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Grenzen dicht?

Die Schweizer müssen Anfang des kommenden Jahres über die Personenfreizügigkeit im allgemeinen und deren Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien im besonderen abstimmen. Und da gilt: Ein "Nein" zu den Rumänen zöge auch ein "Nein" zu den Deutschen nach sich. Die Schweizer müssen sich also sehr genau überlegen, wo sie demnächst ihr Kreuzchen machen werden. Von Pascal Lechler

    Im Sekundentakt rattern die Prospekte aus den Druckmaschinen bei Stämpfli in Bern. 330 Mitarbeiter hat das mittelständische Unternehmen. 58 Prozent von ihnen sind Ausländer. Ohne Spanier, Serben, Kroaten oder Portugiesen würden die Druckmaschinen wohl stillstehen. Ein offener Schweizer Arbeitsmarkt ist für das Unternehmen und seine beiden Niederlassungen in Polen und Deutschland überlebenswichtig. Geschäftsführer Rudolf Stämpfli will gar nicht daran denken, was wäre, wenn die Schweizer im kommenden Frühjahr "Nein" zur Personenfreizügigkeit sagen würden.

    "Es wäre nun wesentlich schwieriger unsere Spezialisten eben in diese Niederlassungen zu schicken und sie dort eine Weile arbeiten zu lassen. Der Wissenstransfer wäre damit deutlich schwieriger zu erreichen und umgekehrt das gleiche Bild: Mitarbeiter aus Polen oder aus Deutschland in die Schweiz zu holen, dass sie hier vor Ort eine Weile ihre Fertigkeiten verbessern können, wäre schwierig."

    Lange hatte sich die größte Partei der Schweiz, die Schweizer Volkspartei SVP, nicht zur bevorstehenden Volksabstimmung geäußert. Jetzt will Parteichef Toni Brunner seine rechtspopulistische Partei auf einen Nein-Kurs, also gegen eine Fortführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit, einschwören.

    "Jetzt ist das Referendum ergriffen worden, wir müssen dazu Stellung nehmen, und meiner Ansicht nach muss die Partei jetzt auch ihre ursprüngliche Position, nämlich dass sie nein sagt zur Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien, vertreten."

    De Facto werden die Schweizer nämlich über ein Doppelpaket abstimmen: Die Fortführung der Personenfreizügigkeit mit den 25 alten EU Staaten und deren Ausdehnung auf die neuen, Bulgarien und Rumänien. Sagt das Stimmvolk im Februar nein, dann werden nicht nur die Grenzen zur Schweiz wieder dicht gemacht sondern auch sechs weitere Verträge mit der EU werden dann ihre Gültigkeit verlieren.

    Die SVP will daher die Gunst der Stunde nutzen. Denn eines scheint klar. Je weiter die Finanzkrise um sich greifen wird, umso mehr wird die Angst der Schweizer vor Jobverlust und zu vielen ausländischen Arbeitskräften im eigenen Land zunehmen. Mit einem Nein könnte die populistische Partei all die Schweizer hinter sich scharen, denen eine zu große Öffnung nach außen und eine Annäherung an die EU ohnehin suspekt ist. Dabei sind alle Befürchtungen, die vor sieben Jahren vor Einführung der Personenfreizügigkeit geäußert wurden nicht eingetreten. Ganz im Gegenteil, sagt Unternehmer Rudolf Stämpfli, der auch Schweizer Arbeitgeberpräsident ist.

    "Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die Schweizer Wirtschaft hat, seit die Grenzen offen sind, 250.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Man darf nicht vergessen, dass Schweizer natürlich sehr einfach in die Europäischen Länder reisen konnten, um auch dort zu arbeiten. Die Schweizer Wirtschaft verdient jeden zweiten Franken im Export, ist sehr stark im Ausland investiert, und es ist wichtig, dass wir auch unsere Spezialisten vor Ort in diese Länder bringen können, ohne administrative Hürden zu haben."

    In Zahlen ausgedrückt: Die Arbeitslosenquote der Schweiz sank seit Einführung der Personenfreizügigkeit von 4 Prozent auf heute 2,4 Prozent. Auch der befürchtete Druck auf die Sozialkassen blieb aus. Stattdessen sind es heute die jungen ausländischen Arbeitskräfte, die Renten und Invalidenkasse mit ihren Beiträgen stützen.

    Die am schnellsten wachsende Ausländergruppe in der Schweiz ist inzwischen die Gruppe der Deutschen. Kein deutsch-schweizer Krankenhaus kommt mehr ohne Ärzte und Pfleger aus dem großen Nachbarland im Norden aus. An der Zürcher Universitätsklinik ist inzwischen jeder 5. Arzt ein Deutscher. In einzelnen Abteilungen sind es sogar noch mehr. In der Radiologie des Universitätsspitals in Basel kommt inzwischen jeder zweite Mediziner aus Deutschland. Wären diese Ärzte auf einmal wieder weg, würde das Gesundheitswesen der Schweiz leiden, ist sich Frank Stephan, Arzt am UNI Spital in Basel, sicher.

    "Ich denk mal problematisch wäre es jetzt auch im Spital. Weil hier auch sehr viele Deutsche arbeiten, auch in höheren Positionen in Kaderposition. Und wenn die jetzt auf einen Schlag wegbrechen würden, müsste man natürlich adäquate Nachfolger finden und wenn sich das nicht lückenlos bewerkstelligen ließe, hat man natürlich Probleme in der Patientenversorgung auf allen Ebenen."

    Der Schweizer Regierung und den Befürwortern eines offenen Schweizer Arbeitsmarktes - allen voran den Wirtschaftsverbänden der Schweiz - bleiben nicht mal mehr drei Monate, um die Eidgenossen von den Vorzügen offener Grenzen zu überzeugen. Eins scheint jetzt schon festzustehen: Die Abstimmung dürfte denkbar knapp ausgehen.