsmaler Giovanni Giacometti - und seinen eigenen Weg sucht, von Stampa im Schweizer Bergell nach Paris, von der Malerei in die Skulptur, vom Abbildungs-Charakter der Kunst in die Abstraktion. Man mag in manchen frühen Portraits der Mutter schon den Nukleus der späten, kratzenden, suchenden, die Figur umkreisenden Studien der Ehefrau Anette sehen, Erkundungen über den Prozess des Sehens. Entscheidend aber ist Giacomettis Weggang nach Paris 1922 und sein Eintritt in die Bildhauer-Klasse des Antoine Bourdelle: Die meisten Skulpturen dieser Zeit hat Giacometti zerstört, was seine Zweifel an der Abbildungsfunktion der Figur belegt, aber die zeichnerischen Akt-Skizzen sind erhalten. Und hier zeigt sich, dass da jemand in Volumina denkt, stets die Dynamik und Spannung einer Gesamtfigur im Raum sieht und weniger die Details.
Die Arbeiten, die dann ab Mitte der 1920er Jahre entstehen, deklinieren das abstrakte Vokabular der Epoche durch: konstruktivistisch wie Archipenko, kubistisch wie Lipchitz und aus dem Blickwinkel archaischer Stammeskunst. Werke der Gewährsmänner sind dezent eingefügt; schön ist besonders ein glattpolierter formalisierter Kopf von Brancusi, der den Weg Giacomettis zum Schädel als Scheibe flankiert - Giacomettis "Tête qui regarde" ist nur noch eine körperlose schmale Platte mit Zeichen.
Erstaunlicherweise war Giacometti in der Lage, mehrere Stile nebeneinander durchzuprobieren: einerseits die getürmten, geschachtelten, gesplitterten kubistischen Formen, die ineinandergeschraubten konstruktivistischen Liebenden, die innig ineinandergelehnten, einander zugeneigten Rechteck-Formen, die menschliches Paarverhalten freundlich parodierend aufnehmen., andererseits die ganz reduzierten Merkmale der Stammeskunst, die vielleicht schon auf das Spätwerk vorausweisen: "La femme cuillère", die Löffelfrau, ist auch so eine hohe, priesterliche Figur, gebieterisch wie ein Totempfahl, allerdings mit einem Rumpf wie eine Schöpfkelle, also schon leicht surreal angehaucht. Die Durchbrechung und Auflösung der Masse, konvex-konkave Formspiele, das Einführen fremder Elemente wie einer dachartigen Welle über der träumenden Frau, "femme couchée qui rêve" - das alles zeigt den Künstler beim Experimentieren, auf einem Weg, der, wie wir wissen, viel später in die absolute Reduktion und Selbstbescheidung mündete.