Dina Netz: Der Theaterregisseur Tilmann Köhler ist Jahrgang 1979, also gerade mal mehr oder weniger 30, und die Theater reißen sich bereits um ihn. Er war bis zum Ende dieser gerade abgelaufenen Spielzeit Hausregisseur am Nationaltheater in Weimar, wo er zu einem Shootingstar unter jungen deutschen Theaterregisseuren wurde. Nach der Sommerpause fängt Köhler nun als Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden an. Seine Inszenierungen sind meist sehr politisch, sie setzen sich oft mit Machtstrukturen auseinander. Zuletzt hat Tilmann Köhler am Berliner Maxim Gorki Theater Büchners "Woyzeck" auf die Bühne gebracht. In Köhlers Sicht missbrauchen darin Ärzte und Armee einen Außenseiter zu wissenschaftlichen Experimenten. Und mit dem Maxim Gorki Theater hat Tilmann Köhler gestern auch ein anderes Projekt zur Aufführung gebracht: "Haut aus Gold - Pele de Ouro" heißt es, und Regisseur Köhler hat sich dafür mit der deutschen Dramatikerin Tine Rahel Völcker, dem brasilianischen Autor Alexandre Dal Farra und dessen brasilianischer Straßentheatergruppe aus São Paulo zusammengetan. Brasilianer und Deutsche setzen sich darin jeweils mit dem Medea-Mythos auseinander, und den Rest, den soll mir jetzt Michael Laages erzählen, der war nämlich gestern bei der Präsentation im Maxim Gorki Theater dabei. Herr Laages, was gibt es da denn nun zu sehen?
Michael Laages: Zwei Teile, einen Text von Alexandre Dal Farra, das ist der Erste, der sich quasi mit dem ersten Teil der Medea-Erzählung beschäftigt, also der Suche nach dem Goldenen Vlies. Das ist auch ziemlich wörtlich übersetzt, "Haut aus Gold". Sie wissen, dieses Vlies erweist sich gegen Ende der Medea-Erzählung nicht nur als golden, sondern auch als feurig und tödlich. Und im zweiten Teil ein Text von Tine Rahel Völcker, die das Medea-Material benutzen will, um elf Szenen über den Kolonialismus zu erzählen. Und wie Hans Henny Jahnn hat sie dann auch entdeckt, dass diese Medea eigentlich eine Schwarze ist, und das ist für die Auseinandersetzung mit dem Mythos in dem Fall ganz entscheidend. Es gibt natürlich Farbige, also Mulatos, in dieser Inszenierung, schwarze Brasilianer beziehungsweise da sind ja unglaubliche Farbmischungen möglich in Brasilien. Und insofern ist das Material dieser schwarzen Medea dann auch sehr angemessen für diese Auseinandersetzung. Das ist ein purer Luxus, diese Veranstaltung, nicht die Veranstaltung gestern, sondern das Projekt insgesamt. Da hat das Goethe-Institut und hat die Bundeskulturstiftung einem jungen Regisseur, eben diesem viel gelobten und allseits begehrten Tilmann Köhler quasi Carte blanche gegeben, um mit brasilianischen Schauspielern - es ist weniger eine Straßen- als vielmehr eine freie Theatergruppe, die durchaus in normalen Theatern in São Paulo spielt, von Alexandre Dal Farra -, mit denen allen zusammen ein Projekt über drei Jahre hinzuziehen, das heißt eigentlich so Bedingungen wie Robert Wilson. Man kann sich irgendwie alle Jahre wieder mal treffen und das Projekt ein bisschen vorantreiben, dann aber auch konzentriert auf eine Aufführung irgendwann hin, die erste in São Paulo und dann in Deutschland stattfinden wird, möglicherweise am Maxim Gorki Theater, möglicherweise auch in Dresden, wo Tilmann Köhler dann sein wird. Und in diesen Projektabschnitten wird dann mehr oder weniger zielgerichtet gearbeitet. Der erste Projektabschnitt fand in São Paulo statt und war vor allen Dingen eher ein Körpertraining, eher eine Suche, wie kann man ohne Sprache zwischen Brasilianern und deutschen Schauspielern miteinander umgehen. Die Berliner Probenphase der letzten sechs Wochen war nun eine, in der die Autoren - Dal Farra selber mit seinem Teil und Tine Rahel Völcker mit ihrem Teil - eher im Mittelpunkt standen und eher ausprobiert wurde, wie kriegt man es denn hin, dass man mit Menschen, die sehr verschiedene Sprachen sprechen und die andere häufig auch gar nicht genau verstehen, trotzdem eine gemeinsame Sprache zu finden, also mit Übersetzungen, mit Annäherungen, mit diesem Spiel, dass man in Deutschland immer deutsch reden muss, damit man endlich mal verstanden wird. Also all das ist drin, auch diese Grenzgängereien zwischen den Sprachen, und insofern ist es ein prozesshafter Zustand. Und das war ja auch gestern keine Premiere, sondern sozusagen eine Präsentation, was sie in diesen letzten sechs Wochen hier in Deutschland alles so zustande gebracht haben.
