Jörg Traeger verweist mit Recht darauf, dass Goyas liberale Akademie-Kritik nicht von ungefähr kommt. Noch bevor die napoleonischen Truppen in Spanien einmarschierten, verbreitete sich auch im monarchistischen Spanien aufklärerisches Gedankengut. Traeger sieht den spanischen Maler in einer Doppelrolle: Als "pintor de cámara", als erster Hofmaler von Karl IV. und seiner Gemahlin María Luisa, hatte Goya selbstverständlich eine herausragende Stellung im Staat und war zur Loyalität verpflichtet. Andererseits will Traeger in ihm partout einen "Sympathisanten der republikanischen Errungenschaften" sehen. Goyas Doppelleben macht es aber schwierig, die These vom freiheitlich inspirierten Künstlergenius aufrechtzuerhalten. Wie anders ist es zu erklären, dass Goya nur Akademie-Mitglied werden konnte, nachdem er Josefa Bayeu, die Schwester seines Lehrers Francisco Bayeu, heiratete. Und dass die gerne kolportierte Liaison mit der Herzogin von Alba natürlich auch der eigenen Karriere dienen sollte. Leider sind diese Einschränkungen bei Jörg Traeger nicht nachzulesen. Es ist eine Schwäche des Buches, dass Goya trotz aller argumentativer Hindernisse zum Vorläufer des modernen Künstlers erkoren wird: als Verfechter einer "Kunst der Freiheit". Traeger hätte besser daran getan, Goya genauer in der zeittypischen Doppelrolle des Künstlers zu verorten. In der Spannung zwischen Staatsmalerei und Privatproduktion, zwischen offizieller und inoffizieller Kunst. Die genauere Untersuchung dieses Spannungsverhältnisses wäre aufschlußreicher gewesen als die vorschnelle Inthronisierung des "liberalen Künstlertypus".
Aber Traeger glaubt nun einmal an die "Macht des freien Künstlers" (143). Am liebsten sieht er Goya als Propagandisten der napoleonischen Losung: "Liberale Regierung und Erneuerung Spaniens". Er wird als Anhänger des spanischen Königs Joseph Bonaparte beschrieben, der im Sommer 1808, nach der Invasion der französischen Truppen, eine konstitutionelle Monarchie errichtete. Aber ein unbedingter Anhänger des Bonapartismus war Goya sicherlich nicht. Man braucht sich nur einmal das berühmte Gemälde "3. Mai 1808", die Erschießung einer christusgleichen Figur mit weißem Hemd und hochgestreckten Armen durch die französischen Füsiliere, genauer anzuschauen. So modern dieses 1814 gemalte Bild auch immer gestaltet sein mag, man fragt sich, was hier "liberale Bildkunst" heißen soll. Natürlich könnte man die Erschießungsszene auch als Kompromiß gegenüber dem mittlerweile regierenden Monarchen Ferdinand VII. lesen: Als Anklage des spanischen Erbfeindes. Doch Traeger will es eher als Erprobung einer neuen Kompositionstechnik verstanden wissen.
Man möchte Traeger zwar keine Fehldeutung unterstellen, aber er reduziert die Vielschichtigkeit von Goyas Bildern, um unter allen Umständen seine Hauptthese zu retten. Überdeutlich wird dieser Hang bei seinen Lieblings-Stichen, den "Caprichos". Er interpretiert die Graphik-Serie als "Freisetzung der Kunst ins Individuelle, Improvisatorische und Innovative". Ähnliches lehrt uns Traeger über die abgrundtiefen und deutungs-resistenten "Disparates". Er liest sie nur nach einem Motiv, das seine Zentralthese zu stützen scheint. "Liberale Bildkunst" überall, wohin das Auge blickt. Erstaunlich genug, dass er elf "Disparates", über die man ganze Bücher füllen könnte, mit wenigen Sätzen abhakt. Der unerschöpfliche bildnerische Reich-tum der Serie wird sträflich verkürzt. Durch diese verengte Perspektive kann Traeger selbst das sperrigste Bild der These vom freiheitlichen Künstler einordnen.
Nach der Lektüre von Traegers "Goya. Die Kunst der Freiheit" kann man sich beruhigt im Sessel zurücklehnen: Der zwischen monarchistischer Reaktion und demokratischem Fortschritt schwankende Goya ist endlich als "political correct" gerettet. Jörg Traeger hat ihn als Vorläufer der "neuen Mitte" entdeckt.