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Griechenland
"Trennung besser als Leiden ohne Ende"

Es wäre kein Drama für die Eurozone, wenn Griechenland aussteigen würde, sagte der Finanzwissenschaftler Aloys Prinz im DLF. Er halte einen Abschied für immer wahrscheinlicher. Für die EU selbst wäre das verkraftbar - für die Griechen zunächst hart.

Aloys Prinz im Gespräch mit Dirk Müller | 09.03.2015
    Ungewisse Zukunft Griechenlands: nachdenkliche Manager Figuren stehen vor griechischer Flagge und griechischem Euro mit Schriftzug Grexit
    Ungewisse Zukunft Griechenlands. (imago)
    Die Griechen müssten endlich die Zahlen auf den Tisch legen, fordert der Professor von der Universität Münster. "Wir sind nicht gut informiert über die tatsächliche finanzielle Lage in Griechenland." Es sei aber zu befürchten, dass die Lage noch ernster als angenommen sei.
    Die Bedingungen für eine Mitgliedschaft sei nicht gegeben, das zeige sich besonders deutlich nach den ganzen Hilfspaketen. Unter den aktuellen Bedingungen sei das Land nicht zu soliden Finanzen fähig. Ministerpräsident Tsipras könne zwar am wenigsten dafür, müsse aber das Erbe antreten und endlich kooperieren, so Prinz.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Das sind mehr als nur Störmanöver, die seit Wochen aus Griechenland kommen, denn immer, wenn die europäischen Finanzminister meinen, einen Schritt weitergekommen zu sein, dann sprechen die Signale aus Athen genau dagegen. Was will Jannis Varoufakis? Will er sein Land in den Abgrund gleiten lassen, um gegenüber Brüssel den eisernen konsequenten Politiker zu markieren? Oder will er sein Land unabhängiger machen von den restriktiven Vorgaben aus Europa, einen anderen Reformweg suchen, der auch die verarmte Bevölkerung mitnimmt auf diesem Weg? Die Europäer sitzen heute jedenfalls wieder zusammen.
    Warten also auf Athen, auf konkrete überprüfbare Vorschläge - unser Thema jetzt mit dem Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Aloys Prinz von der Universität in Münster. Guten Tag.
    Aloys Prinz: Guten Tag!
    Müller: Herr Prinz, reicht es langsam?
    Prinz: Ja. Das muss man ganz deutlich sagen. Es ist einfach nicht mehr viel Zeit, das muss man auch sehen. Die Griechen müssen wirklich die Zahlen auf den Tisch legen und ich befürchte, es sieht viel schlimmer aus, als wir bisher wissen. Griechenland oder die neue Regierung in Griechenland hat zwei Riesenprobleme. Das erste ist, sie will sich an die alten Spielregeln nicht mehr halten, hat zweitens große Versprechungen an die Bevölkerung gemacht und muss drittens jetzt erkennen, dass beides nicht geht. Das heißt, sie wird die Versprechungen nicht einhalten können, und zum anderen wird die Eurogruppe nicht nachgeben, kann sie auch eigentlich gar nicht, was die Bedingungen für weitere Hilfszahlungen an Griechenland angeht.
    Müller: Das hört sich so an, als könnten wir jetzt schon ein Abschiedstelegramm in Richtung Athen absetzen?
    Prinz: Wie eben in Ihrem Beitrag schon gesagt wurde: Es wird immer wahrscheinlicher, ja.
    "Für Griechenland wäre ein Ausstieg besser"
    Müller: Ist das schlimm?
    Prinz: Es muss keine Katastrophe sein. Vielleicht ist es sogar für Griechenland besser so, wenn es so käme, denn man sieht einfach, dass die Bedingungen der griechischen Volkswirtschaft für eine Mitgliedschaft im Euroraum wohl doch nicht gegeben sind. Die Bedenken, die zwischen 1999 und 2001 ja auch deutlich gemacht worden sind, zeigen sich jetzt eigentlich umso stärker noch mal, dass offensichtlich Griechenland nicht in der Lage ist, mit den anderen Euroländern insofern gleichzuziehen, dass es stabile öffentliche Finanzen ohne permanente Zahlungen der anderen Mitgliedsstaaten an Griechenland bewerkstelligen kann.
    Müller: Und der arme neue Ministerpräsident Tsipras kann am wenigsten dafür?