Netz: Herr Laages, wie gucken denn nun die Brasilianer auf Deutschland und wie gucken die deutschen Beteiligten auf Brasilien? Also es ging ja darum, dass man die Perspektive aufeinander einnimmt und auch infrage stellt.
Laages: Ich glaube, da sind sie schon ziemlich weit, indem sie sich von diesen Blicken von außen auf Deutschland fast schon entfernt haben und zu so einer gemeinsamen Projektsprache gefunden haben. Es gibt zwar in dem Text von Dal Farra so ironische Touristenszenen aus Deutschland, und es gibt im Völcker-Text sozusagen die Vorstellung vom Rassismus einer deutschen Industrievertreterin, die sich eine schwarze Haushälterin in São Paulo hält, aber - und ich vermute stark, das wird sich noch verstärken in den kommenden Projektphasen - diese dauernde Fremdheit wird eher ein Randproblem bleiben. Ich glaube, sie werden sich gemeinsam auf einen Ton einrichten, der diesem Medea-Material, wo das ja alles schon drinsteckt, wo man es nicht extra für erfinden muss, dann gerecht werden wird. Ich habe den Eindruck gewonnen gestern, von der Bindung an Brasilien und an Deutschland sozusagen als Ursprung der eigenen Kultur sind diese jungen Schauspieler schon ziemlich weit weggekommen.
Netz: Hat das vielleicht damit zu tun - Sie haben es ja gerade erklärt -, dass es eben nicht so ein Sommerkurs ist, wo eine Gruppe von Schauspielern aus Brasilien und aus Deutschland mal für ein paar Wochen zusammenkommen, sondern dass es eben so ein auf drei Jahre angelegtes Projekt ist, also merkt man dem das an oder ist das nur nett für die Beteiligten, dass sie so lange Zeit haben?
Laages: Das ist es sicher auch, aber ich glaube, das ist die wirkliche Qualität und das, was man als eine Nachhaltigkeit so eines Projektes, was ja, wie schon gesagt, purer Luxus und ohne Goethe gar nicht möglich wäre, dass man hinkriegt, tatsächlich sich von den Klischees und den Zwanghaftigkeiten des eigenen Blicks aufs Fremde befreien kann und dann tatsächlich zu einer Sprache zu finden, die in beiden Ländern gleich verstanden werden kann, ohne dass man immer sozusagen das Wörterbuch dabeihaben muss.
Netz: Vielen Dank! Das war Michael Laages über das deutsch-brasilianische Kulturprojekt "Haus aus Gold" am Berliner Maxim Gorki Theater. Heute ist übrigens die zweite Aufführung, Präsentation, wie man diesen Zwischenstand auch immer nennen will.
Michael Laages: Zwei Teile, einen Text von Alexandre Dal Farra, das ist der Erste, der sich quasi mit dem ersten Teil der Medea-Erzählung beschäftigt, also der Suche nach dem Goldenen Vlies. Das ist auch ziemlich wörtlich übersetzt, "Haut aus Gold". Sie wissen, dieses Vlies erweist sich gegen Ende der Medea-Erzählung nicht nur als golden, sondern auch als feurig und tödlich. Und im zweiten Teil ein Text von Tine Rahel Völcker, die das Medea-Material benutzen will, um elf Szenen über den Kolonialismus zu erzählen. Und wie Hans Henny Jahnn hat sie dann auch entdeckt, dass diese Medea eigentlich eine Schwarze ist, und das ist für die Auseinandersetzung mit dem Mythos in dem Fall ganz entscheidend. Es gibt natürlich Farbige, also Mulatos, in dieser Inszenierung, schwarze Brasilianer beziehungsweise da sind ja unglaubliche Farbmischungen möglich in Brasilien. Und insofern ist das Material dieser schwarzen Medea dann auch sehr angemessen für diese Auseinandersetzung. Das ist ein purer Luxus, diese Veranstaltung, nicht die Veranstaltung gestern, sondern das Projekt insgesamt. Da hat das Goethe-Institut und hat die Bundeskulturstiftung einem jungen Regisseur, eben diesem viel gelobten und allseits begehrten Tilmann Köhler quasi Carte blanche gegeben, um mit brasilianischen Schauspielern - es ist weniger eine Straßen- als vielmehr eine freie Theatergruppe, die durchaus in normalen Theatern in São Paulo spielt, von Alexandre Dal Farra -, mit denen allen zusammen ein Projekt über drei Jahre hinzuziehen, das heißt