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Grevesmühlen und Jamel
Dörfer in der Hand Rechtsextremer

In Mecklenburg-Vorpommern kann in einigen Ecken beobachtet werden, wie weit Neonazis mit ihrer Strategie gekommen sind: Sie besiedeln gezielt Bauernhöfe sowie kleine Dörfer, um sich von dort aus weiter breit zu machen. In Grevesmühlen und Jamel versuchen einige Bürger, dem etwas entgegenzusetzen.

Von Silke Hasselmann | 09.07.2015
    An einer Hauswand in einem Dorf hat jemand "NPD Fuck off" gesprüht.
    In den kleinen Dörfern Grevesmühlen und Jamel in Mecklenburg-Vorpommern haben sich Nationalsozialisten breit gemacht. (Deutschlandradio/Silke Hasselmann)
    Jamel liegt nur wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Doch kaum ein Navigationsgerät führt dieses winzige Sackgassendorf zwischen Wismar und Grevesmühlen. Das Künstlerehepaar Lohmeyer hat es dennoch vor zwölf Jahren gefunden und lebt seitdem im ehemaligen Forsthaus. Dabei:
    "Es ist, wenn man das Dorf betritt, ganz schnell zu bemerken und zu sehen, dass es ein von Nazis dominiertes Dorf ist, weil die sich nicht entblöden, hier an jeder Ecke oder Hauswand ihre Nazi-Insignien zu malen oder aufzustellen. Also es ist schon richtig ein Freilichtmuseum des Neonazitums geworden, sagen wir mittlerweile."
    Dorfgemeinschaft Jamel
    Dorfgemeinschaft Jamel (Deutschlandradio/Silke Hasselmann)
    Völkisch anmutende Malereien
    Da sind Wegweiser unter anderem für Adolf Hitlers Geburtsstadt Braunau. Runen hier, ein Kohlegrill in Form eines KZ-Verbrennungsofens da. Auf einer Garagenwand zwischen zwei völkisch anmutenden Malereien: "Dorfgemeinschaft Jamel - frei, sozial, national". In mindestens sieben der zehn Häuser leben Leute, die rechts bis rechtsextrem ticken. Im Mittelpunkt: Ein vorbestrafter Abrissunternehmer und Kopf der Neonazi-Szene, sagt Birgit Lohmeyer.
    "Herr Krüger - so heißt der berüchtigte Rechtsextreme in diesem Dorf - hatte sich zwar ruhig verhalten in den Vorjahren, bevor wir hierher zogen, hatte aber eine Parteikarriere in der NPD angestrebt. Er begann, Häuser aufzukaufen von Menschen, die einfach wegziehen wollten, oder es standen einige Gebäude schon lange leer. Die hat er gekauft und seine Gesinnungsgenossen einziehen lassen. Insofern war das eine Entwicklung, die wir jetzt einschätzen können als Parteistrategie, die wir aber damals, weil wir noch keine Experten für Rechtsextremismus waren, überhaupt nicht absehen konnten. Das hat uns wirklich überrollt."
    Andere Jameler mochten keine Auskunft geben, nur die zuständige Postfrau:
    "Na ja, die Rechten sind hier angeblich. Ich habe damit nichts zu tun. Eigentlich stört mich das auch nicht. Die Leute da sind alle nett und freundlich. Die kriegen Pakete, ich gebe sie ab. Also: kein Ärger."
    Andere Menschen stört eine solche Nachbarschaft in ihren Orten erheblich. Zum Beispiel Lars Prahler aus Grevesmühlen, das überregional "leider vor allem mit dem Nazi- und Rockertreff 'Thinghaus' Schlagzeilen" mache. Das "Thinghaus" entstand vor rund fünf Jahren, nachdem ein Abrissunternehmen mitten im Gewerbegebiet eine Teilfläche des Betonwerkes gekauft hatte. Die Kommune wusste, dass der Rechtsradikale Sven Krüger aus dem nahegelegenen Jamel dahinter steckt, sagt Lars Prahler, stellte aber bei der Prüfung des Vorkaufsrechtes schnell fest:
    "Dass ein Unternehmen in einem Industriegebiet an ein anderes Unternehmen veräußert hat, und dieses andere Unternehmen beschäftigt sich mit Abbruch. Insofern hatten wir keine konkrete Handhabe davon auszugehen, dass dieser Kaufvertrag dazu führt, dass rechtsradikale Machenschaften zukünftig dort stattfinden werden."
    Der parteilose Stadtrat und Bauamtsleiter weiß, dass der Staat nicht einfach so Grundstücks- oder Immobiliengeschäfte von Menschen mit unliebsamer, aber nicht verbotener Gesinnung verhindern darf. Die Anwälte der rechten Szene kennen sich zudem gut aus und setzen oft wasserdichte Anträge auf, so auch, als Krüger wenig später die Grevesmühlener Immobilie ausbauen und umnutzen wollte.
    "Büro- und Veranstaltungseinrichtungen sind in Industrie- und Gewerbegebieten nach Baunutzungsverordnung zulässig im Ausnahmefalle, und wir haben in diesem Fall nicht die rechtliche Handhabe gefunden, um diese Umnutzung letztlich verhindern zu können."
    Heute dient das "Thinghaus" als Wahlkreisbüro eines NPD-Landtagsabgeordneten, als Schulungszentrum, Konzertort und Treff zum Kneipenabend - "nur für Freunde und Sympathisanten", wie es auf der Facebook-Seite heißt. Es wirkt wie eine Festung mit blickdichtem Bretterzaun, Stacheldraht, Kameras und der riesigen Reichsflagge - alles nicht verboten, aber natürlich aussagekräftig. "Wir ackern für Deutschland" steht auf dem Eingangsschild, am Dachgiebel: "Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land".
    Seit Ende der 1990er-Jahre gezielte Immobilienkäufe
    Der Trend gezielter Immobilienkäufe hält seit Ende der 1990er-Jahre an und geht nicht nur, aber besonders gut im Nordosten Deutschlands auf, wo sich kurz nach der Wende Neonazis aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern angesiedelt hatten. Das schreibt die Journalistin Andrea Röpke in ihrer gerade erschienenen Studie "Gefährlich verankert - Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern".
    "Also Udo Pastörs, der Fraktionschef der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, hat schon zu diesem Zeitpunkt von nationalen Dörfern geredet, gepaart mit eigenen Wirtschaftsstrukturen. Das heißt, sie haben eigene Logistikunternehmen, eigene Handwerksfirmen, Bauunternehmer, und wenn sich jemand ein verfallenes Gebäude kauft, kann er gleich auf Nationalisten, auf Kameraden zurückgreifen, die die nötigen Arbeitskräfte und die Firmen haben. So wie Sven Krüger in Jamel, der mit seinem Abrissunternehmen sofort eingreift und unterstützt. Also das sind keine Zufallskäufe, sondern das ist Teil einer gezielten Strategie der Neonazis, sich über die Immobilienkäufe gerade in Dörfern, aus denen wir uns als Zivilgesellschaft herausgezogen haben und nicht mehr engagieren, dass sie sich gerade auch dort einquartieren und dann ausbreiten."
    In Jamel versuchen die Lohmeyers derweil abermals, am letzten Augustwochenende aus dem überwiegend braunen Dorf ein bunteres zu machen. Denn dann laden sie auf ihren Forsthof zum Open-Air-Festival "Jamel rockt den Förster".
    "Die Idee ist ganz einfach, den Nazis zu zeigen, dass das nicht ihr Dorf ist, sondern dass es ein öffentliches Dorf ist wie jedes andere Dorf in Deutschland auch, und dass es hier tolerant zugeht."