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Griechenland-Krise
"Die Sparpolitik hat die Gesellschaft in eine Krise gestürzt"

Die griechische Regierung wolle Firmen, die über 500.000 Euro Gewinn im Jahr machen, ein "bisschen kräftiger besteuern", sagte Giorgos Chondros, Mitglied im Syriza-Zentralkommittee, im DLF. Das aber habe die EU-Kommission abgelehnt und erneut gefordert, die Mindestrenten und Löhne zu kürzen. Doch diese Sparpolitik sei der falsche Weg.

Giorgos Chondros im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 27.06.2015
    Giorgios Chondros, Mitglied des Zentralkomitee der Syriza-Partei, aufgenommen am 04.06.2015 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner"
    Giorgos Chondros, Mitglied im Syriza-Zentralkommittee (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Jürgen Zurheide: Griechenland und kein Ende. Das wird uns weiter beschäftigen, dieses Thema. Heute Morgen haben wir mit Sigmar Gabriel, dem Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzenden über dieses Thema geredet. Seine Hinweise an die Griechen sind in diesem Zusammenhang vor dem nächsten Interview besonders wichtig.
    Sigmar Gabriel: Wenn es darum ging, Privilegien zu beschneiden, dann ist wenig getan worden. Wenn es darum ging, bei den kleinen Leuten das Geld abzuholen, dann ist leider relativ manchmal sogar zu viel getan worden. Jetzt gibt es aber, das will ich schon noch mal sagen, von dem neuen Kommissionspräsidenten Junker, anders als von seinem Vorgänger, das Angebot, auch in Wachstum zu investieren, die europäischen Fonds zur Verfügung zu stellen. Aber das macht natürlich alles nur Sinn, wenn die Politik Griechenlands auch so organisiert ist, dass nicht jeden Tag neue Schulden hinzukommen. Und ich finde, das ist schon ein angemessener Umgang damit. Und wenn er das nicht will, der griechische Regierungschef, dann lässt er eigentlich die ausgestreckte Hand sozusagen, ergreift er sie nicht, sondern betreibt eine sehr ideologische Politik. Und davon kann man ihm eigentlich nur abraten.
    Zurheide: Das war Sigmar Gabriel hier im Interview im Deutschlandfunk, und über genau dieses Thema wollen wir reden. Ist das nun die ausgestreckte Hand? Wie wird das bewertet vor Ort in Griechenland? Darüber wollen wir reden mit Giorgos Chondros, den ich jetzt am Telefon begrüße, aus dem Parteivorstand von Syriza. Guten Morgen!
    Giorgos Chondros: Ja, schönen guten Morgen auch!
    Die Sparpolitik ist das eigentliche Problem Griechenlands
    Zurheide: Ist es die ausgestreckte Hand, oder sagen Sie nach wie vor nein, wie Ihr Parteichef? Wie sieht das aus, wie ist die Stimmung im Moment in Griechenland?
    Chondros: Der Herr Gabriel, glaube ich, hat die halbe Wahrheit gesagt. Wir wollen wirklich mit unserem Vorschlag und mit dem, was wir in all diesen Wochen und Monaten versucht haben, die Lasten der griechischen Bevölkerung ein bisschen umstrukturieren. Bis jetzt wurde die Krise von der unteren und von der Mittelschicht getragen. Wir haben jetzt gesagt, wir möchten auch zum Beispiel die Unternehmen, die über 500.000 Gewinn im Jahr machen, ein bisschen kräftiger besteuern, und siehe, da ist die Kommission gekommen und hat gesagt, nein, das dürfen Sie nicht machen, stattdessen müssen Sie noch einmal die Mindestrenten und die Löhne kürzen. Und das kann die griechische Regierung, diese griechische Regierung auf keinen Fall machen, weil die griechische Bevölkerung bei den letzten Wahlen vehement gegen diese Sparpolitik gewählt hat, also eine Sparpolitik, die eigentlich das Problem Griechenlands nicht gelöst hat. Ganz im Gegenteil hat sie die Gesellschaft, aber auch die Wirtschaft in eine sehr tiefe Krise hineingestürzt.
    Die Bevölkerung wird nein sagen
    Zurheide: Das heißt, um es konkret zu fragen, Sie sind bisher beim harten Nein und hoffen auch, dass die Bevölkerung nein sagt zu dem, was bisher auf dem Tisch liegt?
