
"Ich glaube, dass die Mücke Camptopterohelea odora schon zu meinen tollsten Funden gehört, weil das einfach sowas einzigartiges ist, sowas total unerwartetes."
Frauke Stebner ist Doktorandin der Paläontologie an der Universität Bonn. Ihr Spezialgebiet sind fossile Mücken, die seit circa 52 Millionen Jahren in Bernstein konserviert sind.
Frauke Stebners Lieblingsexemplar ist die Mücke Camptopterohelea odora. Eine neu entdeckte Spezies mit einem besonderen Kommunikationsorgan. Sie stammt aus Indien. Dort, wo vor 52 Millionen Jahren tropische Regenwälder die Erde bedeckten, reißen heute Bagger den Boden auf:
"Das sind riesige Löcher im Boden. Mit Baggern und LKWs, die tonnenweise die Kohle rausfahren. Und wir gehen mit unserem Team in diese Kohlegruben und holen dann eben mit Hammer und Meißel den Bernstein aus den Wänden."
Die bernsteinreichen Schichten laufen wie Adern durch die Kohle. Man braucht ein geübtes Auge, um die schwarz verkrusteten Steinbrocken in der Kohle zu finden. Ob der Bernstein überhaupt Insekten enthält, weiß man aber erst nach einer aufwendigen Präparation. Frauke Stebner ist deshalb schon lange zurück in Bonn, als sie unter ihrem Mikroskop eine erstaunliche Entdeckung macht:
"Ja, es war merkwürdig, und am Anfang wussten wir gar nicht, worum es sich handelt. Aber dass es eine Diptere, ein Zweiflügler ist, eine Mücke, war recht schnell klar."
Genauer: eine weibliche Gnitze, ein winziger Blutsauger von ein bis zwei Millimeter Körpermaß. Die Nachfahren dieser Mückengattung sind auch heute noch weit verbreitet:
"Im Großen und Ganzen hat sich das Erscheinungsbild so einer Mücke nicht verändert, von vor 52 Millionen Jahren bis heute."
Fossile Gnitze hatte Geflügeltasche für Duftstoffe
Doch etwas ist ungewöhnlich an der Bernstein-Mücke: Am vorderen Flügelrand entdeckt Frauke Stebner eine halbkugelförmige Tasche mit einem kleinen Deckelchen. Fast wie ein aufgeschnittener Fußball:
"Ich habe dann die Gnitze auf mehreren Tagungen vorgestellt und immer wieder die Frage in den Raum geworfen: Kann sich jemand vorstellen, wozu das gut sein könnte? Und so nach und nach sind wir dann auch auf Leute getroffen, die meinten, diese Struktur kenne ich von Schmetterlingsmücken oder eben diesem oder jenem Schmetterling."
Bei diesen Insekten dienen die Flügeltaschen der Kommunikation über Duftstoffe. Beim Fliegen öffnen sich die Taschen und versprühen die Düfte. Auch manche moderne Gnitzen nutzen Duftstoffe zur Kommunikation. Bei den nächsten Nachfahren der fossilen Bernstein-Mücke sind allerdings lediglich ein paar verdickte Äderchen am Flügel sichtbar:
"Für mich wäre es das Einleuchtenste zu sagen, dass das, was wir heute noch haben, diese etwas verdickten Flügeladern der Ursprungszustand sind und dass sich damals eben in Indien vor 52 Millionen Jahren daraus diese hochkomplexe Struktur entwickelt hat."
Und dann ging sie wieder verloren. Das könnte mehrere Gründe haben. Möglich wäre, dass es damals mehr Insekten gab und die kleine Gnitze mit ihren Duftstoffen gegen ein ganzes Arsenal von Gerüchen ankämpfen musste. Es brauchte ein ausgefeiltes System, um sich durchzusetzen. Als die Insektenvielfalt über die Jahrmillionen dann abnahm, war die Flügeltasche vielleicht zu unpraktisch, um in der Evolution zu bestehen:
"Also ich kann mir gut vorstellen, dass das zum Fliegen nicht die beste Struktur ist. Das heißt, dass diese Mücken keine großen Strecken zurückgelegt haben mit diesen Flügeltaschen. Das ist durchaus möglich und wahrscheinlich."
Um ihre Hypothesen zu bestätigen möchte Frauke Stebner als nächstes die Flügeläderchen der modernen Gnitzen näher untersuchen. Und vielleicht verbirgt sich in Indiens Kohlegruben ja auch noch der ein oder andere Verwandte der Bernsteinmücke.