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Grönemeyer grölt - von Storch twittert
Wer hitlert mehr?

Bei einem Konzert grölt Sänger Herbert Grönemeyer, dass es an uns liege, "zu diktieren, wie diese Gesellschaft auszusehen hat" - und er übertrifft damit sogar Nazi-Hassreden, wie eine prominente Kritikerin nahelegt. Arno Orzessek empfiehlt hingegen: Achten Sie auf Kontexte und Inhalte!

Von Arno Orzessek |
Sänger Herbert Grönemeyer steht während eines Konzerts auf der Bühne.
Herbert Grönemeyer auf der Bühne zum Tournee-Auftakt (dpa/ Martin Schutt)
Falls Sie sich schon seit anno dunnemals für Lyrik interessieren, hören Sie lieber kurz weg. Gut möglich, dass Ihnen Ernst Jandls "Lichtung" bis zu den Knien zum Hals raus hängt. Falls Sie jedoch zu den jungen Leuten mit digitalem Hintergrund gehören, spitzen Sie bitte die Ohren! Was jetzt folgt, ist ein sogenanntes Gedicht, und das geht so: "Manche meinen / lechts und rinks/ kann man nicht velwechsern / werch ein Illtum."
Tja, ob das immer noch gilt... dass man rechts und links sehr wohl verwechseln kann..., das ist exakt die Frage in der Causa Grönemeyer/von Storch. Herbert Grönemeyers Ansage während des Wiener Konzerts, nachzuhören auf Youtube, war in der Tat kein Ohrenschmaus – ums vorsichtig auszudrücken. Und jetzt mal unvorsichtig: Würde ein Björn Höcke öffentlich so abgehen, kämen vermutlich Psychiatrie, Polizei und Verfassungsschutz angedüst.
Entsprechend fallen die Kommentare aus. "Heil Gröhlemeyer, mein Diktator!" notierte etwa die Userin Sabine Lettmans. Mehr Resonanz als Lettmans hat selbstverständlich die AfD-Posaune Beatrix von Storch erbeutet - und zwar mit dem Tweet: "Das ist die furchterregendste, übelste, totalitärste Hassrede, die ich je gehört habe."
Offensives Umschaltspiel über die rechte Seite
Falls uns von Storchs frühere Geschichtslehrer oder -lehrerinnen zuhören, möchten wir fragen: Ist das möglich? Hat Frau von Storch als kleine Herzogin von Oldenburg in Ihrem Unterricht wirklich nie von übleren Hassreden gehört? Und wenn nicht – haben Sie etwa Ihren Job verfehlt?
Aber lassen wir das! Gehen wir wohlbegründet davon aus, dass von Storch bei der Aburteilung Grönemeyers sehr wohl an den hässlichsten Hassreden der deutschen Geschichte Maß genommen hat: Hitlers, Goebbels', Görings Reden. Und die soll der Barde aus Bochum nun überboten haben?
Was da von rechts veranstaltet wird, nennt man im Fußball "offensives Umschaltspiel": Das eine Team greift an, verliert den Ball – und das andere startet überfallartig die Gegenattacke. Das Umschaltspiel kann dann so aussehen, wie es der Youtuber Friedrich von Osterhai vorführt: Von Osterhai hat Grönemeyers Wiener Worte unter Film-Ausschnitte von Josef Goebbels' Sportpalast-Rede gelegt. Und wenn Grönemeyer, nun ja, sehr laut ausruft: "... dann liegt es an uns, zu diktieren, wie diese Gesellschaft auszusehen hat", recken sich im Sportpalast die Arme zum Hitlergruß.
Grönemeyers Ton war krass
Viele Kommentatoren beglückwünschen von Osterhai – quasi zum Torerfolg nach politischem Umschaltspiel. Deshalb noch einmal zum Mitgrübeln: Kann man links und rechts wirklich verwechseln? Sind die Rechten vielleicht sogar die neuen Rechts-Linken, sofern sich nämlich die ursprünglich Linken - laut rechter Propaganda - wie einst die ultrarechten Nazis aufführen?
Hat nicht schon vor 50 Jahren der damals selbst noch linke Philosoph Jürgen Habermas vor "Linksfaschismus" gewarnt, also Teile der Linken des linken Rechtsextremismus' verdächtigt? Und bekommt man von all den Rechts-Links-Kombinationen nicht einen Brummschädel wie von acht Stunden Achterbahn-Fahrt? Das mag schon sein. Und trotzdem sagen wir: Gemach!
Der Musikant Grönemeyer wird anerkennen müssen, dass der Ton die Musik macht – nicht nur, aber auch. Und sein Ton in Wien war krass. Den Gesinnungsfreunden von Storchs sei jedoch gesagt: Ob Grönemeyer gegen Rassismus grölt oder Ihre Freundin an der Grenze auf Flüchtlinge schießen lassen will, macht einen Unterschied aus.
Rechts und links bleiben unverwechselbar
Achten Sie auf Kontexte und Inhalte! Über das Twitter-Konto Ihrer jetzt so ehrpusseligen von Storch kam mal die kannibalische Ankündigung, sie wolle "Fleisch" von Angela Merkels "Kadaver reißen". Insofern glauben wir: Rechts und links bleiben in der Sache unverwechselbar... Bis vielleicht der Tag anbricht, an dem Herbert Grönemeyer und Beatrix von Storch Arm in Arm auf der Bühne stehen und "Zeit, dass sich was dreht" singen.
Aber das dauert noch ein Weilchen.