    Chondros: Die Bevölkerung wird sicher nein sagen. Wir folgen eigentlich dem Mandat der Bevölkerung und nicht umgekehrt, weil wir haben ein anderes Verständnis von Demokratie. Wir regieren ganz offen mit dem Volk, indem wir jeden Tag das Volk ganz genau informieren, worum es geht, was diskutiert wird. Was sind die Vorschläge, was sagt die Regierung, was sagen die Institutionen, was sagen unsere Partner? Weil die Entscheidungen, die gefällt werden, die betreffen natürlich die Völker. Und die Völker müssen sich ja dabei beteiligen, vor allen Dingen müssen die Völker richtig informiert sein. Das griechische Volk ist ganz gut informiert, worum es geht. Und weil es gut informiert ist, wird es auch die Entscheidungen treffen, die zu seinen Gunsten sind.
    Zurheide: Welche Konsequenzen wird denn ein Nein haben? Das bedeutet dann ja automatisch, dass die Verhandlungen dann nicht noch einmal weitergehen, weil ein Ultimatum nach dem Ultimatum, wenn wir jetzt Ihre Diktion aufnehmen, wird es kaum geben können. Welche Konsequenzen wird es dann haben?
    Chondros: Wir haben von Anfang an gesagt, also, wir möchten niemanden erpressen, wir möchten auch nicht erpresst werden. Das, was wir erlebt haben, ist eben, dass wir Ultimaten gestellt bekommen. Wir sind der Auffassung, und ich persönlich auch, dass die Verhandlungen auch nach der Entscheidung der griechischen Bevölkerung weitergehen werden, weil Europa hat ja gezeigt, immer in schwierigen Situationen, in sehr komplexen Situationen ist es mit Diskussionen und Kompromissen weitergegangen. Dieses Mal scheint es aber eigentlich so, dass gewisse Kreise in Europa wirklich das europäische Projekt in Frage stellen möchten und nutzen die Diskussion über Griechenland, um es zu demonstrieren. Sie wollen sozusagen nicht, dass eine Alternative in Europa aufkommt, die sagt, Sparpolitik, Austeritätspolitik führt zu nichts, führt nur zu wirtschaftlicher Rezession und zu Problemen bei den Völkern. Stattdessen liegt ein anderer Vorschlag auf dem Tisch. Sprechen wir wieder über Wachstum, über Arbeitslosigkeitsbekämpfung, über soziale Staaten und über gerechte Verteilung. Und diese Entscheidung der griechischen Bevölkerung also ist in dieser Richtung.
    Gewisse Kreise stellen das europäische Projekt
    Zurheide: Nun haben Sie jetzt das Interview mit Sigmar Gabriel nicht in Gänze wahrscheinlich gehört. Er hat an mehreren Stellen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass vor allen Dingen Jean-Claude Juncker – und damit unterscheidet er sich ja auch von dem, was Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen hat –, dass Jean-Claude Juncker ausdrücklich Investitionsprogramme für Griechenland vorsieht und auch das entsprechende Geld bereitstellt. Insofern, Gabriels Argumentation war, wir machen beides. Auf der einen Seite sorgen wir dafür, dass die finanziellen Mittel da sind, um die Verpflichtungen zu erfüllen, dass auf der anderen Seite aber auch Wachstum unterstützt wird. Sehen Sie das denn gar nicht?
    Chondros: Ich sehe das wohl. Wir haben drei Hauptvoraussetzungen auf den Tisch gelegt, um aus der Krise zu kommen: Die eine Voraussetzung ist eben ein sehr starker Investitionsplan. Die Privatwirtschaft soll nicht den griechischen Staat subventionieren, sondern echte Investitionen fördern in Griechenland, die Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft beleben. Die zweite Hauptvoraussetzung ist, dass wir eine nachhaltige Lösung für die Schuldenfrage Griechenlands brauchen und nicht alle drei Monate, alle fünf Monate wieder auf demselben Punkt sein und noch mal kräftig verhandeln um die nächste ausstehende Tranche. Und die dritte Hauptvoraussetzung war, keine Kürzungen mehr bei Löhnen und Renten, weil das weder wirtschaftlich noch sozial tragbar ist. Der Herr Gabriel nimmt nur die eine Voraussetzung. Wenn die anderen zwei fehlen, führt das auch zu nichts. Weil wenn man auch jetzt einen großen Investitionsplan in Griechenland durchführt, aber keine nachhaltige Lösung für die Staatsschulden gefunden hat, sind wir in ein paar Monaten wieder auf dem selben Punkt.
