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Graefe zu Baringdorf: EU-Agrar-Kompromiss "derbe Klatsche" für die Kanzlerin

"Es ist insgesamt eine Ökologisierung der Landwirtschaft", begrüßt der Agrarpolitiker Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Bündnis 90/Die Grünen) den EU-Kompromiss zu den Subventionen. Dieser sei gegen die Agrarindustrie gerichtet, deren Interessen der Bauernverband und damit die Kanzlerin verträten.

Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Gespräch mit Bettina Klein | 27.06.2013
    Friedbert Meurer: Früher waren die Gipfeltreffen der EU ein wahrer Wanderzirkus. Immer in dem Land, das für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft innehatte, wurden die Staats- und Regierungschefs eingeladen. Das ging auch jedes Mal ziemlich ins Geld, vor allem für den Gastgeber. Jetzt wird immer in Brüssel getagt, dafür neuerdings aber fast jeden Monat. Mit Ausnahme des Monats April hat es in diesem Jahr in jedem Monat einen EU-Gipfel gegeben und auch heute und morgen wird das wieder so sein. Ein weiterer Gipfel unter vielen?

    Noch gibt es keine Einigung über den Haushalt der Europäischen Union. 40 Prozent dieser Gelder fließen alleine in die Landwirtschaft. Jetzt sollen die kleinen Betriebe und Ökobetriebe mehr Geld bekommen, so lautet die neueste Agrarreform.

    - Bettina Klein hat gestern Abend Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf gefragt, den [Alt-]Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft, ob das ein kleiner Schritt, mittlerer oder großer Schritt für die Ökobetriebe ist.

    Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Zunächst hat sich die Bundeskanzlerin beim Europäischen Parlament mal eine derbe Klatsche geholt, weil ja nach den Lissaboner Verträgen erstmalig das Europäische Parlament in der Mitentscheidung ist. Von daher war ihre Haltung im Rat, den Rat gegen die fortschrittlichen Vorschläge der Kommission aufzubringen, was ihr auch wesentlich gelungen ist in wesentlichen Punkten, vom Europäischen Parlament nicht hingenommen worden. Und in diesem Trilog, der jetzt stattgefunden hat, weil man das in der ersten Lesung gemeinsam mit dem Rat verabschieden will, sind die Vorschläge der Kommission im Wesentlichen doch bestätigt worden. Sie sind abgemildert, aber das Instrument ist weiter da. Und das ist gegen die Agrarindustrie gerichtet, deren Interessen der Bauernverband und damit die Kanzlerin vertrat. Und geht zugunsten der bisher massiv benachteiligten bäuerlichen Wirtschaftsweise.

    Bettina Klein: Das war jetzt erst mal eine schwere Kritik in Richtung Kanzlerin. Meine Frage zielte so ein bisschen, wie weit in Ihrem Sinne man eigentlich gekommen ist. Sie haben schon angedeutet, man hat das sozusagen abgemildert, was die Kommission ursprünglich vorgesehen hat. Gehen wir ein paar Beispiele durch: Es ist ja vorgesehen, die ökologische Landwirtschaft zu fördern, und wenn das nicht passiert, das auch an Sanktionen zu koppeln. Sprich: Dann gibt es einfach weniger Geld. Funktioniert das in der Praxis?

    Graefe zu Baringdorf: Na ja, es ist jetzt nicht nur die ökologische Landwirtschaft, sondern es ist insgesamt eine Ökologisierung der Landwirtschaft. Die gesamte Produktion wird unter das sogenannte Greening gestellt. Wenn bestimmte Wirtschaftsweisen, die die Artenvielfalt, den Leguminosenanbau, die die Fruchtfolgen nicht berücksichtigen - da gibt es eben dann Vorschriften -, dann werden 30 Prozent der Gelder des gesamten Betriebes eingehalten. Damit ist eine ökonomische Interessenslage geschaffen worden, in diese Wirtschaftsweise zu gehen, was sonst industriell ausgerichtete Betriebe nie gemacht hätten.

    Klein: Und was ist daran jetzt verkehrt?

    Graefe zu Baringdorf: Nein, das ist gut! Das ist gut!

    Klein: Aber Sie sagten, die Kanzlerin habe das eigentlich verhindern wollen.

