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Glos: Letztes Wort um Stoiber-Nachfolge noch nicht gesprochen

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) schließt nicht aus, dass der Wechsel an der Spitze der CSU früher stattfindet als - wie bisher geplant - im Herbst. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, sagte Glos im Deutschlandfunk. Die Überlegungen, nach denen der bayerische Ministerpräsident Stoiber erst im September seine Ämter aufgeben wolle, seien sicher noch nicht zu Ende, meinte der CSU-Politiker.

Moderation: Gerhard Irmler |
    Irmler: Herr Glos, unverhofft kommt oft, sagt der deutsche Volksmund, auch in Bayern. Hätten Sie damit gerechnet oder vermutet, dass Herr Stoiber so schnell zurücktreten würde?

    Glos: Nein, damit hätte ich nicht gerechnet, obwohl sich in den letzten Tagen die Lage zugespitzt hat und vor allen Dingen die Landtagsfraktion doch in einer sehr intensiven Art, und weil sie mit dem Ministerpräsidenten diskutiert hat und ihm mitgeteilt hat, wie viel Unmut in den Reihen der CSU herrscht. Dies zeigt wieder einmal, in der Politik gibt es keinen Dank für die Leistungen, die erbracht worden sind, in der Politik spielen Stimmungen eine große Rolle, es gibt wenig Dank für Geleistetes.

    Irmler: Aber wie erklären Sie sich den schnellen Zusammenbruch des Systems Stoibers. Die fesche Landrätin Pauli war sicherlich nicht der Grund. Sie war vielleicht der Anlass, sie hatte eine Lawine losgetreten. War es der Rückzug vom designierten Finanz- und Wirtschaftsminister in Berlin?

    Glos: Es ist eigentlich ganz natürlich, dass es immer wieder zu Wechseln kommt und dass die Wechsel oft nicht von denen gestaltet werden, die die Ämter innehaben, denn das macht manchmal etwas weniger sensibel für Entwicklungen, die sich anderswo ergeben. Edmund Stoiber war 14 Jahre Ministerpräsident, er war ungeheuer erfolgreich, und da besteht natürlich die Gefahr, dass man oft zu sehr den sachlichen Erfolg sieht, den Erfolg für Bayern. Die Gefühle der Menschen, die gehen mit diesen Leistungen nicht immer einher. Und da gab es natürlich irgendwo Brüche, es gab auch eine gewisse Enttäuschung. Herr Stoiber war sehr erfolgreich. Er wäre ja fast Bundeskanzler geworden. Er ist ein Politiker, der seine Kraft eingesetzt hat, um zu gestalten und nicht nur, um zu jedermann freundlich zu sein. Das hat alles Ursachen.

    Irmler: Können Sie sich vorstellen, dass Edmund Stoiber mit einem Rauhaardackel in Wolfratshausen seinen Lebensabend verbringt?

    Glos: Er wird sicher genug mit seiner Zeit anzufangen wissen. Aber er wird noch sehr lange Einfluss haben.

    Irmler: Er war Ministerpräsident, er ist noch Ministerpräsident, und er ist jemand, der nicht stillstehen wird. Er wird ja nicht in Vorruhestand gehen wollen.

    Glos: Er wird schauen, dass sein Lebenswerk gut weiter geht. Er wird mithelfen, dass wir in unserer Partei uns weiter nach vorne orientieren. Er wird sicher auch mithelfen, dass es nicht zu allzu großen Auseinandersetzungen kommt um die Führung der Partei in der Zukunft, oder um den Ministerpräsidenten. Er wird sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen.

    Irmler: Herr Glos, der deutsche Volksmund sagt ja nicht nur "Unverhofft kommt oft", er sagt auch "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende". Wäre es nicht besser gewesen, jetzt reinen Tisch zu machen und die beiden oder die drei Protagonisten für die verschiedenen Ämter sofort zu installieren?

    Glos: Wir haben jetzt innerparteiliche Wahlen. Und wenn wir diese innerparteilichen Wahlen nicht erst ordentlich durchführen und abwarten, dann kommt es dazu, dass innerhalb kurzer Frist zweimal Parteitag sein muss und zweimal ein Vorsitzender gewählt werden muss. Das ist sicher eines der Motive von Edmund Stoiber, warum er sagt, ich will einen geordneten Übergang. Aber die Überlegungen sind sicher nicht zu Ende. Er bespricht sich ja mit seinen Freunden jetzt in diesen Tagen, und wir werden weiter sehen, wie das am Schluss gestaltet wird.

