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Glühwein und Gedichte

Den Spreewald, die einmalige Landschaft im Osten Deutschlands, kennen mittlerweile schon viele – zumindest im Sommer. Doch auch im Winter bietet das Gebiet ein ganz besonderes Flair.

Von Sabine Wuttke |
    "Haben Sie sich eingekuschelt mit den Wärmflaschen? Ja, meine Gäste sind schon rein geklettert in den Kahn und sortieren die Wärmflaschen. Wärmflasche ? Lachen, ach so, nicht drauf setzen, auf den Bauch ist immer gut, ja, wunderbar. Naja, es ist ein bisschen nasskalt. Da sie still sitzen und ich gleich jede Menge Fahrtwind machen werde, schauen Sie, wie viel PS ich habe. Zwei PS stecken in diesen Armen hier, ja."

    Und dann startet Hagen mit unserem Kahn – stakend, mit den versprochenen zwei PS, und erzählend, aber ohne den angedrohten Fahrtwind. Wärmflasche und Decken wärmen außen, für das innere Wohlbefinden sorgen entweder heißer Tee oder Glühwein von Hagens Frau.

    "Dieser Glühwein, den Sie gleich trinken werden, ist nämlich auf Holunderweinbasis. Kosten sie einfach."

    Nicht nur wegen des Holunderglühweins ist diese Fahrt ein ganz besonderes Erlebnis. Es ist die Stille, kein Gegenverkehr von anderen Booten, kein lautes Hallo, nur die Stimme von Hagen und ein Gedicht von Eva Strittmatter.

    Es heißt Dankbarkeit

    "Allmählich lerne ich doch Dankbarkeit.
    Ein Sonnentag entgegen der Zeit
    Ende Januar, septemberlich.
    Nachdem uns seit Wochen Nebel umschlich,
    welch festlicher Morgen
    von Raureif verschönt.
    Das Schilf am Fliesrand knistert und stöhnt.
    Wie die Starre sich löst
    im gläsernen Laut.
    So hoch ist der Himmel von Tiefe erblaut,
    dass das Auge den Raum sucht.
    Bis Sonne es senkt
    Und schmerzhaft den Blick zur Erde verengt.
    Da trifft er den Buntspecht im flammenden Flug
    Der soeben die Nachricht vom Licht übertrug.
    Er schlug derweil im hohen Geäst
    zerblitzten Baumes bleichender Rest
    des Rippe über den Erlenwald starrt .
    Dem Specht wird Antwort
    Schnell, hell und hart
    Licht, Licht, klingt's über den Spreewald dahin
    Und auch die Amsel erhellt unsern Sinn.
    Und singt für einmal entgegen der Zeit
    Und ich erhör's mit Dankbarkeit."


    Die Spree windet sich ursprünglich als ganz normaler Fluss aus dem Ober- Lausitzer Bergland östlich von Dresden bis in die Niederlausitz. Dort, eine Autostunde südlich von Berlin, verliert sie sich in unzähligen Fliesen. Wissenschaftler haben sie gezählt und 1.575 Kilometer gemessen und die Eiszeit vor rund 20.000 Jahren als Urheber für dieses Binnendelta ermittelt. Die Spreewälder, Arno Ballaschk zum Beispiel, haben dafür eine andere Erklärung.

    "Der Teufel war beim Pflügen, und die Ochsen gingen nicht schnell genug. Der hat sie immer wieder angespornt, da sind ihm die Ochsen durchgegangen und haben kreuz und quer den Spreewald durchgepflügt. Und dadurch haben wir die vielen Fliese hier im Spreewald."

    Die Wasser-Straßen waren und zum Teil noch sind. Die Briefträgerin zum Beispiel kommt noch heute mit dem Kahn, die Feuerwehr hat einen Kahnschuppen, die Bauern türmen ihr Heu von den Wiesen in Kähnen auf und staken es in den Hof. Daneben wurden inzwischen aber auch Landstraßen gebaut. Für Alteingesessen ist der Kahn aber ein Stück ihres Lebens. Für den 81-Jährigen Fritz zum Beispiel, dem Hagen so gern seinen alten Holzkahn abgekauft hätte. Der aber will sich von ihm nicht trennen:

    "Junge, als du hierher kamst, kamst du mit dem Auto. Als wir hierher kamen – ohne Kahn ging hier gar nichts. Und du kriegst diesen, unseren letzten Kahn nicht. Da wusste ich, das ist für die Menschen einfach auch ein Gefühl. Der Kahn gehört dazu. Er ist immer noch im Herzen der Menschen lebensnotwendig."