    Graefe zu Baringdorf: Ja, sie hatte den Rat dagegen aufgebracht und der Rat hat versucht, das gegen das Parlament durchzusetzen. Und das Parlament ist stur geblieben. Und die Kommission ist stur geblieben und damit hat der Rat zugestimmt. Sie hatten Sorge, dass sonst die gesamte Reform vom Parlament – das wäre ihre Macht gewesen; das Europäische Parlament kann nicht ins Recht setzen, aber sie hätten die Reform zurückweisen können. Und dann wäre alles von vorne eingegangen. Und das wollte sie sich im Wahlkampf nun nicht auf die Fahnen schreiben lassen ...

    Klein: Nun haben wir aber eine Einigung, und auch dazu hat das Europaparlament ja noch gar nichts gesagt. Wir haben immer wieder darüber berichtet, das sollte eigentlich abgestimmt werden. Jetzt hören wir offene Details, Texte liegen noch nicht vor, also das Europaparlament hat sich noch gar nicht geäußert dazu.

    Graefe zu Baringdorf: Nein, das Europaparlament hat darüber nicht abgestimmt und das Europaparlament kann immer noch Änderungsanträge einbringen. Es sind viele Sachen, die die Kommission wollte, zum Beispiel die Kürzung in den großen Zahlungen, was über 150.000 Euro hinausgeht. Und die bessere Bezahlung für die ersten Hektar je Betrieb, was die kleineren Betriebe aus der Benachteiligung herausholt. Dieses könnte immer noch durch Änderungsanträge im Europäischen Parlament verschärft werden. Und weil es nicht weitgehend genug ein Zugeständnis vom Rat gab, hat es jetzt diese Abstimmung erst mal nicht mal im Agrarausschuss gegeben.

    Klein: Das heißt, Sie glauben schon, dass der Ausschuss oder das Europaparlament als solches das Ganze noch kippen wird beziehungsweise versuchen wird, mehr rauszuholen?

    Graefe zu Baringdorf: Nein, das glaube ich nicht, sondern sie werden versuchen, Klarheit zu schaffen, wo Ausnahmetatbestände noch etwas nebulös sind. Und dann werden sie in erster Lesung zu einer Abstimmung und zu einer Zustimmung kommen. Da gehe ich von aus. Aber sie haben eben die Ansinnen des Rates zurückgewiesen und im Wesentlichen die Instrumente, was das Greening anbetrifft, also im Sozialen und Ökologischen die Qualifizierung, der Kommission zugestimmt. Der Kompromiss liegt nun darin, dass viele dieser Vorschläge in das Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt sind, sodass demnächst es eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Regierung, möglicherweise mit einer neueren, wenn es denn anders kommt, mit einer neuen Regierung. Und die hat dann einen großen Spielraum, diese Instrumente zugunsten der bäuerlichen Landwirtschaft, einer Ökologisierung weiter zu verschärfen.

    Klein: Spielräume der nationalen Regierungen, haben wir noch mal festgehalten. Ich sage noch mal dazu: Greening, das ist also der Versuch, über das Steuersystem Anreize für ökologisches Wirtschaften herzustellen. Sie haben es gerade angedeutet: Ein weiterer Streitpunkt war ja die Kappung der Zahlung für Großunternehmen. Ungefähr 80 Prozent der ganzen Subventionen gehen an 20 Prozent der Betriebe. Was ist im Augenblick falsch an dem, was jetzt in dieser Einigung drinsteht, weil Sie sagten, auch da ist man nicht weit genug gegangen?

    Graefe zu Baringdorf: Na ja, der Vorschlag war, es sollte bei 300.000 Schluss sein und es sollte ab 150.000 je Betrieb eine Staffelung einsetzen, also Abzüge gemacht werden. Jetzt ist in diesem Vorschlag drin, wenn es nicht noch einen Widerstand des Parlaments gibt, dass mindestens fünf Prozent ab 150.000 abgezogen werden, dass aber der Spielraum für die Nationalstaaten bis 100 Prozent geht. Also man könnte über diesen Mechanismus wiederum eine Kappung einführen. Die Kappung will die Bundesregierung nicht, also wird es eine nationale Auseinandersetzung darum geben, wenn andere Länder es einführen und die Bundesrepublik es nicht einführt. Aber erst mal der Gedanke, dass es überhaupt zu einer anderen Verteilung kommen soll, und das Instrument ist da, nur nicht in der Schärfe, wie es das Parlament gefordert hat oder wie es die Kommission zunächst in ihrem Vorschlag hat.

    Meurer: Bettina Klein sprach über die Folgen der Agrarreform mit Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft. Früher war er Europaabgeordneter der Grünen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.