    Irmler: Die gute Nachricht für einen CSU-Wirtschaftsminister ist ja, dass die Wirtschaft brummt - 2,5 Prozent im vergangenen Jahr, Herr Glos. Der BDI geht von zwei Prozent im Jahr aus. Ich vermute, dass Sie ähnliche Zahlen haben.

    Glos: Es ist schon eine sehr mutige Schätzung, die der Bundesverband der Deutschen Industrie auf den Tisch gelegt hat. Viele Institute sehen es ähnlich. Wir werden eine amtliche Wachstumsprognose machen. Ich werde dafür sorgen, dass wir wieder auf der sicheren Seite sind. Es ist besser, wenn man übertroffen wird von der Wirklichkeit, als wenn man Dinge in die Welt setzt und Hoffnungen weckt, die sich hinterher nicht erfüllen. Ich finde es auch deshalb sehr erstaunlich, dass der BDI so optimistisch ist, weil jetzt ja Tarifauseinandersetzungen stattfinden - das heißt Tarifverhandlungen. Ich hoffe nicht, dass es da zu Auseinandersetzungen kommt.

    Ich wünsche mir, dass man dabei auch immer wieder den Arbeitsmarkt im Auge hat. Es ist gelungen, durch Wachstum, auch durch Wachstum der Investitionen, wieder weniger Arbeitslose zu haben in Deutschland. Auf der anderen Seite haben wir ständige Produktivitätsfortschritte und den Wettbewerb anderer Länder, auch den Standortwettbewerb. Die Arbeitskosten müssen deshalb so gestaltet werden, dass mehr Arbeit in Deutschland Platz greift.

    Irmler: Bleiben wir noch mal beim BDI. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Thumann, sagte, das gute Ergebnis im vergangenen Jahr, also 2,5 Prozent Wachstum, sei nicht wegen der Politik, sondern trotz der Politik erreicht worden. Er kritisiert damit indirekt die Regierung. Trifft Sie dieser Vorwurf?

    Glos: Nein, das ist natürlich eine Melange. Wir wissen, dass die maßvollen Tarifabschlüsse der letzten Jahre dazu beigetragen haben. Wir wissen, dass die Tatsache, dass die Wirtschaft rationalisiert, aufgeräumt und, ihre Kostenstruktur neu geordnet hat und dass sie mutig neue Märkte erobert hat, dass dies auch eine Ursache ist. Wir wissen, dass das weltwirtschaftliche Umfeld positiv war und dass der Wachstumsfunke auch nach Deutschland übergesprungen ist. Aber ohne die Maßnahmen der neuen Bundesregierung, die unter dem Stichwort "Reformieren, Sanieren, Investieren" laufen, da wäre dies alles nicht möglich gewesen.

    Es gab einen gewaltigen Anschub. Der Aufschwung steht fest auf zwei festen Beinen, auf dem außenwirtschaftlichen Standbein, das in den letzten Jahren das Hauptstandbein war. Hinzu kommt jetzt wieder das binnenwirtschaftliche Standbein. Dies macht uns optimistisch, dass das Wachstum nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den Folgejahren anhält.

    Irmler: Eine Wachstumsdelle durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer fürchten Sie gar nicht?

    Glos: Natürlich hat dies insbesondere im laufenden Quartal, in dem wir jetzt sind, Auswirkungen. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger sehr absichtsvoll aufgefordert, Anschaffungen langlebiger Wirtschaftsgüter und Investitionen vorzuziehen. Es waren gewollte Anstoßeffekte. Wir wollten die Konjunktur 2006 in Gang setzen. Wir wollten, dass der Konjunkturzug schnell läuft und in Fahrt kommt, dass er nicht gleich wieder gestoppt wird durch diese notwendige Verbrauchssteuererhöhung. Ohne Konsolidierung der öffentlichen Finanzen gibt es mittel- und längerfristig keinen Aufschwung. Und es stärkt ja auch unsere Glaubwürdigkeit in Europa. Wir wären als Ratspräsidentschaft in eine unmögliche Situation gekommen, wenn wir die selbstgesetzten Stabilitätsziele von Maastricht negiert hätten.

