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Gottesglaube in Amerika

Wer von Europa aus auf die Vereinigten Staaten schaut, ist schnell verwirrt, wenn es um die Bedeutung der Religion geht. Matthias Rüb, USA-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat sich auf Spurensuche begeben nach dem politischen Einfluss der Religion. Und ergründet dabei nicht nur das Terrain christlicher Glaubensgemeinschaften, sondern auch das der Mormonen, der Schiiten und des Judentums. Für uns hat das Buch Siegfried Buschschlüter gelesen.

    Die Uneingeweihten mag es wie ein Widerspruch anmuten: Die tiefe Religiosität Amerikas auf der einen und die Trennung von Kirche und Staat auf der anderen Seite. Doch anstatt dem Glauben die Luft zum Atmen zu nehmen, ihn womöglich in ein Reservat zu verbannen, hat das Verbot der Gründung einer Staatsreligion dem Glauben den nötigen Freiraum verschafft, um sich in alle Richtungen zu entfalten.

    Freie Religionsausübung bedeutet aber auch das Angewiesensein der Konfessionen und Kirchen auf sich selbst und ihre Mitglieder. Staatliche Unterstützung scheidet aus, Alimente gibt es nicht. Um zu überleben, müssen die diversen Glaubensgruppen selber um Mitglieder werben und sie bei der Stange halten.

    Genau das hatte auch Thomas Jefferson vorausgesehen, als er meinte, Religionsfreiheit werde die Kirche stärken, weil sie die Geistlichen zu Fleiß und vorbildlichem Verhalten veranlassen werde.

    Und es war Alexis de Tocqueville, dem bei seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten als erstes der religiöse Aspekt des Landes auffiel. "Je länger ich dort blieb”, so schrieb er,
    "desto deutlicher nahm ich die großen politischen Konsequenzen wahr, die sich daraus ergaben".

    "Religion und Politik in den USA", ist auch der Untertitel des Buches von Matthias Rüb. Es enthält eine Sammlung von Reportagen, die, so der Autor, "verdeutlichen, dass der Gottesglaube in Amerika blüht und gedeiht." Ein Dutzend Reportagen, die zu unterschiedlichen aktuellen Anlässen geschrieben, nun zu einem 200 Seiten starken Buch unter dem Titel "Gott regiert Amerika" zusammengefügt wurden.

    Reportagen über Megakirchen und Mormonentum, Muslime und Juden, über Billy Graham und Louis Farrakhan, und über Barack Obamas Probleme mit seiner Kirche. Exzellente Reportagen, stilistisch hervorragend, farbig, plastisch, voller Details. Beispiel: Rübs Beschreibung des christlichen Fernsehsenders "Trinity Broadcasting Network" (TBN). Üppig liebten es die Gründer und Eigentümer, schreibt er.

    Der Boden der Eingangshalle und der Treppenaufgang zum ersten Stock sind aus schneeweißem hochglanzpoliertem Marmor. Eine mehr als drei Meter hohe goldene Figur des geflügelten Erzengels Michael mit einem gewaltigen Schwert in der rechten Hand überragt das Foyer. Das Geländer des Treppenaufgangs strahlt gold - oder jedenfalls messingfarben. Die Decke ist überreich mit mehr als 200 Cherubim-Figuren bemalt, deren Gesichter jenen von Kindern besonders verdienter TBN-Angestellter nachempfunden sein sollen. Vor den meterhohen Fenstern hängen schwere purpurrote Samtvorhänge. In Glasvitrinen stehen lauter Engelsfiguren und Putten in ausladenden Gewändern mit rosigen Wangen.
    Die Eigentümer des Senders, Paul und Jan Crouch, kommen aus der Pfingstbewegung. Mit ihrem 1973 gegründeten Sender, der seitdem unermüdlich ausgebaut wurde, hätten die Beiden das Pfingstlertum gewissermaßen fernsehtauglich gemacht und seien dabei sehr reich geworden, schreibt Rüb. Ihr Jahresumsatz werde auf fast 190 Millionen Dollar beziffert. Zwei Drittel der Einkünfte rührten aus den Spenden der Zuschauer. Das Vermögen von TBN werde inzwischen auf mindestens 600 Millionen Dollar geschätzt. Dazu kämen Immobilien, ein großer Wagenpark und ein sendereigener Jet. Ein Paradebeispiel dafür, wie man in Amerika mit Gottes Wort viel Geld verdienen kann. Matthias Rueb schildert es mit ironischer Distanz:

    Gottes Wort wird live auf Sendung vernommen und sogleich für alle hörbar weitergegeben. Es wird inbrünstig um Heilung und Erlösung gebetet, dabei fällt mancher wie vom Schlag gerührt zu Boden, rappelt sich aber meist nach einiger Zeit wieder auf. Und wenn das Weltende, dessen Nahen noch in jeder Sendung erwähnt wird, sich tatsächlich einstellen sollte, wird es ganz gewiss live und in voller Länger auf TBN übertragen.
    Wer meint, das sei eher eine extreme und wohl kaum repräsentative Erscheinungsform der Religiosität in "God's own country", muss zur Kenntnis nehmen, dass die Schwarzen dieser Pfingstbewegung sich zur "Church of God in Christ" zusammengeschlossen haben, die, so der Autor, mit sechs Millionen Mitgliedern die größte schwarze Glaubensgemeinschaft in den USA darstellt.

