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Gregor Gysi als Kindergärtner

Rhetorisch gewandt, bissig, immer für eine Schlagzeile zu haben: So kennt man den Fraktionschef der Partei Die Linke, Gregor Gysi. Aber als Kindergärtner? In der Tagesstätte Waldspielhaus begegnete der dreifache Vater Gysi den Kindern mühelos - und lernte politisch viel über geringe Entlohnung und Ablauf des so stereotypischen Frauenberufes Kindergärtnerin.

Von Anja Nehls |
    "Wir räumen den Garten auf und stellen uns an und zählen, und dann gehen wir in den Wald."

    Trotz des Wetters! Es regnet leicht, aber beständig – die Kinder haben Regenhosen und Schneeanzüge an, Mützen auf dem Kopf und einen Schal um den Hals. Das Anziehen hat gedauert – denn Gregor Gysi, der Tagespraktikant in der Kita Waldspielhaus musste sich erst einarbeiten. Beim kleinen Anton versuchte er die Hose über die Stiefel zu ziehen und bei Amelie gab es Probleme mit dem Schal – aber man kann schließlich am Anfang nicht alles richtig machen. Meint die sechsjährige Viktoria:

    "Wir müssen nämlich die Schals immer hier drin haben, und das macht der falsch. Er hatte die draußen, und wenn wir draußen sind und irgendwo ein Geländer ist, dann hängen wir fest."

    Schließlich sitzt alles und es kann losgehen – fehlt nur noch der Praktikant:

    "Gregor! 8,9,10 - 14 – 14 Kinder! "

    14 bunt gekleidete Zwerge ziehen also los in den Wald direkt hinter der Kita. Dazwischen wie Rumpelstilzchen zünftig mit schlammgrünem Mantel und schwarzen Regenhosen Gregor Gysi. Aufgeregt ist er nicht. Nach drei eigenen Kindern machen ihm auch Trotzphasen keine Angst mehr:

    "Da bin ich relativ souverän, damit konnte ich immer ganz gut umgehen, das liegt daran, dass ich dann immer ganz ruhig werde, das gilt auch in der Fraktion, wenn die alle durchdrehen, dann werde ich ruhig, wenn die ruhig werden, dann drehe ich durch."

    Einen Draht zu den Kindern findet er schnell, das liegt aber nicht unbedingt nur am besonderen pädagogischen Geschick, meint Kitaleiterin Ramona Herzberg:

    "Der ist ja nicht so groß, da müssen Kinder nicht so hochgucken, das ist Augenhöhe, und er interessiert sich auch genau für das, was sie gerade tun, und das ist so wichtig."

    Hier geht es allerdings nicht nur um das, was die Kinder tun, sondern auch um das, was die Erzieherinnen tun – schließlich ist Welt-Frauentag. In der Kita Waldspielhaus gibt es als Betreuer 16 Frauen und einen Mann – ein typisches Bild in einem typischen Frauenberuf, bedauert Gysi:

    "Schlecht bezahlt wie fast alle sogenannten Frauenberufe, und da muss was passieren, und mein Anliegen ist es, darauf aufmerksam zu machen. Und wenn wirs anständig bezahlen, glauben Sie mir, ich kenne die Kerle, dann entdecken wir alle, wie gerne wir eigentlich mit Kindern umgehen – die empfindlichsten Seelen sind die Kerle, aber die dürfen es ja nicht zugeben."

    Den Streik der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst kann Gysi nachvollziehen – besonders als ihm dann noch anspruchvollere Aufgaben als Anziehen und Beaufsichtigen übertragen werden:

    "Sie würden jetzt beobachten und notieren, das Tun und Handeln eines Kindes."

    " Ob es sich beschäftigen kann oder gelangweilt rumsteht."

    "Genau."

    "Ob es kreativ in ein Spiel findet?"

    "Ein Rollenspiel genau."

    "Wie die Sprache genutzt wird, ob es sie nutzt."

    " Ja ..."

    Gysi hört genau zu - statt zu beobachten, entscheidet er sich dann aber doch lieber fürs Mitspielen:

    "Was machst du?"

    "Ich sammle Holz um ein Lager zu errichten, damit ihr die Stelle wieder findet und sagen könnt, das haben wir hier mit Gregor gebaut."

    "Halt, nicht fallen, los der nächste – der baut ein Lager hat er mir gesagt."

    Das ist vielleicht nicht pädagogisch sinnvoll, aber lustig – für die Kinder und für Gysi. Die Journalisten, Kameras und Mikrofone sind vergessen – Der Frauentag ist abgehandelt, die geringen Löhne der Erzieher ebenfalls. Den Kindern ist der Politiker egal - aber als Spielgefährte ist der Kerl so nett, dass er gerne morgen wiederkommen darf. Nun ist eine gute Erklärung fällig:

    "Ich habe ja eigentlich einen anderen Beruf. Ich bin ja Politiker, morgen spreche ich im Bundestag über die Sonne."

    Im regennassen Wald in Berlin Köpenick – interessiert in diesem Moment allerdings weder die Sonne noch der Bundestag.