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Gießen statt Sägen

Plastiktüten, Stühle oder Fensterrahmen - vieles ist aus Kunststoff auf Erdölbasis gefertigt. Und das kann zunehmend teuer werden, denn die Ölreserven sind begrenzt. Deshalb hat die schwäbische Firma Tecnaro eine Alternative zum herkömmlichen Kunststoff entwickelt. Sie verflüssigt Holz und macht es so zu einem Material, das in jede Form gegossen werden kann.

Von Christoph Herwartz | 31.10.2008
    Irgendwie ist das, was in dieser Fabrik im schwäbischen Ilsfeld produziert wird, ein ganz normaler Kunststoff. Er wird geschmolzen, in eine Form gegossen und härtet dann aus. Trotzdem: Es ist kein normaler Kunststoff, denn dieser hier wird aus Holz hergestellt. Holz, das nicht gesägt, sondern gegossen wird. Wie das funktioniert, ist Betriebsgeheimnis in der kleinen Firma Tecnaro. Zehn Mitarbeiter stellen hier pro Jahr etwa 200 Tonnen Arboform, also "formbares Holz" herstellt.

    Vor rund zehn Jahren entdeckten die Firmengründer Jürgen Pfitzer und Helmuth Nägele am Karlsruher Fraunhoferinstitut das Verfahren, mit dem sich Holz verflüssigen lässt. Damals war Jürgen Pfitzer erstaunt darüber, dass sie tatsächlich die ersten waren, die das geschafft hatten:

    "Und dann haben wir einen professionellen Patent-Rechercheur beauftragt, der dann mal wirklich nichts anderes sucht als die Begriffe, die wir besprochen haben und dann war eigentlich das Erstaunen sehr groß, dass es noch gar keine Patente gab auf dem Gebiet."

    Zusammen mit seinem Partner Helmuth Nägele gründete Pfitzer die Tecnaro GmbH, um Arboform zur Marktreife zu bringen und in großem Stil zu produzieren. Das Patent, das Tecnaro dann anmeldete ist denkbar knapp formuliert. Helmuth Nägele kann den Text praktisch auswendig:

    "Die zwei Zeilen lauten im Prinzip: Eine werkstoffliche Zusammensetzung bestehend aus Lignin, Naturfasern und natürlichen Additiven."

    Lignin ist ein lästiges Abfallprodukt bei der Papierherstellung, denn es lässt eine Zeitung innerhalb weniger Tage vergilben und hart werden. Ein bei Büchern oder Kopierpapier unerwünschter Effekt. Dort wird deshalb holzfreies Papier eingesetzt, dem zuvor das Lignin entzogen wurde.

    "In jedem gewachsenen Holz sind etwa 30 Prozent Lignin enthalten. Dieses Lignin wird zwischen die Zellen der Zellulose eingelagert und man kann sich das in etwa so vorstellen wie Stahlbeton. Der Stahl im Beton entspricht den Zellulosefasern im Holz und der Beton entspricht dem Lignin im Holz."

    Das so anfallende Lignin wird bei der Papierherstellung verbrannt, obwohl sein Heizwert nur ein Drittel so hoch ist wie der von Heizöl. Bei Tecnaro wird dieser minderwertige Brennstoff zu einem vielseitig einsetzbaren Material. Schon jetzt stellt Tecnaro 50 verschiedene Materialien aus Lignin her, die höchst unterschiedliche Eigenschaften haben: Manche sind elastisch und biegsam, andere hart und fest. Einige sehen aus und riechen wie Holz, andere sind von normalem Plastik nicht zu unterscheiden. Das klassische, holzähnliche Arboform wird überall da verwendet, wo es zu kompliziert wäre, aus einem Stück Holz etwa eine Blockflöte herauszusägen. Denn das Material ist zwar teurer als Holz, aber die Verarbeitung dafür umso billiger. So gibt es zum Beispiel kugelförmige Lautsprecher aus Arboform.

    "Wir haben also eine Kombination aus einer sehr hochwertigen Ästhetik und natürlich auch ein sehr gutes Klangbild, weil ein Holzwerkstoff in einer Kugelform ergibt eigentlich die ideale Voraussetzung für eine gute Akustik im Lautsprecherbau."

    Man könnte das natürlich auch aus normalem Holz herstellen. Doch diesen Einwand lässt der Erfinder nicht gelten.

    "Sie müssten einen großen Holzblock spanend bearbeiten. Und das ganze würde viel, viel zu teuer werden."

    Arboform lässt sich mit ganz normalen Spritzgussmaschinen verarbeiten, in denen sonst Plastikteile entstehen. Darum lässt sich das Material auch beliebig formen.

    "Das geht von der Blockflöte bis zum Fensterprofil. Arboform hat riesen Potenzial aufgrund der Holzeigenschaften und der thermoplastischen Verarbeitbarkeit."

    Große Gewinne wirft das Geschäft mit Arboform noch nicht ab. Man sei in den schwarzen Zahlen, geben Pfitzer und Nägele an. Mehr nicht. Die Überschüsse investierten sie lieber in die Firma, statt sie sich selbst auszuzahlen.

    "Wir kriegen schon was raus, aber bevor wir 100.000 Euro Überschuss haben, stellen wir noch mal einen Mitarbeiter ein. Das ist unser Ziel und das ist unser Weg."

    Die Firma oder die Patente zu verkaufen, kam für die beiden Gesellschafter bislang nicht in Frage.

    "Wir haben Interesse von der Großchemie auch an unseren Patenten von uns geweckt. Es war aber überhaupt zu keiner Zeit das Thema, dass wir unsere Patente oder das Unternehmen verkaufen. Unser Ziel ist es nicht, so schnell wie möglich Privatiers zu werden, sondern wir wollen natürlich unsere Firma selber gedeihen sehen."

    Begrenzt wird das Wachstum von Tecnaro bislang vom Preis. Arboform ist mit 2500 bis 4000 Euro pro Tonne immer noch doppelt so teuer wie konventionelle Massenkunststoffe. Doch der Preisabstand wird kleiner: Herkömmliche Kunststoffe auf Erdölbasis haben sich in den vergangenen Jahren stark verteuert, während Arboform mit steigender Produktionsmenge immer günstiger wurde.

    "Das heißt, es ist durch aus denkbar, dass in einigen wenigen Jahren das Preisniveau von Arboform vergleichbar ist mit dem von heutigen Massenkunststoffen."

    Dann könnten auch Verpackungen, Computergehäuse und Autoteile wirtschaftlich aus dem Material hergestellt werden. Und die Tecnaro GmbH würde mit Arboform unseren Alltag erobern.

    Weitere Informationen:
    http://www.tecnaro.de