    Prinz: Er kann am wenigsten dafür, muss man sagen. Teilweise hat man sich unter den Volkswirten auch damals schon gewundert, dass die Nea Dimokratia noch mal die Wahlen gewonnen hatte, weil gerade diese alten Parteien ja mit dafür verantwortlich waren für den Zustand, in den Griechenland gekommen war. Ich befürchte, dass die neue Regierung insofern Pech hat, weil sie einfach ein Erbe antreten muss, für das sie in der Tat nichts kann.
    Aber wofür sie was kann ist, dass sie nicht wirklich kooperativ spielt und sich nicht kooperativ zu den anderen europäischen Staaten verhält. Da wäre meiner Ansicht nach eine größere Kooperationsbereitschaft hilfreich gewesen. Das hätte man möglicherweise auch nach innen in Griechenland kommunizieren können, um diesen Übergang deutlich zu machen und wirklich eine Zäsur mit den alten Prinzipien zu machen, die nun wirklich nicht gut sind und die für die öffentlichen Finanzen, ich möchte fast sagen, suizidal sind.
    Müller: Aber Herr Prinz, da muss ich jetzt noch mal nachfragen, weil Sie eben im Grunde gesagt haben, so habe ich das jedenfalls verstanden, die können nicht groß anders. Die Wirtschaft, die derzeitige Verfassung gibt einfach nicht mehr her.
    Prinz: Meiner Ansicht nach ja.
    "Milliarden in den Sand gesetzt"
    Müller: Das heißt, der Spielraum, den Tsipras da noch hat, ist kosmetischer Natur, kooperativer Natur?
    Prinz: Meiner Ansicht nach ist das wirklich kosmetischer Natur. Ich vermute auch, dass deshalb die Griechen so zurückhaltend sind, Zahlen offenzulegen und konkrete Programme aufzulegen. In einer solchen Situation, in einer solchen extremen Umbruchsituation, wo jedes Signal in die falsche Richtung gleich Kapitalflucht und alles andere wieder auslöst, ist extrem schwierig zu handhaben und ohne strikte Kooperation mit den Geldgebern ist das meiner Ansicht nach schlicht und ergreifend nicht möglich.
    Müller: Wenn Griechenland die Eurozone verlassen sollte, haben wir dann Milliarden in den Sand gesetzt?
    Prinz: Die haben wir sowieso in den Sand gesetzt. Das muss man auch mal offen sagen. Die Wahrscheinlichkeit, selbst wenn Griechenland im Euroraum bleibt, dass wir tatsächlich das alles zurückkriegen, was nach Griechenland geflossen ist, diese Wahrscheinlichkeit halte ich für recht gering. Wenn es gelingen würde, Griechenland so umzubauen in absehbarer Zeit, dass eine stabile Volkswirtschaft entsteht mit stabilen öffentlichen Finanzen, dann ist das das Geld wert. Nur wenn es so läuft, dass Griechenland permanent am Tropf der anderen EU-Länder hängen sollte und dass das die einzige Möglichkeit für das politische und finanzielle Überleben ist, dann ist es in der Tat schlecht, noch mehr gutes Geld dem schon verlorenen Geld hinterherzuwerfen.
    Müller: Das Geld ist verloren, sagen Sie, so oder so?
    Prinz: Im Wesentlichen denke ich schon, dass große Teile wohl verloren sind. Ja, ich gehe davon aus. Das ist eigentlich immer die solideste Annahme und dann guckt man, was man noch kriegen kann. Aber ich bin der Meinung, das ist auch kein Drama, dass das verloren ist, wenn man dafür tatsächlich einen Ertrag bekommt, und der Ertrag würde darin bestehen, ein stabiles Griechenland mit einer stabilen Volkswirtschaft und stabilen öffentlichen Finanzen.
    Müller: Hat Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister, uns, also der deutschen Bevölkerung, auch dem Steuerzahler, aufgrund dessen, wie Sie es jetzt interpretieren, zu keinem Zeitpunkt die Wahrheit gesagt?