    Irmler: Ich habe dieser Tage, als es in einem Interview um die Erbfolge in Bayern ging, Sie mit dem Satz gehört: "Das Amt des Wirtschaftsministers ist das schönste Amt der Welt." Es war eine ironische Anspielung auf eine Äußerung von Herrn Stoiber, der sagte, das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten sei, nach dem des Papstes, das schönste Amt der Welt. Die Frage mag vielleicht banal oder einfältig klingen, aber was kann ein Wirtschaftsminister, vor dem Hintergrund dessen, was Herr Thumann gesagt hat, bewegen? Was kann er politisch bewegen, was kann er durchsetzen, was kann er steuern?

    Glos: Wenn es gut läuft, dann haben die Industrie und Wirtschaft alles selber gemacht, und ich freue mich ja darüber, dass es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, dann war der Wirtschaftsminister schuld. Wir kennen diese Arbeitsteilung. Ich glaube, insgesamt muss die Bundesregierung, der Gesetzgeber, das heißt das Parlament, der Bundesrat, richtige Rahmenbedingungen setzen. In diesem richtigen Rahmen bewegt sich die Wirtschaft. Der Wirtschaftsminister hat auf diese Rahmensetzung sehr viel Einfluss.

    Ich darf Ihnen nur ein Beispiel von vielen geben: Heute sind nicht nur die Lohnkosten Kalkulationsfaktoren, die zu Buche schlagen, wir haben sehr viele Bereiche, in denen die Energiekosten eine höhere Rolle spielen als die Lohnkosten. Ich kämpfe um niedrigere Energiepreise in Deutschland und damit in Europa. Davon hängen ja nicht zuletzt auch Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze bei uns ab.

    Irmler: Niedrige Energiepreise setzen aber auch mehr Strom voraus. Es geht ja nicht nur darum, dass man das Kartellgesetz verschärft, wie Sie dies vorhaben, man muss auch das Angebot vergrößern.

    Glos: Das ist ein Teilmarkt, den Sie herausgegriffen haben, der Strommarkt. Aber es geht um den Energiemarkt an sich. Auf dem Strommarkt ist es so, dass wir gerade in der Grundlast noch einen sehr hohen Anteil haben von Kernkraft zum Beispiel, und deswegen die Preise im Griff haben. Wir haben aber auf der anderen Seite zu wenig Wettbewerb. Und hier gibt es den Eindruck, dass Oligopole sehr hohen Einfluss haben auf dem Strommarkt. Deswegen wollen wir in allererster Linie mehr Liquidität im Strommarkt. Wir wollen mehr Erzeugung und mehr Strom im Netz und deswegen einen leichteren Netzzugang, um zu günstigeren Preisen zu kommen, insbesondere für die gewerblichen Verbraucher, aber natürlich auch für alle Einzelverbraucher.

    Die privaten Haushalte haben heute allerdings schon sehr viel mehr Möglichkeiten, als sie nutzen. Ich kann nur jedem empfehlen, wenn ihm sein Stromanbieter zu teuer ist, dass er im Internet oder anderswo nachschaut und sich einen günstigeren raussucht. Wir haben die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass der Wechsel unbürokratisch und kostenfrei vor sich geht.

    Irmler: Nun wechselt man natürlich den Stromanbieter nicht wie seine Joghurtmarke, dies tut man ja auch bei Banken nicht. Deshalb möchte ich Sie noch einmal fragen: Wie stellen Sie sich eine Verschärfung des Kartellrechts vor? Wie ist da der Stand der Dinge?

    Glos: Wir wollen befristet, bis wir den gemeinsamen europäischen Strommarkt und damit mehr Wettbewerb haben, dem Bundeskartellamt mehr Möglichkeiten geben, die Tatsache zu überwachen, dass die Erzeugungskosten für Strom und der Verkaufspreis für Strom nicht zu sehr auseinander klaffen und das mit einer Beweislastumkehr verbinden, indem diejenigen, die sehr hohe Preise nehmen, beweisen müssen, dass dahinter entsprechende Erzeugungskosten stehen.

    Irmler: Kritiker sagen, das würde auf eine faktische Preiskontrolle hinauslaufen.

    Glos: Es ist selbstverständlich, dass in Märkten, in denen nicht genügend Wettbewerb herrscht, und das ist im Strommarkt derzeit nicht der Fall, eine Aufsicht da sein muss, die überwacht, ob die mangelnde Wettbewerbssituation nicht zu sehr zu Lasten der Verbraucher geht.

