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Godards "Chinesin" kommt auf die Theaterbühne

Die jungen Studenten, die in Paris eine unterirdische Widerstandszelle gründen, werden auf der Bühne von einem achtköpfigen Ensemble gespielt. Als Vorlage der Inszenierung diente der Film von Jean-Luc Godard aus dem Jahre 1968. Dimiter Gotscheff weitet den geschichtlichen Horizont bis in unsere heutige Zeit aus.

Von Eberhard Spreng |
    Gelb, rot, blau, drei reine Grundfarben beherrschen die Bühne und die Kostüme: Auf der leeren Drehbühne sind gelbe Tücher zwischen Stäbe gespannt, später werden rote dazukommen: Blau sind die Kostüme einiger Akteure. Die drei Grundfarben, so heißt es in Godards Film, enthielten schon idealtypisch in sich alle anderen. Von dem popigen, aus Bildern von Comicfiguren, diversen Handlungssträngen und farbigen Textzeilen zusammen kollagierten Film, bleiben auf Mark Lammerts Bühne allerdings nur noch die leeren Hüllen. Wie Transparenten einer Demonstration, der die Slogans ausgegangen sind. Wo Godard fünf junge Studenten in einer Pariser Wohnung für eine politisch-künstlerische Versuchsanordnung quasi einsperrte und immer auch ihre gesellschaftliche Isolierung kenntlich machte, werden deren Überlegungen hier in den offenen, leeren Raum gestellt. Wo Godards junge Schauspieler noch Figuren verkörperten, über deren Biografie man etwas erfuhr und in die außerdem literarische Vorbilder eingegangen waren- von Dostojewskis "Dämonen" bis zu Goethes Wilhelm Meister theatralische Sendung - sind hier geschichtslose Akteure am Werk, die Figuren nicht mehr verkörpern, sondern nur noch Texte von sich geben, in einem Oratorium mit Terroristenjargon.

    Zweitens. Dieser Mord ist nur der Anfang einer langen Serie, einer langen Kette von Anschlägen. Von heute an wird mit Gewalt auf die kulturelle Unterdrückung geantwortet, die die Regierung mutwillig über die französischen Universitäten gebracht hat.

    Wenn sich das achtköpfige Ensemble nicht in grotesken Persiflagen über die Kraftmeiereien lustig macht, mit denen die jungen Intellektuellen und Möchtegern-Anarchisten das Bombenwerfen schön reden, dann stehen sie für Monologe auf der Bühne: Verstreute Texte des berühmten Filmkünstlers. Ein zentraler Dialog, in dem die junge Véronique gegen Ende des Films mit dem Philosophen Francis Jeanson über ihre terroristischen Pläne spricht und dieser ihr den Unsinn eines solchen einsamen Kleingruppen-Projekts erklärt, kommt hier gleich zu Beginn aus dem off. Wenn das Theater die Polit-Phrasen und den Film hinter sich lässt und aufs Private zu sprechen kommt, wird ein großes blaues Tuch aus dem Bühnenturm herabgelassen, das für Augenblicke wie ein Himmel erscheint, eine vorübergehende Perspektive. Aber dann sinkt es auf den Boden und wird zusammen mit den roten und gelben Stoffbahnen zu einem Bündel zusammengeworfen und weggeschafft. Mit den Farben schwindet die Hoffnung. Gotscheff und Lammert sind mit ihren Bildern am Ende.

    Godard hatte eine historische Momentaufnahme vorgeführt, die man mit Recht prophetisch genannt hat, mit all dem Pop, den Phrasen, Vietnam-Diskursen und Polit-Moden der damaligen Zeit, deren Akteure sich ihr Subjekt nur als revolutionäres denken wollten. Dimiter Gotscheff weitet den geschichtlichen Horizont bis in unsere heutige Zeit und nimmt dazu Textfetzen anderer Godard-Filme für eine deprimierende Revue über Menschheitszustände zu Hilfe: Vom hohlen politischen Aufbruch über die Hoffnung auf Liebe, Zärtlichkeit und Privatheit bis zum Protokoll einer pornografischer Langeweile. Bis endlich Max Hopp in einem sich langsam steigernden Monolog vom Scheitern der Sprache spricht und vom Triumph des Lebens. Dieses aber fasst das Theater anders als der Film und ohne die Brüche, Kollagen und Schnitte zumal der Godardschen Filmsprache. Bei Gotscheff gerät man so auch nicht in irgendwelche Fallen, ist nicht mit bösen Doppeldeutigkeiten konfrontiert oder erkennt überraschende Parallelen. Am Ende macht Wolfram Koch dem Ganzen mit dem lakonischen Bericht eines alt-ägyptischen Sprachexperiments ein Ende, der schon in Godards "Chinesin" die maoistischen Diskurse der jungen Leute diskreditiert hatte. Ein Schafblöken tritt an die Stelle der Worte. Bei der so genannten Übermalung sind aus der Vorlage vor allem die Godardschen-Texte durchgeschlagen, die Bilder dagegen haben sich in eine luftige Tändelei mit farbigen Tüchern verwandelt und das ist eindeutig etwas zu harmlos.