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Gier nach Belohnung

Psychologie. - Wer gerne spielt, der will auch gewinnen. Doch was, wenn das Spiel zur Sucht wird? Bei der Suche nach den Ursachen stießen Hamburger Forscher im Gehirn der Spieler auf ein merkwürdiges Phänomen. Möglicherweise fehle Suchtspielern die Freude am Gewinn.

Von Frank Grotelüschen |
    Ein Spielkasino in Nevada, USA. Die einarmigen Banditen rattern rund um die Uhr. Croupiers laden zum Kartenspiel, Leuchtschriften versprechen astronomische Summen. Es ist noch nicht einmal acht Uhr morgens, und schon hocken Dutzende von Rentnern vor den Automaten und warten wie hypnotisiert darauf, dass endlich die richtige Ziffer aufblitzt.

    "Ich bin mir sicher, dass bei den Ladies mit ihrem kleinen Eimer Quarterdollars am Automaten die eine oder andere dabei ist, die man als pathologische Glücksspielerin bezeichnen würde."

    Christian Büchel leitet das Institut für systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er untersucht Spielsüchtige - oder im Fachjargon - pathologische Glücksspieler.

    "Es ist eine Sucht. Der pathologische Glücksspieler spielt wie ein Süchtiger, spielt immer mehr und spielt auch um immer höhere Beträge."

    Wie macht sich diese Abhängigkeit im Gehirn bemerkbar? Und reagiert das Hirn eines Süchtigen beim Zocken anders als das eines Nichtsüchtigen? Um das zu beantworten, ließ sich Büchel ein Experiment einfallen: Er lud notorische Zocker wie auch gesunde Kontrollpersonen ein und setzte ihnen das folgende, simple Glücksspiel vor.

    "Und zwar haben die Probanden einen Bildschirm betrachtet, und auf diesem Bildschirm waren die Rückseiten zweier Kartenstapel dargestellt. Und die Probanden mussten einfach nur wählen, ob sie die linke oder die rechten Karte umdrehen möchten. Wenn die Karte eine rote Karte war, haben sie einen Euro gewonnnen. Und wenn die Karte eine schwarze Karte war, haben sie einen Euro verloren."

    Das Besondere: Die Probanden spielten ihr Spiel in einem hochempfindlichen, allerdings ziemlich lauten Diagnosegerät, dem Kernspintomographen. Von vorne sieht er aus wie eine zu groß geraten Waschmaschine. Doch die vermeintliche Waschtrommel ist eine Röhre, in der der Proband mitsamt Ohrenschutz auf einer Liege verschwindet. 40 Minuten lang ließ Büchel die Leute zocken – und schaute ihnen dabei buchstäblich ins Hirn. Denn mit seinen starken Magnetfeldern und Radiopulsen registriert der Tomograph feinste Änderungen im Blutfluss. Dadurch kann er messen, welche Hirnregion bei welcher Tätigkeit aktiv wird.

    "Wir konnten die Hirnaktivität nach einem Gewinn mit der Hirnaktivität nach einem Verlust vergleichen und konnten zeigen: Wo finde ich mehr Aktivität im Gehirn, wenn man gewinnt als wenn man verliert."

    Der entscheidende Schauplatz im Hirn ist eine Region, die die Fachleute als Belohnungssystem bezeichnen.

    "Wir wissen, dass es tief im Gehirn sitzt – der so genannte Nucleus accumbens. Und wir wissen, welcher Botenstoff essentiell ist, nämlich das Dopamin. Zum Beispiel wird dieses Belohnungssystem erregt durch kleinere Sachen des Alltags – was Schönes zu essen, oder ein Lob oder ein anderes schönes Ereignis."

    Dann wandten sich Büchel und seine Leute der entscheidenden Frage zu: Wenn der Spielsüchtige einen Euro gewinnt – reagiert sein Belohnungssystem dann anders als das eines Nichtsüchtigen?

    "Genau das konnten wir zeigen: Das Belohnungssystem wurde von dem Gewinn eines Euros bei den pathologischen Glückspielern geringer aktiviert als bei den gesunden Kontrollpersonen. Das heißt je stärker jemand glücksspielabhängig war, desto weniger hat er aktiviert."

    Das bedeutet: Im Gegensatz zu einem Gesunden will es den Süchtigen einfach nicht zufrieden stellen, wenn er einen Euro gewinnt. Er kommt belohnungstechnisch nicht zur Ruhe, sucht immer weiter nach Erfolg, findet kein Ende - und verspielt womöglich sein ganzes Geld. Doch auch Christian Büchel kann von der Spielsucht nicht lassen – natürlich wissenschaftlich gesehen.

    "In der nächsten Studie werden wir pathologische Glücksspieler untersuchen vor einer Verhaltenstherapie und nach dem erfolgreichen Absolvieren dieser Therapie und sind natürlich an der Frage interessiert: Inwieweit ist diese geringere Aktivierbarkeit nach der Therapie immer noch vorhanden?"

    Ist die geringere Aktivierbarkeit die Voraussetzung für die Sucht und müssen die Betroffenen damit umzugehen lernen? Oder ist sie eine Folge der Sucht, die sich per Therapie relativ einfach umprogrammieren ließe? Sollte Büchel diese Frage beantworten, wäre man auf der Suche nach einer optimalen Therapie einen Schritt weiter. Und dann säßen vielleicht weniger Rentner morgens um Acht vor den Automaten in Nevada.