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Grips Theater
Vorurteile und kultureller Austausch

Lutz Hübners neues Stück am Berliner GRIPS Theater hat Gott zum Gast. In dem Lustspiel für junge Menschen ab 14 Jahren besucht der halbstarke Boris die indische Millionenstadt Pune für einen Schulaustausch. Er benimmt sich kräftig daneben, was man ihm aber wegen seines "Migrationshintergrunds" verzeiht.

Von Hartmut Krug |
    Der 17jährige Boris fährt für drei Monate nach Indien. Im Austauschprogramm, als unvorbereiteter Nachrücker, weil ein Mädchen krank geworden ist. So kommt er in eine Familie mit einer Tochter namens Radha. Was seine Probleme mit einer indischen Kultur, die oft völlig anders scheint als seine wohlbekannte deutsche, zugleich verstärkt wie entschärft. Denn natürlich verlieben sich die beiden ineinander. Aber erst einmal prallen die Klischees aufeinander. Der Gastvater begrüßt Boris mit einer Aufzählung von Dingen, die er von Deutschland kennt:
    Klischees prallen aufeinander
    "Welcome to India. Herzliches Willkommen. Ich arbeite bei Volkswagen, German Company. Guten Tag. Kartoffel, 99 Luftballons, Bayern München, Brandenburger Tor. Entschuldigung, Oktoberfest. Gute Nacht."
    Gutwillig sind beide Seiten, die indischen Gastgeber und der deutsche Gast. Doch gerade aus dem Verstehen-wollen entsteht viel Komik. So, wenn Boris von seiner Patchwork-Familie erzählt oder von seiner Oma, die in den 1970er Jahren sexuelle Erfahrungen im indischen Ashram gemacht hat. Aber auch, wenn er gegen die Begeisterung seines Gastvaters über den Volkswagen eine Brandrede über die Schädlichkeit des Autos setzt. Oder wenn die Gastmutter alle mit einem deutschen Essen überrascht, das niemandem schmeckt:
    "Mutter: Das habe ich im Internet gefunden. Das ist ein altes, ganz typisches deutsches Essen. Es heißt Kuttelsuppe.
    Radha: Was ist das denn?
    Mutter: Das ist deutsche Küche.
    Boris: Aber nur an ganz hohen Feiertagen. Ganz, ganz hohen und auch dann nicht immer. Da essen das dann alle zusammen. Wollt ihr nichts?
    Rhadha: Nein, nein. Du zuerst. Der Gast ist Gott.
    Vater: Und der Gast muss essen, bis er satt ist. Und wenn dann noch etwas übrig ist, essen die anderen. Nur dann. Aber du bist doch sicher ausgehungert."
    Berühmte indische Co-Autoren
    "Der Gast ist Gott" hat Lutz Hübner mit seinen beiden in Indien berühmten Kollegen Vibhawari Deshpande und Shirang Godbole geschrieben. Die indische Fassung, die im Mai vergangenen Jahres mit riesigem Erfolg in Pune uraufgeführt wurde, heißt "Du and me" und ist geprägt von Anspielungen auf Bollywood.
    Die Grips-Spielmethode hat, seit einer indischen Adaption des Stückes "Max und Milli" im Jahr 1986, im sogenannten "Grips-Movement in India" eine große Verbreitung gefunden. Die dabei dort übliche offene Spielweise prägt auch die Berliner Inszenierung von "Der Gast ist Gott". Auf offener Bühne mit zwei Kleiderständern und wenigen winzigen Podesten spielen sich vier Schauspieler durch alle Rollen. Wie sie sich dabei allein mit ein paar Tüchern, einem Schnurrbart oder einer Sonnenbrille, und mit typisierend ausgestellten Haltungen in unterschiedliche Figuren verwandeln, ist von großer Komik und Virtuosität. Auch, weil die Aufführung zugleich als Probe daher kommt, in der sich die deutschen Schauspieler mit ihren Ängsten vor rassistischen und Klischee-Darstellungen auseinandersetzen:
    "Robert: Ich finde es echt schwierig, wir sind deutsche Schauspieler, keiner von uns war je in Indien und jetzt faken wir hier eine indische Familie.
    Roland: Gehört aber irgendwie auch ein bisschen zum Beruf, oder? Sich in Menschen reindenken, die man nicht kennt. Außerdem musst du überhaupt nichts faken, du hast deutschen Migrationshintergrund.
    Robert: Ja, aber jetzt hier so Indienfolklore, ich weiß nicht."
    Kritisch ausgestellte Folklore
    Natürlich gibt dennoch ein wenig Folklore, - aber immer kritisch ausgestellt. So, wenn die ungeheuer intensive und wandlungsfähige Katja Hiller sich mit "indisch" bunten Tüchern von der deutschen in die indische Mutter verwandelt. Es gelingt der fantasievollen Regisseuren Mina Salehpour wunderbar, dem etwas braven Text komödiantische Schärfe und verdeutlichende Ironie zu geben. Zum Beispiel, wenn sich die Eltern verständlich ungeschickt zwischen das junge Paar werfen. Und wenn Boris und Radha einen Bollywoodfilm anschauen, zeigen sie ihre Reaktionen und Emotionen im schnellen Vorspulrhythmus.
    Mina Salehpour hat dem etwas braven Text mit einer Fülle von szenischen Einfällen auf die Sprünge geholfen. Und das tolle Ensemble wirft sich mit Lust ins Spiel. Wenn auch die Variante durchgespielt wird, dass Boris mit der schwangeren Radha in Pune leben muss, bleibt es am Schluss doch bei der einfacheren Version: Radha ist nicht schwanger und wird Boris in Berlin besuchen, - vielleicht.