    Prinz: Ich glaube, er weiß es selber nicht und ich weiß es auch nicht. Wie gesagt, das basiert auf dem, was wir wissen über die griechische Volkswirtschaft. Aber unser Nichtwissen oder Unwissen über die tatsächliche Lage, vor allem über die Finanzen des griechischen Staates, diese Unsicherheit ist sehr groß. Ich weiß nicht, ob man dann sagen kann, dass da jemand die Unwahrheit sagt. Es ist einfach: Wir sind nicht gut informiert über die tatsächliche finanzielle Situation des Staates in Griechenland.
    "Den Versuch war es wert"
    Müller: Aber dann war es demnach ja viel zu risikoreich, das Geld zur Verfügung zu stellen, weil man nicht weiß, ob man es zurückbekommt.
    Prinz: Ich glaube, dass das nicht richtig ist, und zwar jede größere Investition auch bei privaten Unternehmen hat Risiken. Die können schiefgehen. Und ich denke, es war durchaus die Sache wert, das in Griechenland zu versuchen, und auch die Rettungspakete, die es bisher gab, sind meiner Ansicht nach gerechtfertigt gewesen. Immerhin haben sie dazu geführt, dass die Eurozone über die Bankenunion und über die Übernahme der griechischen Staatsschuldpapiere zur Europäischen Zentralbank, zu den anderen europäischen Staaten dafür gesorgt hat, dass die Eurozone selber durch Griechenland nicht mehr in dem Maße gefährdet ist, wie das vor ein paar Jahren noch der Fall war. Alleine das war die Investition eigentlich auch schon wieder wert. Ohne dafür Geld aufzuwerten, kriegt man diese Verbesserung der Situation einfach nicht hin. Und damals wäre es tatsächlich vermutlich zu ganz starken Ansteckungseffekten gekommen, ähnlich wie mit der Pleite der Lehman Brothers in den USA, die damals ja dort die Finanzkrise ausgelöst hat. So hätte das in der Eurozone damals, vor ein paar Jahren, 2011/2012, mit Griechenland genauso passieren können. Heute ist dieses Risiko viel, viel geringer und das kostet was, das zu vermeiden.
    Müller: Das heißt, wir haben im Grunde dieses Sterben, wenn ich das so ausdrücken darf, dieses Sterben Griechenlands zumindest als fester Bestandteil der Eurozone im Grunde mit unserem Geld nur herausgezögert, damit wir jetzt so weit sind und so weit sein können, aufgrund der insgesamt stabilisierten Rahmenbedingungen Griechenland gehen zu lassen?
    Prinz: Wenn es dazu kommt, dass Griechenland tatsächlich gehen muss, weil es keine andere Möglichkeit gibt, dann würde ich voll mit Ihrer Interpretation übereinstimmen. Noch besteht eine gewisse Hoffnung, dass es vielleicht doch sich noch abwenden lässt. Nur ich verstehe alle Euroländer sehr gut und ich würde es genauso machen: Um noch weiter große Beträge dorthin zu überweisen in einer vagen Hoffnung, da, denke ich, ist jetzt der Punkt erreicht, wo man sagen muss, jetzt müssen wirklich die Zahlen genannt werden, es muss sich genau angeschaut werden, es muss genau gesagt werden, was gemacht oder nicht gemacht werden soll, und wenn es eben nicht reicht, dann ist es eben nicht zu ändern. Dann ist eine Trennung besser als ein Leiden ohne Ende.
    Grexit - kein Drama für die Eurozone
    Müller: Ich habe das, glaube ich, als zweite, dritte Frage an Sie, Herr Prinz, spontan formuliert. Ist das schlimm, wenn Griechenland geht?
    Prinz: Nein. Es ist meiner Ansicht nach kein Drama für die Eurozone. Die Eurozone kann das verkraften mittlerweile. Vor drei, vier Jahren wäre das anders gewesen, meiner Ansicht nach. Momentan und im jetzigen Zustand ist das verkraftbar.
    Müller: Also keine großen Verwerfungen und kein Untergang Europas?
    Prinz: In der Eurozone nicht. Ich befürchte nur, dass Griechenland eine noch sehr schlimme Zeit durchmachen wird, bis das dann halbwegs wieder in geregelte Bahnen kommt. Mir tut es leid für die Griechen. Ich glaube, in der Eurozone wird aller Voraussicht nach nicht allzu viel dadurch Negatives passieren.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Professor Aloys Prinz von der Universität Münster. Danke ganz herzlich für das Interview, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Prinz: Keine Ursache. Ebenfalls! - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.