    Militärausgaben um 200 Millionen Euro kürzen
    Zurheide: Auf der anderen Seite sagen viele, dass verschiedene Reformen in Griechenland nicht vorangekommen sind und man sich auch bei dieser Regierung wundert, warum das eigentlich nicht der Fall ist. Ich will nur zwei Beispiele herausgreifen: Warum senkt man die Militärausgaben nicht stärker ab, was ja die internationalen Institutionen verlangt haben? Oder warum erhebt man nicht Steuern bei Inseln wie Mykonos, die ja alles andere als arm sind, die sind im Gegenteil sehr reich. Das sind so zwei Punkte, die hier nicht verstanden werden. Können Sie uns das erklären?
    Chondros: Ja, selbstverständlich kann ich es Ihnen erklären. Militärausgaben: Die linken Parteien in Griechenland waren immer schon stark gegen die Kürzung der Militärausgaben Griechenlands. Diese Regierung hat sich das vorgenommen, um 200 Millionen heuer, dieses Jahr, das Militärbudget zu kürzen. Und zweitens nimmt sie jeden Vertrag wieder unter die Lupe, der jetzt im Gange ist. Wirklichkeit ist, dass sehr viele hier nicht, vor allem in Deutschland, es nicht hören möchten, weil Griechenland ist bis heute noch der zweitstärkste Käufer deutscher Rüstungsgüter. Mehrwertsteuer auf der Insel...
    Zurheide: Das könnte man ja ändern.
    Chondros: Selbstverständlich werden wir das ändern. Und Sie wissen ja, dass wir jetzt, die griechische Regierung, gezwungen sind, das schon beschlossene Budget von den vorherigen Regierungen zu vollstrecken. Sobald wir ein Abkommen haben und wir unser Budget ändern können, wird das auch drastisch geändert. Aber das kann nicht vor dem Abkommen passieren. Und wenn das jemand so öffentlich sagt, sagt er nur die halbe Wahrheit.
    Mykonos wird nicht steuerlich begünstigt
    Zurheide: Okay.
    Chondros: Um unser Budget ändern zu können, brauchen wir zuerst das Ergebnis der Verhandlungen. Wir dürfen es vorher nicht tun. Was jetzt die Mehrwertsteuer auf der Insel betrifft: Der Vorschlag der griechischen Regierung sagt, dass Griechen, die auf der Insel wohnen, aus verschiedenen Gründen, die kann man jetzt schwer in einem Radiointerview erklären, sie müssen gewisse Steuervergünstigungen bekommen. Nicht die Touristen und nicht die Unternehmer. Und weil Sie Mykonos genannt haben. Auf Mykonos leben auch Leute, die mit der Landwirtschaft sich beschäftigen, die Viehzüchter sind und so weiter. Es sind nicht nur reiche Hoteliers und reiche Restaurantbesitzer. Insofern, unser Vorschlag sieht vor, dass die Einwohner dieser Insel, die dort wohnen und nicht dort Geschäfte machen, bis zu einer Einkommensklasse ihnen steuerlich entgegenzukommen. Das ist der wahre Vorschlag, und nicht so, wie es in die Öffentlichkeit kommt, dass die griechische Regierung sozusagen die reiche Insel begünstigen möchte. Man muss die Sachen wirklich genau anschauen, um auf die Wahrheit zu kommen, weil leider der Diskurs nicht so läuft
    Zurheide: Auch aus diesem Interview sehen wir, dass es da offensichtlich noch eine Menge Gesprächsbedarf gibt.
    Chondros: Ja, das sowieso.
    Zurheide: Und ob wir die Zeit, beziehungsweise die Institutionen haben, das ist dann die andere Frage. Ich bedanke mich jetzt jedenfalls hier bei Giorgos Chondros für dieses Interview, aus dem Parteivorstand von Syriza, den wir live erlebt haben im Deutschlandfunk. Danke schön und auf Wiederhören!
    Chondros: Danke auch, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.