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Griechenland
Tausende Flüchtlinge sitzen weiter fest

Weil die Länder entlang der Balkanroute die Grenzen weitgehend dicht gemacht haben, stauen sich die Flüchtlinge in Griechenland. Allein im Hafen von Piräus saßen mehr als 2.000 Menschen fest. In Wartehallen haben sie ihr Lager auf dem nackten Boden aufgeschlagen. Hilfsorganisationen versorgen die Menschen notdürftig mit Nahrung.

Von Wolfgang Landmesser | 29.02.2016
    Eine junge Frau und ihr Kind schlafen in einem provisorischen Flüchtlingslager im alten Flughafen von Athen.
    Der alte Flughafen von Athen wurde zu einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. (picture alliance / dpa / Simela Pantzartzi)
    "Öffnet die Grenze”, skandieren die Flüchtlinge in Idomeni, am griechisch-mazedonischen Grenzübergang. Am Sonntag hielten sie die Bahnlinie besetzt, die über die Grenze hinweg verläuft. Rund 7000 Menschen warten hier inzwischen darauf, nach Mazedonien einreisen zu können. Die Kapazität des Camps direkt am Grenzübergang ist damit bei weitem ausgeschöpft. Nur für rund 2500 Menschen ist eigentlich Platz. Die Spannungen nehmen zu. Ein Mann spricht zu den protestierenden Flüchtlingen: "Wir sind gegen die Leute, die die Grenze schließen für Kinder, Frauen und Kranke. Wir danken den Griechen für ihre Gastfreundschaft, aber dass hier tausende Flüchtlinge festsitzen unter diesen schrecklichen Bedingungen, ist eine Schande für Europa."
    Die Grenze nach Mazedonien war am Wochenende nur wenige Stunden geöffnet, lediglich 300 Flüchtlinge konnten am Samstag passieren. Währenddessen kommen immer mehr Menschen ins Camp von Idomeni. Auf den Straßen Richtung Norden sind Flüchtlinge in Trecks unterwegs zur mazedonischen Grenze.
    Es geht um Abschreckung
    Rund 22.000 Flüchtlinge würden sich derzeit in Griechenland befinden, sagte der Vizeminister für Migration gestern im griechischen Privatfernsehen. Ioannis Mouzalas gab auch eine Prognose über die Entwicklung der Flüchtlingszahlen ab. "Wir rechnen damit, dass innerhalb des nächsten Monats zwischen 50 und 70.000 Flüchtlinge im Land sein werden. Wenn die Situation so weiter geht, sind diese Leute eingesperrt. Aber andererseits: Wenn die Grenzen schließen, wird der Zustrom nach und nach kleiner werden."
    Die Logik dahinter ist Abschreckung: Wenn sich unter den Flüchtlingen herumspreche, dass die Grenzen Richtung Norden dicht sind, würden viel weniger die gefährliche Fahrt von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln wagen.
    Start der Nato-Mission in der Ägäis
    Mouzalas zählt auch auf den jetzt beginnenden Nato-Einsatz in der Ägäis, der die Schlepper bekämpfen soll. Wenn die Nato-Schiffe, Flüchtlinge auf offener See retten, sollen sie die Menschen in die Türkei zurückbringen. Thanos Dokos ist skeptisch, dass die Mission die Flüchtlingszahlen deutlich verringern kann. Jedenfalls gebe es keinen Grund für überzogene Erwartungen, meint der Chef des Athener Forschungsinstituts Eliamep. "Vielleicht könnte das etwas bringen zwischen Libyen und Italien; da sind die Entfernungen groß – und ebenso die Boote. Hier könnte die Nato eine sinnvolle Rolle spielen. Aber in der Ägäis kommen viele kleine überfüllte Schlauchboote, dagegen kann die Nato nicht viel tun", sagt der Politikwissenschaftler und Verteidigungsexperte.
    Wenn weiterhin so viele Flüchtlinge die griechischen Inseln erreichen, werde Griechenland schnell überfordert sein. Die griechische Regierung hätte sich zwar besser auf die Situation vorbereiten können, meint Thanos Dokos. Aber das von einer tiefen Wirtschaftskrise betroffene Land habe den Flüchtlingen nicht viel zu bieten. "Selbst wenn es uns gelingt, all diese Menschen ausreichend unterzubringen: Sie wollen nicht bleiben. Ihre Ziele sind Deutschland, Österreich, Schweden… Es gibt keine Jobs, kaum finanzielle Unterstützung. Deswegen, denke ich, werden sie mit allen Mitteln versuchen, über die Grenze zu kommen. Und dadurch kann sich die Situation nur verschlechtern, bis hin zu Todesfällen."
    Auch im Hafen von Piräus sitzen Hunderte fest
    Viele Flüchtlinge sammeln sich auf dem Victoriaplatz in der Nähe der Athener Innenstadt. Ihre Zahl steige immer weiter an, berichtet eine Fernsehreporterin des Privatsenders Mega. Von dort aus versuchen sie, ihre Weiterreise zu organisieren. Rund um den Viktoriaplatz sind auch Schlepper aktiv, die den Menschen anbieten, sie auf anderen Wegen als auf der klassischen Balkanroute nach Nordeuropa zu bringen – etwa mit Fähren nach Italien. Die Preise pro Person sollen zwischen 2.500 und 3.000 Euro liegen.
    Auch im Hafen von Piräus saßen gestern mehr als 2.000 Menschen fest – viele von ihnen seit Tagen. Von Hilfsorganisationen wurden sie notdürftig mit Nahrung versorgt. In Wartehallen – auf dem nackten Boden – haben sie ihr Lager aufgeschlagen. Vor allem für die Kinder und Frauen sei das sehr hart, sagt dieser Mann aus Aleppo – und ringt dabei um Fassung. "Ich hoffe, dass die Grenzen wieder öffnen. Wir sind einfach Flüchtlinge. Wir haben Kinder und Frauen. Die Leute hier haben hier haben keine Hoffnung." Um Zeit zu gewinnen, halten die Behörden Fähren mit Flüchtlingen in den Häfen der Ägäisinseln fest. Auf Lesbos, Chios, Kos und anderen Inseln sind in den vergangenen Tagen im Durchschnitt 2.000 Flüchtlinge neu angekommen.