Doch da gibt es noch den Dichter und Verleger Anton G. Leitner, der sich mit solchen Säkularisierungen nicht abfinden will. Seit jeher hat Leitner ja die Herausgabe seiner 1993 begründeten Lyrik-Zeitschrift Das Gedicht mit einem gewissen missionarischen Sendungsbewusstsein betrieben. Mit leichter Hand fegt er nun im neuen Heft, der aktuellen Nummer 9 des Gedichts, ein Jahrhundert religionskritischer Aufklärung hinweg und verkündet auf dem Cover seiner Zeitschrift mit dröhnendem Pathos: "Göttlicher Schein - Heilige Gedichte". Seine etwas großspurige Ankündigung unterfüttert er auch gleich mit päpstlicher Autorität. Denn das "Gedicht" enthält einen sensationellen Fund. Der erste Text im Heft entpuppt sich als lyrisches Gotteslob des jungen Karol Woytila, das der spätere Papst nach der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht im September 1939 verfasst hatte. Das Gedicht des Papstes beschwört die "Musik" der Schöpfung mit einem Seitenblick auf den tragischen Philosophen Nietzsche, der am Ende seiner Sinnsuche einen - wie es hier in einer Anspielung heißt - "verschwitzten Pferdehals" umarmte.
Der hymnische Ton Karol Woytilas bleibt im Heft jedoch die absolute Ausnahme. Bei den übrigen sechzig Gedicht-Autoren, angeführt von Kurt Marti und Friederike Mayröcker, dominieren ambivalente Haltungen: Mit vorsichtiger Skepsis, bitterem Agnostizismus oder aber frivoler Blasphemie kommentiert man die Mythen und Ikonographien der christlichen Religion. Den Raum zwischen "Himmel und Hölle" vermisst Oskar Pastior mit einer für ihn typischen Buchstaben-Statistik; Herbert Rosendorfer und Dieter M. Gräf kultivieren dagegen lieber die Lust an drastischer Blasphemie, die sich mit donnernden Pointen munitioniert: "Der Gott, der Eisen wachsen ließ,/ war wohl ein Arsch mit Ohren, / der hat im Kopf nur feinen Grieß,/ das Hirn schon längst verloren." Von solchen vereinzelten Effekthaschereien einmal abgesehen, ist die Lektüre der oft unheiligen "Heiligen Gedichte" sehr lehrreich. Auch wenn man den Selbstinszenierungen des Gedicht-Herausgebers reserviert gegenübersteht, muss man ihn doch loben für die großartigen Beispiele lyrischer Religionskritik, die er in seinem Heft gesammelt hat. Allein schon Friederike Mayröckers "tempelhüpfen", ein poetischer Dialog mit dem kürzlich verstorbenen walisischen Dichter R. S. Thomas, und Henning Ziebritzkis kluger Essay zum Verhältnis von Poesie und Religion machen dieses Gedicht-Heft zur Pflichtlektüre.
Der hymnische Ton Karol Woytilas bleibt im Heft jedoch die absolute Ausnahme. Bei den übrigen sechzig Gedicht-Autoren, angeführt von Kurt Marti und Friederike Mayröcker, dominieren ambivalente Haltungen: Mit vorsichtiger Skepsis, bitterem Agnostizismus oder aber frivoler Blasphemie kommentiert man die Mythen und Ikonographien der christlichen Religion. Den Raum zwischen "Himmel und Hölle" vermisst Oskar Pastior mit einer für ihn typischen Buchstaben-Statistik; Herbert Rosendorfer und Dieter M. Gräf kultivieren dagegen lieber die Lust an drastischer Blasphemie, die sich mit donnernden Pointen munitioniert: "Der Gott, der Eisen wachsen ließ,/ war wohl ein Arsch mit Ohren, / der hat im Kopf nur feinen Grieß,/ das Hirn schon längst verloren." Von solchen vereinzelten Effekthaschereien einmal abgesehen, ist die Lektüre der oft unheiligen "Heiligen Gedichte" sehr lehrreich. Auch wenn man den Selbstinszenierungen des Gedicht-Herausgebers reserviert gegenübersteht, muss man ihn doch loben für die großartigen Beispiele lyrischer Religionskritik, die er in seinem Heft gesammelt hat. Allein schon Friederike Mayröckers "tempelhüpfen", ein poetischer Dialog mit dem kürzlich verstorbenen walisischen Dichter R. S. Thomas, und Henning Ziebritzkis kluger Essay zum Verhältnis von Poesie und Religion machen dieses Gedicht-Heft zur Pflichtlektüre.