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Glenn Close am Broadway
Hinter den Erwartungen zurückgeblieben

Nach 20 Jahren Bühnenabstinenz hatte sich Filmstar Glenn Close für ihr Comeback "A Delicate Balance" von Edward Albee am Broadway ausgesucht. Und auch die Regie und Ausstattung deuteten auf einen vielversprechenden Abend hin - doch die Zuschauer wurden enttäuscht.

Von Andreas Robertz |
    Eigentlich eine Meisterin ihres Fachs: US-Schauspielerin Glenn Close
    Eigentlich eine Meisterin ihres Fachs: US-Schauspielerin Glenn Close (dpa/picture alliance/Hubert Boesl)
    Eigentlich passt doch alles so schön zusammen: die ausgewählten und farblich gut aufeinander abgestimmten Kostüme von Ann Roth, die luxuriöse Ausstattung von Santo Loquasto, die handwerklich hervorragende Regisseurin Pam McKinnon, die für ihre Inszenierung "Who is Afraid of Virginia Woolf?" in der vergangenen Spielzeit mit dem Tony gekürt wurde und ein Ensemble, das mit Glenn Close und John Lithgow ganz oben auf der Liste nur so vor Starpower strotzt. Da werden große Erwartungen geweckt - aber leider nicht erfüllt.
    "A Delicate Balance" handelt von dem älteren wohlhabenden Ehepaar Agnes und Tobias, deren Ruhe plötzlich gestört wird. Aus einem unbestimmten Gefühl der Angst heraus haben ihre besten Freunde Harry und Edna ihr eigenes Heim Hals über Kopf verlassen, um bei ihnen Zuflucht zu suchen. Ihre erwachsene Tochter Julia kehrt ebenfalls überraschend zurück, weil ihre vierte Ehe nicht funktioniert. Als sie ihr altes Kinderzimmer einklagt, das nun von Harry und Edna bewohnt wird, stehen Agnes und Tobias vor einem Dilemma. Das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen gesellschaftlicher Erwartung und eigenen Bedürfnissen ist gestört; die heile Fassade droht einzustürzen. Agnes' alkoholsüchtige Schwester Claire wird nicht müde, sie dafür auch noch zu verhöhnen. Das Stück gilt vielen als Albees Meisterwerk für das er 1967 seinen ersten Pulitzerpreis gewann.
    Bühnenbildner Santo Loquasto hat für die Bühne einen teuren Salon voll gemütlicher Sofas, Sesseln und Fauteuils und eine in allen Albee-Stücken obligatorische Bar gebaut. Durch einen Türbogen kann man ein Esszimmer in Mahagoni sehen, das gemäß den verschiedenen Tageszeiten im Stück mit neuen Requisiten bestückt, aber nie wirklich benutzt wird. Dieser gut durchdachte Naturalismus entpuppt sich in Pam McKinnons Inszenierung allerdings als Falle, denn der Abend droht in gemütlicher Belanglosigkeit zu versinken. Glenn Close gelingt es zwar, die kontrollierte und redegewandte Agnes zwischen selbstgerechter Weltsicht und harschem Zynismus gut auszubalancieren; sie versäumt es aber, einen tieferen Einblick in deren Gefühlswelt zu eröffnen.
    John Lithgow als entscheidungsschwacher Patriarch ist rührend in seinem Versuch, Konflikte mit netten Drinks zu entschärfen, findet aber nicht zu den Ängsten, die hinter seiner Harmoniesucht stecken. Ein angedeuteter Seitensprung vor Jahren und der Tod eines Sohnes hätten genügend Material dafür angeboten.
    Da beide Schauspieler Meister ihres Faches sind, muss man schlussfolgern, dass die Regie ihnen zu wenig Freiräume gelassen hat, um den Abend in einen spannenden Gesellschaftsthriller zu verwandeln.
    Licht in der verstaubten Düsternis des Abends
    Regisseurin Pam McKinnon hat nicht einmal entschieden, in welcher Zeit das Drama spielen soll. Im Originaltext von 1966 heißt es "jetzt", Ausstattung und Spielstil lassen aber eher an die Wende zum 20. Jahrhundert denken. Tochter Julia als einzige Figur plötzlich in Jeans wirkt dagegen wie ein Fremdkörper.
    In einer der interessantesten Passagen im Stück erklärt Agnes ihrem Mann, der die Freunde nicht ohne Grund vor die Türe setzten will, dass nicht die Schutz suchenden Freunde das Problem sind, sondern die Krankheit, die sie mitbringen: Terror und Angst. Wenn man immun dagegen ist, rät sie, isoliert man den Patienten und pflegt ihn. Ist man dagegen anfällig, verbrennt man ihn am besten. Wie viele moderne Bezüge hätte man alleine aus diesem Satz ableiten können? Bestimmen doch Angst und Paranoia wie kein anderes Gefühl die amerikanische Wirklichkeit.
    Oder wenn Claire Agnes' Puritanismus verhöhnt und Amerika eine Nation ohne Gemeinschaftssinn nennt: "Wir geben, aber wir teilen nicht, sind kontaktfreudig, aber nicht freundlich." All dies geht im allgemeinen Plauderton unter als müssten die Schauspieler dem Rhythmus der Sprache gerecht werden, ohne aber die Dynamik des Stückes zu bedienen. Einzig das eindringende Paar, Bob Balaban als Harry und Claire Higgins als Edna, die wundervoll verängstigt und in ihren absurden Ansprüchen selber bedrohlich beängstigend spielt, bringen Licht in die verstaubte Düsternis des Abends.
    Dabei hatte sich Glenn Close für ihre Rückkehr zur Bühne nach 20 Jahren Abstinenz die Rolle der Agnes und dieses klassische amerikanische Drama eigens ausgesucht. Leider wirkt sie gefühllos und altbacken, wie ein Artefakt in einem Glaskubus, Relikt einer längst vergangenen Welt. Halbherziger Applaus für einen Abend, der weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.