eigentlich so Bedingungen wie Robert Wilson. Man kann sich irgendwie alle Jahre wieder mal treffen und das Projekt ein bisschen vorantreiben, dann aber auch konzentriert auf eine Aufführung irgendwann hin, die erste in São Paulo und dann in Deutschland stattfinden wird, möglicherweise am Maxim Gorki Theater, möglicherweise auch in Dresden, wo Tilmann Köhler dann sein wird. Und in diesen Projektabschnitten wird dann mehr oder weniger zielgerichtet gearbeitet. Der erste Projektabschnitt fand in São Paulo statt und war vor allen Dingen eher ein Körpertraining, eher eine Suche, wie kann man ohne Sprache zwischen Brasilianern und deutschen Schauspielern miteinander umgehen. Die Berliner Probenphase der letzten sechs Wochen war nun eine, in der die Autoren - Dal Farra selber mit seinem Teil und Tine Rahel Völcker mit ihrem Teil - eher im Mittelpunkt standen und eher ausprobiert wurde, wie kriegt man es denn hin, dass man mit Menschen, die sehr verschiedene Sprachen sprechen und die andere häufig auch gar nicht genau verstehen, trotzdem eine gemeinsame Sprache zu finden, also mit Übersetzungen, mit Annäherungen, mit diesem Spiel, dass man in Deutschland immer deutsch reden muss, damit man endlich mal verstanden wird. Also all das ist drin, auch diese Grenzgängereien zwischen den Sprachen, und insofern ist es ein prozesshafter Zustand. Und das war ja auch gestern keine Premiere, sondern sozusagen eine Präsentation, was sie in diesen letzten sechs Wochen hier in Deutschland alles so zustande gebracht haben.
Netz: Herr Laages, wie gucken denn nun die Brasilianer auf Deutschland und wie gucken die deutschen Beteiligten auf Brasilien? Also es ging ja darum, dass man die Perspektive aufeinander einnimmt und auch infrage stellt.
Laages: Ich glaube, da sind sie schon ziemlich weit, indem sie sich von diesen Blicken von außen auf Deutschland fast schon entfernt haben und zu so einer gemeinsamen Projektsprache gefunden haben. Es gibt zwar in dem Text von Dal Farra so ironische Touristenszenen aus Deutschland, und es gibt im Völcker-Text sozusagen die Vorstellung vom Rassismus einer deutschen Industrievertreterin, die sich eine schwarze Haushälterin in São Paulo hält, aber - und ich vermute stark, das wird sich noch verstärken in den kommenden Projektphasen - diese dauernde Fremdheit wird eher ein Randproblem bleiben. Ich glaube, sie werden sich gemeinsam auf einen Ton einrichten, der diesem Medea-Material, wo das ja alles schon drinsteckt, wo man es nicht extra für erfinden muss, dann gerecht werden wird. Ich habe den Eindruck gewonnen gestern, von der Bindung an Brasilien und an Deutschland sozusagen als Ursprung der eigenen Kultur sind diese jungen Schauspieler schon ziemlich weit weggekommen.
Netz: Hat das vielleicht damit zu tun - Sie haben es ja gerade erklärt -, dass es eben nicht so ein Sommerkurs ist, wo eine Gruppe von Schauspielern aus Brasilien und aus Deutschland mal für ein paar Wochen zusammenkommen, sondern dass es eben so ein auf drei Jahre angelegtes Projekt ist, also merkt man dem das an oder ist das nur nett für die Beteiligten, dass sie so lange Zeit haben?
Laages: Das ist es sicher auch, aber ich glaube, das ist die wirkliche Qualität und das, was man als eine Nachhaltigkeit so eines Projektes, was ja, wie schon gesagt, purer Luxus und ohne Goethe gar nicht möglich wäre, dass man hinkriegt, tatsächlich sich von den Klischees und den Zwanghaftigkeiten des eigenen Blicks aufs Fremde befreien kann und dann tatsächlich zu einer Sprache zu finden, die in beiden Ländern gleich verstanden werden kann, ohne dass man immer sozusagen das Wörterbuch dabeihaben muss.
Netz: Vielen Dank! Das war Michael Laages über das deutsch-brasilianische Kulturprojekt "Haus aus Gold" am Berliner Maxim Gorki Theater. Heute ist übrigens die zweite Aufführung, Präsentation, wie man diesen Zwischenstand auch immer nennen will.