    Seit 1991 ist der Spreewald als Unesco-Biosphärenreservat ausgezeichnet. Der Titel verpflichtet die Bewohner, die Natur zu bewahren, den Spreewald zu pflegen. Die Esche ist darin eine der wichtigsten Baumarten

    "Da rechts über uns, diese schwarzen Zapfen der Erle, diese Kullern da. Stellen Sie sich vor, von diesem Ast da, wie viel werden dran hängen, vielleicht 400. Die 400 von diesem einen Ast fallen ins Wasser. Und Hochwasser trägt sie auf die Wiese. Und dieses Hochwasser steht dort manchmal sechs Wochen lang. Und wenn es sich langsam zurück zieht, und diese Zapfen bleiben wie gesät an einer Stelle liegen. Das heißt, wenn die keimen, dann keimen vielleicht 40 Bäumchen pro Quadratmeter. Und die wollen alle gleichzeitig groß werden, das heißt, die streben nach dem Licht und wachsen kerzengerade nach oben. Vielleicht bleiben auf zehn Quadratmeter drei Bäume übrig. So dicht stehende Erlen, das nennen wir dann Spreewald."

    Hagen erzählt weiter, von den ersten Bewohnern. Das waren Sorben und

    "... Fischer. Und deshalb: Fisch gilt hier als Nummer Eins. Hecht, Zander, Aal, Schleie, vielleicht noch Karpfen, Wels, die Quappe kommt wieder, ein stromauf wandernder Fisch. Laut meinem Großvater der beste Speisefisch, den man hier fangen konnte oder wieder fangen kann."

    Insgesamt 36 verschiedene Fische wurden in den Fliesen schon gefangen. Das Wasser, die Sümpfe, das Schilf, die Wiesen sind Lebensraum für Muscheln, Libellen, Schwarz- und Weißstörche, aber auch Wildschweine, Rehe.

    "Wir haben jetzt im Winter vielmehr Tierbeobachtungen, weil einfach weniger Betrieb auf dem Wasser und auch hier – schauen Sie hier links ein Radwanderweg – auf unseren Wegen ist."

    "Schauen Sie mal die Uferkanten jetzt rechts und links. Hier ist ein Wildwechsel, sieht man ganz deutlich. Und wenn Sie links gucken, ich wette, hier ist heute schon einer durch. Sehen Sie, wie das da abgerutscht ist. Die Rehe, würde ich mal beschuldigen, haben das Ufer hier zertreten."
    Keine fünf Minuten später sind sie zu sehen ...

    "Da, schauen Sie, da stehen sie, 20 Meter weg. Schade, nehmen Reißaus."

    Wir fahren weiter – leicht bergab, obwohl es doch ganz flach zu sein scheint. Aber auf 40 Kilometer kommen, so rechnet Hagen, immerhin sieben Meter Gefälle. Auch Hügel gibt es im Spreewald

    "Bei uns heißen diese Hügelchen Kaupen. Kupa hat der Sorbe gesagt, der Wende, Kupska. Ich dachte immer, das heißt Kuppe. Nein, eigentlich heißt es Insel."

    "Ich wohne auch auf so einer Kaupe. Für die Siedler war das ganz wichtig, um Hochwasserschutz zu haben. Dass wahrscheinlich da rechts dieser wunderschöne Stall auch höher steht auf einer Kaupe, sie würden es dann sehen, wenn Hochwasser wäre. Dann würde das, auch, wenn es nur 20 Zentimeter höher gelegen ist, dann würde das als Insel raus gucken."

    Hagen erzählt noch vom Schlangenkönig, der die Giebel vieler Häuser im Spreewald schmückt, von den Lutkis, den Zwergen, die in der Dunkelheit sogar bärenstarke Männer erschrecken, von den Brücken, die gleichzeitig Bänke sind. Doch nach rund anderthalb Stunden wärmt die Wärmflasche nicht mehr, sind Tee und Glühwein ausgetrunken, die Wangen der Fahrgäste leicht gerötet. Nicht eingefroren, sondern ganz im Gegenteil fröhlich aufgetaut, beenden sie die winterliche Kahnfahrt :

    "Der letzte Rest Glühwein – und wir bedanken uns recht herzlich beim Hagen. Es war wirklich Spitze!"

    Und noch etwas haben wir mitgenommen - ein Stück Seele vom Spreewald.