    Mehr als doppelt so viele Mitglieder, nämlich 13 Millionen, haben die Mormonen. Ihnen widmet Rüb den größten Raum in seinem Buch. Akribisch schildert er die wechselvolle Geschichte des Mormonentums, das heißt die offizielle Version, die da handelt von Joseph Smith, dem Propheten Mormon, seinem als Engel wiedererschienenen Sohn Moroni, und dem heiligen Buch.

    Wer die Engelsgeschichte nicht glaubt, muss viel Geduld aufbringen, um das Kapitel nicht einfach zu überschlagen. Wie Rüb selber dazu steht, deutet er an, wenn er schreibt:

    Unterzieht man das den Mormonen heilige Buch einer Art quellen- und textkritischen Analyse, so stellt es sich als ziemlich hanebüchenes Konglomerat aus jüdisch-hebräischen und ägyptischen Schnipseln, aus allerlei Versatzstücken des Alten und Neuen Testaments in der englischen King-James-Übersetzung der Bibel sowie aus viel Fantasie dar.
    "Man muss eben daran glauben”, konstatiert Rüb. Der Erfolg gebe diesem Glauben recht. Wenn man den Erfolg an der ständig wachsenden Mitgliederzahl misst, 13 Millionen, davon die Hälfte außerhalb Nordamerikas, wenn man ihn misst am Jahreseinkommen - rund sieben Milliarden Dollar - oder am gesamten Vermögen - bis zu 35 Milliarden Dollar - dann, in der Tat, kann man zu diesem Schluss kommen.

    Wer jedoch diesem Glauben nicht folgen kann, wer auch den Anspruch der Mormonen nicht akzeptieren kann, ihre Religion sei die allein seligmachende, wird nicht einverstanden sein mit des Autors Feststellung, dass der Erfolg diesem Glauben recht gebe.

    Da ist es geradezu tröstlich, in der neuesten Untersuchung des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts "Pew Forum on Religion & Public Life" nachlesen zu können, dass die meisten Amerikaner eine eher undogmatische Einstellung zum Glauben haben, eben nicht wie die meisten Mormonen oder Zeugen Jehovas der Überzeugung sind, ihre Religion sei der einzige Weg zum ewigen Leben.

    Matthias Rüb geht in seinem Buch nur auf den ersten Teil der Untersuchung des Pew Forums ein. Der im August dieses Jahres veröffentlichte zweite Teil kam für ihn wohl zu spät. Das ist schade, denn so erfährt der Leser nicht, wie es um die parteipolitischen Präferenzen der Mitglieder der verschiedenen Religionen und Konfessionen steht, dass zum Beispiel Zweidrittel aller Mormonen sich als Republikaner bezeichnen oder als der Republikanischen Partei nahestehend.

    Zu Rübs Buchtitel "Gott regiert Amerika” hätten natürlich auch die Erkenntnisse des Pew Forums gepasst, wonach viele Amerikaner es nicht gut finden, dass sich Kirchen parteipolitisch betätigen, dass sie Kandidaten für politische Ämter unterstützen oder ablehnen.

    Anders als in den letzten zehn Jahren ist eine knappe Mehrheit der Amerikaner jetzt der Meinung, dass Religion und Politik nicht miteinander vermischt werden sollten, Kirchen und Konfessionen sich aus dem politischen Tagesgeschäft heraushalten sollten. Das ist neu. Dieser Umschwung, so heißt es in der Untersuchung, gehe in erster Linie auf ein Umdenken bei den Konservativen zurück.

    Dazu passt, dass die Zahl der Befragten, die sich nicht wohl fühlen, wenn Politiker darüber reden, wie religiös sie sind, zugenommen hat, von 40 Prozent vor vier Jahren auf jetzt 46 Prozent. Signifikant nennt die Untersuchung diese Zunahme. Unverzichtbare Erkenntnisse für jede Abhandlung über Religion und Politik in den USA. Grund genug für eine zweite Ausgabe des Buches von Matthias Rüb. Eine Neuauflage, die dann auch das Verhalten der Wähler bei den morgigen Präsidentschafts- und Kongresswahlen berücksichtigen könnte.

    Siegfried Buschschlüter über Matthias Rüb: Gott regiert Amerika. Religion und Politik in den USA, erschienen sind die 205 Seiten im Zsolnay-Verlag. Das Buch kostet Euro 17,90.