    Irmler: Die Europäische Kommission versucht, das Problem durch eine Trennung von Produktion und Netzbetrieb zu lösen. Dagegen sind Sie, wenn ich das richtig sehe.

    Glos: Die Europäische Kommission hat jetzt eine Reihe von Vorschlägen gemacht, von der weiteren Nutzung der Kernkraft - man überlässt es allerdings den Mitgliedsländern - bis hin zu einer stärkeren Regulierung und Überwachung, und bis hin zur Tatsache, dass das Eigentum an den Netzen von der Erzeugung von Strom getrennt wird. Ich glaube, wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Der erste Schritt ist, dass wir mit unserem Kartellgesetz, bis es den europäischen Wettbewerb gibt, versuchen, zu maßvolleren Preisgestaltungen zu kommen. Der zweite Schritt ist, dass wir gerade in unserer Ratspräsidentschaft natürlich darauf achten, dass das, was jetzt schon Regelwerk ist, überall eingehalten wird, nämlich die rechtliche Entflechtung. Da sind wir in Deutschland weit fortgeschritten. Andere europäische Länder sind hier nicht so weit.

    Hinzukommt, dass wir eine Art Stromlotsen brauchen, der insbesondere beim grenzüberschreitendem Stromaustausch dafür sorgt, dass die Netze diskriminierungsfrei genutzt werden können, dass es keine Wettbewerbsnachteile gibt für Anbieter, die nicht Eigentümer der Netze sind. Der letzte Schritt, die eigentumsrechtliche Entflechtung, ist etwas, was möglicherweise in weiter Ferne steht. Wir können dies in Deutschland, von der Gesetzgebung her, niemals gegen den Willen der Eigentümer der Netze tun und wollen dies auch nicht. Insofern lohnt es sich nicht, jetzt über diese Frage zu debattieren.

    Irmler: Die Frage der Zerschlagung, wie es ja gerne heißt, steht gar nicht. Man kann sich ja aber durchaus vorstellen, dass man die Netzbetreiber weiter machen lässt, aber eben in einer anderen Rechtsform, durch die Gründung eigener Firmen.

    Glos: Zerschlagung ist ein martialisches Wort. Es geht darum, mehr Wettbewerb zu schaffen. Und mehr Wettbewerb gibt es erst, wenn wir wieder mehr Strom im Netz haben. Und dabei müssen wir auf einen breiten Energiemix achten. Wir haben in Deutschland eine sehr hohe Energieeffizienz. Das ist etwas, worum uns viele beneiden. Wir sind auch fast Weltmeister im Energieeinsparen, wie sind Weltmeister, was die Nutzung regenerativer Energien anbelangt. Wir brauchen diesen breiten Energiemix, aber wir wissen natürlich auch, dass zu dieser guten Situation in Deutschland auch der Strom aus Kernkraft gegenwärtig beiträgt.

    Irmler: Da gibt es ja Streit zwischen Ihnen, also der Union und der SPD. Sie bringen immer wieder eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke ins Gespräch und sogar die Aufkündigung des sogenannten Atomkonsens. Die SPD verweist dagegen auf den Koalitionsvertrag und sagt "mit uns nicht". Ist es nicht eine Form von Provokation, wenn Sie das immer ins Spiel bringen?

    Glos: Nein, überhaupt nicht. Wir haben diese Frage in der Koalitionsvereinbarung offen lassen müssen. Drei Kernkraftbetreiber haben einen Antrag gestellt auf Quoten- oder Mengenübertragungen, was das gleiche ist, von Kernkraftwerken mit längerer Laufzeit auf Kernkraftwerke, die unmittelbar vor der Abschaltung stehen. Diese Unternehmen haben einen Anspruch darauf, dass das nach Recht und Gesetz beschieden wird. Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums, was die Zuständigkeit anbelangt. Eine Entscheidung darüber ist innerhalb der bestehenden Gesetze möglich.

    Die andere Seite ist, Gesetze kann man immer erst verändern, wenn man Mehrheiten im Parlament dafür hat. Eine solche Mehrheit ist gegenwärtig nicht vorhanden. Aber ich muss noch einmal sagen, es gibt kein Land in Europa und in der ganzen Welt, das ein derart rigoroses Ausstiegsgesetz hat wie Deutschland. Dies Gesetz ist gemacht worden, da hat der Barrel Öl 12 bis 15 Dollar gekostet. Inzwischen haben wir eine große Knappheit, obwohl der Preis wieder etwas im Sinken ist.

