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“Goldener Reis”

Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern derzeit weltweit rund 800 Millionen Menschen, eine Zahl, die schier unvorstellbar groß ist. Betroffen sind vor allem die Bewohner von Entwicklungsländern und hier in erster Linie aus Afrika und Asien. Reis ist für diese Menschen das wichtigste und oft auch das einzige Nahrungsmittel. Aus diesem Grund sind in diesen Ländern Mangelerkrankungen an der Tagesordnung. Der sogenannte "goldene Reis", über den schon seit Jahren diskutiert wird, verspricht hier einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Hunger und Krankheit. Dieser goldene Reis ist gentechnisch verändert und hat deshalb zusätzliche Ernährungseigenschaften, die im herkömmlichen Reis nicht zu finden sind. Doch kann diese Idee auch in der Praxis die hohen Erwartungen erfüllen ? Claudia Ruby hat sich auf den Philippinen, einem der zehntgrößten Reis-Anbauländer der Welt, erkundigt.

von: Claudia Ruby |
    Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern derzeit weltweit rund 800 Millionen Menschen, eine Zahl, die schier unvorstellbar groß ist. Betroffen sind vor allem die Bewohner von Entwicklungsländern und hier in erster Linie aus Afrika und Asien. Reis ist für diese Menschen das wichtigste und oft auch das einzige Nahrungsmittel. Aus diesem Grund sind in diesen Ländern Mangelerkrankungen an der Tagesordnung. Der sogenannte "goldene Reis", über den schon seit Jahren diskutiert wird, verspricht hier einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Hunger und Krankheit. Dieser goldene Reis ist gentechnisch verändert und hat deshalb zusätzliche Ernährungseigenschaften, die im herkömmlichen Reis nicht zu finden sind. Doch kann diese Idee auch in der Praxis die hohen Erwartungen erfüllen ? Claudia Ruby hat sich auf den Philippinen, einem der zehntgrößten Reis-Anbauländer der Welt, erkundigt.

    Den Namen trägt der Goldene Reis wegen seiner Farbe. Die eigentliche Besonderheit aber sind drei eingeschleuste Gene – zwei stammen von der Osterglocke, eins von einem Bakterium. Sie sorgen dafür, dass der Reis Beta-Karotin produziert, die Vorstufe von Vitamin A. Für Wissenschaftler wie Duncan Macintosh vom Internationalen Reisforschungsinstitut IRRI auf den Philippinen ist der Goldene Reis die Wunderwaffe gegen Vitamin-A-Mangel. Jedes Jahr sterben daran bis zu zwei Millionen Kinder, 500.000 erblinden.

    Der Goldene Reis ist nur ein kleines Beispiel für eine viel größere Idee. Reis eignet sich hervorragend, weil die Armen dieser Welt alles tun, um regelmäßig Reis zu essen. Und wenn sie nur in den Straßen von Indien ein paar Körner aus dem Abfall klauben. Das erste Geld, dass sie bekommen: Was werden sie davon kaufen? Keinen Apfel, kein Stück Fleisch, sondern etwas Reis. Warum also sollten wir Reis nicht nutzen, um ihn zum Beispiel mit Vitamin A anzureichern?

    Was manche Wissenschaftler als Wunderwaffe feiern, kritisieren Umwelt- und Entwicklungsorganisationen als Teufelsfraß. Der Goldene Reis ist ein Trojanisches Pferd, sagt zum Beispiel Neth Dano von der philippinischen Umweltorganisation Searice. Es gehe darum, die Gentechnik endlich doch auf die Felder zu bringen. Dabei sei es völlig unklar, ob der Goldene Reis die hohen Erwartungen überhaupt erfüllen kann.

    Für uns ist es eine Schmalspurlösung für ein äußerst komplexes Problem. Mangelernährung liegt eben nicht nur daran, dass es kein Gemüse gibt. Es ist viel komplizierter. Es hat mit Landlosigkeit zu tun, mit Armut und fehlendem Zugang zu Ressourcen. Auf den Philippinen zum Beispiel wurden auf dem Höhepunkt der Grünen Revolution alle fruchtbaren Ländereien in Weizen- und Reisfelder umgewandelt. Die Menschen hatten einfach keine Chance mehr etwas anderes anzubauen, etwa Gemüse oder andere Vitamin-A-Quellen.

    Bis der Goldene Reis tatsächlich auf den Feldern steht, werden noch einige Jahre vergehen. Deutsche und Schweizer Wissenschaftler haben den umstrittenen Reis entwickelt. Allerdings wählten sie eine Sorte, die nur in kühleren Klimaten gedeiht – nicht jedoch im tropischen Asien, dem Zentrum der weltweiten Reisproduktion. Am IRRI sollen Wissenschaftler die Genveränderung jetzt in tropische Sorten einkreuzen. Viele Fragen sind noch offen.

    Wie wird die Veränderung die Ernte beeinflussen? Eventuell fällt sie niedriger aus, und dann werden Bauern den Reis nicht pflanzen. Wie reagieren Insekten und Krankheiten auf den Goldenen Reis? Wir wollen verhindern, dass die Bauern mehr Pestizide spritzen müssen. Deshalb braucht der Goldene Reis Resistenzen. Wir müssen die ganze Sicherheitsforschung durchführen, damit der Reis nicht zum Umweltproblem wird, und noch wichtiger: er muss auch für die Verbraucher sicher sein.

    Ursprünglich waren auch verschiedene Unternehmen an der Entwicklung beteiligt. Doch bevor dass IRRI als gemeinnütziges Institut mit den Forschungen beginnen konnte, mussten alle Firmen ihre Patentansprüche aufgeben. Menschen in Entwicklungsländern, die weniger als 10.000 Dollar im Jahr verdienen, sollen den Reis kostenlos bekommen. Dazu haben sich die Unternehmen verpflichtet. Umweltschützer wie Neth Dano bezweifeln jedoch, dass das funktioniert.

    Viele haben investiert. Am Goldenen Reis hängen zur Zeit 77 Patente. Natürlich wollen die Investoren, dass sich ihr Einsatz rentiert. Also muss jemand bezahlen. Und man kann sich leicht vorstellen, wer das sein wird: Natürlich die Menschen, die den Reis konsumieren. Und sollte es tatsächlich einen Weg geben, Armen den Reis kostenlos zur Verfügung zu stellen, bleibt das Verteilungsproblem. Werden plötzlich große Mengen kostenloser Reis in den philippinischen Markt gepumpt, verfällt der Preis. Und das wird das chinesische Kartell der Philippinen nicht dulden. Dasselbe in Indien. Tonnenweise werden dort Lebensmittel vernichtet, nur um den Preis zu kontrollieren. Gleichzeitig hungern die Menschen überall in Indien.

    Die Idee ist verführerisch, doch durch Wissenschaft und Technik allein lassen sich die Probleme von Hunger und Armut nicht lösen.