    Politiker können letztlich immer nur mit der Bevölkerung handeln, und am Jahresanfang haben die Umfragen festgestellt, dass die Energiesicherheit das Thema Nummer Eins ist bei den Menschen in Deutschland. Gleichrangig danach kommt die Umweltbelastung, die durch immer mehr Verbrennung fossiler Energien entsteht. Und im Licht dieser neuen Erkenntnisse kann man von der Politik nicht verlangen, dass sie die Augen schließt und sagt, wir machen einfach so weiter wie bisher. Deshalb finde ich, dass ein Infragestellen solcher Beschlüsse, die unter anderen Voraussetzungen getroffen sind, ein legitimes Anliegen ist.

    Irmler: Wenn Sie in diesem Zusammenhang den Ölpreis erwähnen, stellt sich ihr Kabinettskollege Gabriel hin und sagt, Autos würden schließlich nicht mit Atomstrom fahren.

    Glos: Das ist Unfug. Wir haben einen Energiemarkt, letztlich. Die Zukunft des Autoantriebs liegt bei Wasserstoff und bei ähnlichen Dingen. Dazu wird entsprechend Strom gebraucht. Insofern sind die Zusammenhänge gegeben. Beim Auto können wir über Biosprit beispielsweise weiter helfen, aber Biosprit ist natürlich auch nicht im überreichen Maße verfügbar. Der allermeiste Biosprit, der jetzt durch den Beimischzwang in Deutschland verwendet wird, kommt aus Palmöl, aus anderen Gebieten der Welt, wo es teilweise zu Regenwaldrodungen kommt, um dieses Palmöl zu erzeugen. Gerodete Regenwälder wachsen nie mehr nach. Insofern müssen wir in unserer Umweltpolitik schon ein Stück konsistent sein und dürfen nicht nur ideologische Positionen einzelner Parteien sehen.

    Irmler: Die zweite große Baustelle, Herr Glos, neben dem Energiemarkt, dem Klimaschutz, ist in Deutschland der Arbeitsmarkt. Da muss im Jahr 2007 was passieren. Nun sind sie für Arbeitsmarktpolitik ja nicht direkt zuständig. Aber Sie haben sich verschiedentlich dazu geäußert, zum Beispiel gegen die Vorstellung der SPD, einen Mindestlohn in Deutschland einzuführen. Wenn Sie sich vorstellen, wie viele Menschen in diesem Land, ich sage es vielleicht mal ein bisschen drastisch, mittlerweile unter vorindustriellen Bedingungen arbeiten. Nehmen Sie zum Beispiel die vielen Menschen im Dienstleistungsgewerbe, die outgesourcten Arbeitskräfte. Glauben Sie wirklich, dass man da an der Einführung eines Mindestlohns vorbeikommt?

    Glos: Ja. Ich halte nichts von gesetzlichen Mindestlöhnen. Wir haben ja quasi schon eine Art Mindestlohn über Hartz IV. Wir müssen aufpassen, dass damit nicht Arbeitsplätze aus Deutschland vertrieben werden. Wenn es zu Missbrauch kommt, dass Löhne zu niedrig sind, ist dies heute schon strafbar. Ein gesetzlich eingeführter Mindestlohn würde ungleiche Verhältnisse am regionalen Arbeitsmarkt sogar verstärken. Man kann mit einer Gleichmacherei nicht Ungleichheit beseitigen.

    Mindestlöhne richten sich teilweise auch gegen Frauen. Mindestlöhne richten sich im Grunde immer gegen die Schwächsten, gegen die geringer Qualifizierten, weil sie bei gesetzlichen Mindestlöhnen, die eine hohe Schwelle darstellen, weniger wettbewerbsfähig sind. Wir wollen, dass die beschriebenen Personengruppen Anspruch auf legale Arbeit haben. Außerdem verstärkt ein gesetzlich vorgeschriebener Mindestlohn die Schatten- und Schwarzarbeit.

    Irmler: Was ist die Alternative? Die Einführung eines Kombilohnes, 50 plus, Steuergutschriften? Es gibt ja alles mögliche, was in der Diskussion ist.

    Glos: Es werden ja in einer Arbeitsgruppe vorrübergehende Maßnahmen diskutiert, die sich nur auf bestimmte Gruppen beziehen können. Ansonsten haben wir ein sehr funktionierendes Tarifsystem. Wir sind gut damit gefahren, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihre Organisationen den Preis und die Konditionen für Arbeit in freier Vereinbarung aushandeln.

    Irmler: Herr Glos, ich wollte an dieser Stelle auf die Schwierigkeiten des Regierens in der großen Koalition eingehen. Die Diskussion um Energie, um Kernkraft, die Diskussion um die Einführung von Mindestlöhnen, um den Arbeitsmarkt ist dafür typisch. Es gibt sozusagen einen eingebauten Zwang auch zum faulen Kompromiss, weil die Union auf der einen Seite und SPD auf der anderen Seite von sehr unterschiedlichen Positionen her kommen. Es gibt eine Art Nebenregierung in Gestalt des Koalitionsausschusses und es gibt die Ministerpräsidenten, vorzugsweise die der Union, die immer deutlicher sagen, was sie nicht wollen oder was sie gerade noch bereit sind zu schlucken. Ist die Art des Regierens nicht systemimmanent in dieser politischen Konstellation?

    Glos: Es zwingt natürlich zum sorgfältigen Umgang miteinander. Es zwingt dazu, die Grenzen sehr sorgfältig auszuloten und innerhalb dieser Grenzen Sinnvolles zu tun. Bisher ist diese Koalition ja sehr erfolgreich. Ich glaube, es gibt keinen Grund, am Erfolg zu zweifeln, so lange der gute Wille vorhanden ist. Ich habe nur etwas davor Angst, dass es, je näher Wahlen kommen, immer schwieriger wird, gemeinsame Entscheidungen herbeizuführen. Einerseits müssen sich die beiden Koalitionspartner wieder finden und andererseits die jeweiligen Anhänger. Sie müssen gleichzeitig wissen, wie der Weg gewesen wäre, wenn man selbst eigenständig hätte gestalten können. Ich weiß, dass das eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist über eine Reihe von Jahren.

    Irmler: Woran liegt es, dass die Menschen dies so nicht begreifen, dass die Menschen dies so nicht sehen. Ist es eine Frage der Vermittlung? Sind die Medien schuld?

    Glos: Es liegt natürlich auch ein Stück daran, dass die Wählerinnen und Wähler, auch die Politiker und ich schließe mich gerne ein, darauf nicht vorbereitet waren, dass es nach 40 Jahren wieder eine solche Koalition gibt. 40 Jahre sind in der Politik eine unendlich lange Zeit.

    Irmler: Wenn man den Politikbetrieb von außen betrachtet, könnte man ihn überschreiben: "Die aufgeregte Republik". Herr Steinbrück wünscht sich mehr Augenmaß, auch Frau Merkel hat sich an der einen oder anderen Stelle über Pseudoaufgeregtheiten beklagt.

    Glos: Also, wenn ich die Bocksprünge in der rot-grünen Koalition sehe, haben wir eine Zeit der Ruhe und des Friedens. Dass die Medien natürlich besonders kritisch hinsehen, wenn im Bundestag mehr als eine Zweidrittelmehrheit vorhanden ist der Fraktionen, die regieren, dann finde ich das ganz natürlich. Und auch, dass man die Differenzen immer wieder offen legt, die vorhanden sind. Auch dies gehört dazu.

    Irmler: Herr Steinbrück hat seinen Kollegen empfohlen, öfters mal, wie er es nannte, die Schnauze zu halten. Würden Sie diesen Rat auch weitergeben?

    Glos: Ich finde, da muss man immer mit gutem Beispiel beginnen. Die Kakophonie in der Politik irritiert die Wähler in der Tat. Ich werde oft gefragt, warum innerhalb des Spektrums der Parteien so viele Meinungen nach außen geäußert werden. Dies hängt natürlich auch mit dem vorhandenen Selbstdarstellungsbedürfnis, mit der Eigenart der einzelnen Menschen zusammen. Ich glaube, wir müssen insgesamt über die Funktionsweise der Demokratie aufklären. Aber, wir sind in Deutschland gut gefahren in den letzten Jahrzehnten.

    Irmler: Vielen Dank, Herr Glos.